Venedig-Kommission: grünes Licht zur Auflösung der Sonderstaatsanwaltschaft für Justizbeamte
Seit geraumer Zeit wird in Rumänien über Sinn und Zweck der sogenannten Sonderstaatsanwaltschaft für Ermittlungen gegen mutmaßliche Straftaten debattiert, die Justizbeamte – allen voran Richter und Staatsanwälte – verüben.
Corina Cristea, 06.07.2021, 13:48
Für deren Kritiker stellt diese Sonderstaatsanwaltschaft (SIIJ) eine Einmischung in die unabhängige Gerichtsbarkeit dar, sie gehöre daher abgeschafft. Befürworter der speziellen Gerichtsbarkeit hingegen erachten sie als ein Garant der Unabhängigkeit der Justiz und als notwendiges Instrument zum Schutz gegen Missbrauch und Korruption im Justizwesen.
Nun hat die Venedig-Kommission, die die EU-Staaten in Sachen Rechtsstaatlichkeit berät, die Auflösung der Sonderstaatsanwaltschaft ausdrücklich empfohlen. Es sei an der Zeit, die Superimmunität“ der Richter und Staatsanwälte abzuschaffen, und der Oberste Rat der Richter und Staatsanwälte (CSM), die hiesige Regulierungsbehörde der hohen Justizbeamten, dürfe nicht zu einem Hemmnis in der strafrechtlichen Verfolgung von Richtern und Staatsanwälten werden. Der rumänische Justizminister Stelian Ion teilt diese Auffassung — die sogenannten Garantien“, derer sich Richter und Staatsanwälte erfreuen würden, seien eine Art Immunität“, die Zweifel“ an der Unabhängigkeit der Justiz aufkommen ließen. In seiner Auffassung gebe es keine haltbaren Argumente mehr gegen die Abschaffung der Sonderstaatsanwaltschaft — eine entsprechende Entscheidung könnte kommende Woche im Senat, der Oberkammer des rumänischen Parlaments, getroffen werden. Zuvor hatte die Abgeordnetenkammer entschieden, dass künftig nur noch der Oberste Rat der Richter und Staatsanwälte (CSM) grünes Licht für strafrechtliche Ermittlungen gegen hohe Justizbeamte geben soll. In Frage kämen dabei sowohl gewöhnliche Delikte als auch Korruptionsvorwürfe, sagt der Justizminister:
Wenn eine unabhängige Institution des Europäischen Rates wie die Venedig-Kommission mit ihren Experten in Verfassungsrecht uns diese Entscheidung nahelegt, sehe ich überhaupt kein Hindernis mehr, das der Abschaffung der Sonderstaatsanwaltschaft im Weg stünde, ungeachtet des innenpolitischen Tumults, der Debatten und Streitigkeiten um dieses Thema. Ich danke daher auch den Vertretern und Berichterstattern der Venedig-Kommission für die Zügigkeit, mit der sie sich dieses Themas angenommen haben“, sagt Justizminister Stelian Ion.
Iulia Scântei, Senatorin der regierenden Nationalliberalen Partei (PNL) und Vorsitzende des parlamentarischen Justizausschusses, stimmt dem Minister zu — die Empfehlung der Venedig-Kommission habe gezeigt, dass der Vorstoß der Liberalen zur Aufhebung der Superimmunität“ für Richter und Staatsanwälte korrekt gewesen sei. Durch die Auflösung der Sonderstaatsanwaltschaft würde ein beschämendes Kapitel in der rumänischen Justiz abgeschlossen sein, denn in den letzten Jahren sei die Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte ständig unter Beschuss gestanden.
Auch das Bündnis USR-PLUS, der Juniorpartner der Liberalen, findet den Schritt richtig. Die Empfehlung der Venedig-Kommission sei keine Überraschung, schließlich haben alle europäischen Institutionen die Gründung einer Sonderstaatsanwaltschaft für strafrechtliche Ermittlungen gegen Justizbeamte einhellig kritisiert. Gegen Korruption zu ermitteln — auch im Falle von Richtern und Staatsanwälten –, liege ausschließlich im Kompetenzbereich der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (DNA) und bedürfe keiner speziellen Gerichtsbarkeit.
Die in der Opposition befindlichen Sozialdemokraten (PSD) sind nach wie vor gegen jegliche Änderungen im Justizwesen, so lange es keinen Konsens unter Richtern und Staatsanwälten gebe, wie sie gegen Druck und Missbrauch geschützt werden könnten. Mehrere Berufsverbände der Richter und Staatsanwälte seien der Meinung, dass der Vorsitzende des Selbstregulierungsgremiums der hohen Justizbeamten (CSM) infolge der Empfehlung der Venedig-Kommission zurücktreten sollte, argumentiert die PSD. Die derzeitige Regelung, laut welcher der CSM der Aufnahme von strafrechtlichen Ermittlungen gegen Richter und Staatsanwälte zustimmen muss, sei eine verfassungswidrige Hürde im Kampf gegen die Korruption und würde das öffentliche Vertrauen in die Justiz schmälern, so die Meinung mehrerer Berufsverbände im Justizwesen, auf die sich die Sozialdemokraten berufen.