Wahlrumänin aus Litauen: „Ich bin hier erwachsen geworden“
Die professionelle Sängerin und Übersetzerin Egle Chișiu lernte ihren rumänischen Mann in Italien kennen und zog 2006 mit ihm in seine Heimat. Seitdem hat sie sich bestens eingelebt.
Hildegard Ignătescu, 22.12.2020, 18:00
Egle Chișiu wurde in Vilnius, Litauen, geboren und hat in Italien Gesang studiert. Sie ist eine lyrische Künstlerin, Sopranistin, und war Solistin der rumänischen Nationaloper, wo sie jetzt Mitglied des Chores ist. Sie studierte an der Akademie für Musik und Theater in Vilnius, wo sie auch Meistergesang studierte. Anschließend studierte sie an der Internationalen Musikakademie in Mailand und am Konservatorium Antonio Scontrino“ in Trapani. Sie ist auch Dolmetscherin und Übersetzerin aus dem Rumänischen, Litauischen, Russischen und Englischen. Ihre Karriere verfolgte sie auch in Deutschland, wo sie zwei Jahre lang lebte und Musik an einer Grundschule unterrichtete. Eine Zeit lang war Egle Chișiu auch Webmaster eines Internet-Portals für Rumänen in Großbritannien, www.angliamea.ro, wo Nachrichten auf Rumänisch aufbereitet und Artikel aus dem Englischen und Litauischen ins Rumänische übersetzt wurden. Sie erzählt uns, wie sie nach Rumänien kam:
Während meines Studiums in Sizilien, in Trapani, wo ich ein Regierungsstipendium hatte, lernte ich meinen zukünftigen Mann kennen. Zu dieser Zeit wusste ich nicht viel über Rumänien. Er ist auch Opernsänger, wir lernten uns dort kennen und heirateten noch im selben Jahr. Dadurch mussten wir eine Entscheidung treffen, denn wir mussten irgendwo zusammen leben. Litauen war keine Lösung, über Italien dachten wir ein bisschen nach, aber es schien zu kompliziert, und wir entschieden uns für Rumänien, wo mein Mann schon damals, 2005, als Solist engagiert wurde. Es war klar, dass ich mich anpassen würde, wenn er hier einen festen Platz hätte. Da ich bereits fünf Sprachen spreche, war es kein Problem mehr, eine weitere zu lernen, und es fiel mir leicht, basierend auf Russisch und Italienisch. 2004 lernten wir uns kennen und heirateten, und der eigentliche Umzug fand 2006 statt, denn es dauerte noch ein Jahr, da ich noch in Mailand studierte, dann noch ein Jahr, bis ich meinen Master in Litauen abschloss, aber die meiste Zeit verbrachte hier in Rumänien. Aus diesem Grund würde ich sagen, dass ich 15 Jahre alt bin, zumindest seitdem ich Rumänisch spreche und die rumänische Kultur kenne.“
Egle Chișiu ist die Gewinnerin von fünf internationalen Gesangswettbewerben in Rumänien, Litauen, Italien und der Ukraine, sie sang auf lyrischen Bühnen in Deutschland, der Ukraine, Polen, Italien, Litauen und Rumänien. Wir haben Egle gefragt, wie der Anfang war und was ihr hier gefällt.
In Rumänien fühle ich mich zu Hause, weil ich hier eine Familie gegründet habe, und ich fühle mich wohl und frei, integriert. Weil ich die Sprache von Anfang an gelernt habe, nachdem ich hierher kam, habe ich mich nie als Ausländerin gefühlt. Ich wurde auch gut aufgenommen von Freunden, Verwandten, der Familie meines Mannes, Vasile Chișiu. Ich habe mich hier im Land wohl gefühlt, auch wenn vielleicht manches sehr fremd und sehr distanziert war, wenn man bedenkt, dass Rumänien ganz anders ist als Litauen, aber dennoch ist diese kommunistische, sozialistische Vergangenheit sehr ähnlich, wir haben viele Gemeinsamkeiten und wir verstehen sie ganz anders als vielleicht ein Ausländer aus dem Westen. In Rumänien mag ich viele Dinge, hier habe ich auch die Schönheiten der Natur und der Städte entdeckt, ich bin sehr viel gereist, und wir fahren mit der ganzen Familie mit dem Wohnwagen ans Meer, wir mögen auch wildere Orte mit weniger Menschen. Ich mag auch die Menschen, sie haben wahrscheinlich dieses viel südlichere Temperament als die in Litauen, sie sind viel offener, einladender, freundlicher, man kommt sich viel schneller näher. Sogar der körperliche Kontakt, das Umarmen und Küssen, ist in Litauen nicht sehr verbreitet.“
Egle Chișiu hat zwei Kinder, die hier geboren und aufgewachsen sind, mit denen sie ausschließlich auf Litauisch spricht. Die Kinder lieben beide Länder und können es kaum erwarten, das Land ihrer Großeltern wieder zu besuchen. Auch Egle vermisst Litauen.
