EU will Energiequellen diversifizieren
Die noch verbliebenen Gas-Importe der EU aus Russland stehen auf immer wackligeren Füßen, ein totaler Lieferstopp in absehbarer Zeit gilt sogar als wahrscheinlich.
Ştefan Stoica, 19.07.2022, 16:07
Dass Russland seine Gaslieferungen als Waffe im Konflikt mit der EU um den Invasionskrieg in der Ukraine einsetzen würde, haben viele Beobachter schon vorausgesehen. Nicht aber, dass es so schnell und unter einer fadenscheinigen Begründung kommen würde. Die Wartungsarbeiten an der Pipeline North Stream 1 nahm der staatliche russische Monopolbetreiber Gasprom zum Anlass (manche sagen: Vorwand), mehreren wichtigen Kunden in der EU einen Lieferstopp in Aussicht zu stellen. Begründet wurde dies von Gasprom mit höherer Gewalt, ohne nachvollziehbare Details zu benennen. Äußere Umstände, die sich der Kontrolle des Gasriesen entzögen, würden die vereinbarten Lieferungen verhindern, hieß es nur vage.
Die EU will nun auf die Nutzung von fossilem Brennstoff aus russischen Importen bis 2027 gänzlich verzichten, bangt jedoch gleichzeitig um die Zwischenzeit, denn die meisten EU-Staaten sind noch weit entfernt von einer vollständigen Sicherung der Gasreserven für den Winter, und eine Auflockerung der Sanktionen gegen Russland kommt im Augenblick auch nicht in Frage. Indessen zählt die EU auf alternative Gasquellen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am Montag angekündigt, dass die EU ein Abkommen mit Aserbaidschan getroffen hat, laut dem der Staat im Kaukasus seine Gasexporte nach Europa in wenigen Jahren verdoppeln soll. Im vergangenen Jahr lieferte Aserbaidschan durch Pipelines, die Georgien und die Türkei überqueren, rund 8 Mrd. Kubikmeter Erdgas nach Europa — dieses Jahr sollen die Gaslieferungen aus der Kaukasusrepublik 10 Mrd. Kubikmeter überschreiten.
Doch das ist noch ein Tropfen auf den heißen Stein — im Vergleich dazu bezifferten sich die Gaslieferungen aus Russland allein im vergangenen Jahr auf 155 Mrd. Kubikmeter, womit knapp 40% des Bedarfs der gesamten EU gedeckt wurden. Die Zahlen sprechen für sich — noch ist die EU größtenteils abhängig von Gaslieferungen aus Russland und Moskau hat bereits damit begonnen, die Lieferungen an mehrere Länder massiv zu drosseln.
Rumänien befindet sich in einer auf den ersten Blick vorteilhaften Situation — nur 20%–30% der Gasimporte kommen — meistens über Umwege — aus Russland, den Rest seines Bedarfs deckt Rumänien aus der eigenen Gasförderung. Hinzu kommt die unlängst stattgefundene Verabschiedung des sogenannten Offshore-Gesetzes, womit Rumänien die Gasförderung im Kontinentalsockel des Schwarzen Meeres aufnehmen kann. Unter diesen Umständen könnte Rumänien im kommenden — für viele furchterregenden — Winter seinen Gasverbrauch aus der internen Produktion und ganz ohne Importe decken. Das sagt Niculae Havrileţ, ehemaliger Leiter der Nationalen Energie-Regulierungsbehörde (ANRE), der das Szenario für realistisch hält:
Das Szenario ist realistisch, das Förderungsprogramm ist perfekt umsetzbar, doch gibt es auch andere Probleme, die nicht direkt mit der Gewichtung und der Herkunft der Gasquellen zusammenhängen. Hier müssen wir mit einigen Schwierigkeiten rechnen, und für den Fall, dass es im kommenden Winter zu Lieferengpässen bei Erdgas kommt, hat das Energieministerium einen Reaktionsplan erarbeitet.“
Welche konkreten Maßnahmen der besagte Plan enthält, sagt der ehemalige Leiter der Energie-Regulierungsbehörde allerdings nicht, fügte aber noch hinzu, dass Rumänien bei Gasknappheit im Winter auch anderen EU-Ländern helfen könnte — wohlgemerkt nicht kostenlos, sondern im Rahmen von Tauschgeschäften.
Laut Wirtschaftsexperten ist Rumänien dennoch zu 20–30% auf Gasimporten aus Russland angewiesen, und die Gasspeicher des Landes sind derzeit nur zu etwa 50% gefüllt. Wann die Erdgasförderung im Schwarzen Meer genau aufgenommen wird, ist auch nicht klar. Ein sorgenfreier Winter steht folglich auch Rumänien nicht bevor.