Ich vermisse das Land sehr und jetzt umso mehr, da ich diesen Sommer wegen Covid und der Reiseeinschränkungen nicht nach Litauen fahren konnte. Ich war seit eineinhalb Jahren nicht mehr dort, ich vermisse wirklich alles. Von dem Ort, wo ich aufgewachsen bin, von meinen Eltern, von meinem Bruder, von allen Verwandten dort, bis hin zu den Seen in Litauen, wo man jederzeit baden konnte, den ganzen Sommer lang. Von überall her ist man in 10 Minuten an einem See, ähnlich wie in Finnland. Ich vermisse die Wälder, das Pilzsuchen. Und meine Kinder fühlen sich in Litauen sehr wohl, es ist meine Heimat und ich bin Litauerin und fühle mich dort auch wohl.“
Egle war Studentin, als sie nach Rumänien kam, ein neues Land mit einer besonderen Kultur für sie, die sie sofort in ihr Herz schloss. Sie fühlte sich von Anfang an sehr wohl und entdeckte mit Hilfe ihres rumänischen Mannes ein neues Leben. Sie gründete eine Familie und baute eine Karriere in Rumänien auf. Im Grunde genommen lernte Egle hier das Erwachsensein, sagt sie:
Wirklich erwachsen bin ich hier geworden. Ich war 25 Jahre alt, als ich zum ersten Mal nach Rumänien kam. Ich habe mich komplett verändert, auch durch die Menschen, Orte und Reisen, das Familienleben und einige Werte, die hier in Rumänien ein wenig anders waren. Die größere Nähe zwischen den Familien und sogar das Konzept der Paten und Patenkinder, das es in Litauen gar nicht gibt, all das war für mich ziemlich fremd, aber jetzt finde ich es schön und interessant, dass es so etwas gibt. Der Prozentsatz der Scheidungen ist hier viel niedriger als in Litauen, es ist eine Art von Harmonie, oder vielleicht kommt es mir so vor. Natürlich mag ich das Wetter, es ist fantastisch, dass es schon im März warm sein kann und bis November anhält. In Litauen regnet es den ganzen Sommer; wenn es zwei Wochen sonnig ist, ist man schon glücklich. In Litauen war mir immer kalt, hier ist es ganz anders. In Litauen war ich ständig deprimiert wegen des trüben Wetters, hier strahlt alles.“
Natürlich ist nicht alles perfekt in Rumänien und es gibt Dinge, die Egle gerne so schnell wie möglich geändert sehen würde, für ein besseres Leben:
Das Problem mit der Digitalisierung, die hier viel langsamer voranschreitet als in Litauen, wenn man Behördengänge tun muss. Das scheint mir das Schlimmste in Rumänien zu sein, im Sinne einer primitiven Bürokratie. Eine andere Sache, die man verbessern könnte, wäre der Respekt der Rumänen vor dem, was sie haben, vor der fantastischen Natur. Ich habe Bergflüsse gesehen, die sauber sein sollten, aber sie sind voller Müll, fantastische Wälder, wo man hingeht und eine Wiese voller Müll findet — das tut mir weh. Hoffen wir, dass sich mit der Änderung der Gesetze auch etwas ändert. Und wahrscheinlich auch mit Hilfe der Erziehung in der Schule und zu Hause. In diesem Sinne wünsche ich allen ein besseres und gesünderes Jahr 2021.“