Jenna Griffin: „Im Schiltal sind die Menschen sehr bodenständig“
Jenna Griffin stammt aus den Vereinigten Staaten und hat mehrere Jahre als Freiwillige in zwei Bergbaustädten im Landkreis Hunedoara gearbeitet. Sie hat am Calvin College in Grand Rapids, US-Bundesstaat Michigan, Englisch, Französisch und Kunst-Fotografie studiert. Ihre Leidenschaft ist das Klettern, und diese Leidenschaft führte sie schließlich auch nach Rumänien.
Hildegard Ignătescu und Sorin Georgescu, 18.07.2024, 17:30
Im Sommer vor ihrem letzten Studienjahr, das war 2016, kam sie zum ersten Mal nach Rumänien, um sich an einem sozialen Projekt im Schiltal zu beteiligen, der ehemaligen Hochburg des Bergbaus in Rumänien. Mit dem Projekt namens „Without Limits“ wurde eine Kletterhalle für Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Verhältnissen in Betrieb genommen. Jenna fand Gefallen an diesem Projekt, schloss die Kinder, mit denen sie arbeitete, sofort ins Herz, und verliebte sich in die Gegend, die Menschen, in die Gemeinschaft und in Rumänien im Allgemeinen. Folglich kam sie 2018 zurück und lebte einige Jahre lang in der Bergarbeiterstadt Lupeni (dt. Schylwolfsbach) im Landkreis Hunedoara. Dann zog sie in die nahegelegene Stadt Vulcan (dt. Wolkersdorf) und setzte ihre langfristige Arbeit im Rahmen des Sozialprojekts „Without Limits“ fort, einem Projekt, das im Laufe der Jahre neben dem sportlichen Teil auch einen pädagogischen Ansatz bekommen hat, an dem Jenna ebenfalls beteiligt ist.
Zunächst wollten wir wissen, wie Jenna auf die Idee kam, aus Übersee nach Rumänien zu kommen, und welche ihre ersten Eindrücke waren.
„Ich kam 2016 zum ersten Mal hierher, und zwar nur für einen Sommer. Ein Kommilitone von der Uni in den USA hatte das gleiche Praktikum hier bei »Without Limits« gemacht und er hat mich irgendwie überzeugt, mich zu bewerben. Als ich hier ankam, wuchs mir nicht nur das Projekt ans Herz, sondern ich verliebte mich auch in das Schiltal und die Gemeinschaft sowie in Rumänien im Allgemeinen.
Nach diesem Sommer wollte ich eigentlich nach Amerika zurückkehren, um mein Studium zu beenden, aber ich kam noch einmal für einen Sommer zurück, und dann wurde mir klar, dass ich gerne längerfristig hier leben möchte, weil mir die Arbeit am Projekt so gut gefiel und ich auch die Ortschaft mochte. Irgendwie fühlte ich mich wie zu Hause, auch wenn ich gar nicht zu Hause war. Es war ganz anders als dort, wo ich herkam, aber ich fand hier eine Art zweites Zuhause und beschloss zu bleiben. Nach einem Jahr in Frankreich kam ich 2018 zurück und ließ mich für längere Zeit hier nieder.“
Doch das Leben in ehemaligen Bergbaustädten wie Lupeni (Wolfsbach) und Vulcan (Wolkersdorf) ist alles andere als einfach. Die Transformation und die Deindustrialisierung des Schiltals hatten die Schließung der Minen als Folge und bewirkten ein Aufkommen von Arbeitslosigkeit und damit verbundenen Problemen wie Armut und Entvölkerung. Wir fragten Jenna Griffin nach den Herausforderungen des Umzugs und des Lebens dort.
„Ja, es war eine ziemlich große Umstellung, und ich musste mich erst an all die Kontraste gewöhnen, die ich jeden Tag sah. Wie Sie schon sagten, ist es eine Region mit vielen Problemen, viel Armut und Arbeitslosigkeit, und der Anblick von Armut ist schwer zu ertragen. Irgendwie musste ich mich daran gewöhnen, aber ich durfte auch nicht die Hoffnung verlieren und tat alles, was ich konnte, um der Gemeinschaft zu helfen. Und so entwickelten wir das Projekt »Without Limits«. Wir wollten einen Ort für die Kinder in dieser Gegend schaffen, einen sicheren Ort, an den sie kommen können, wo sie jemanden zum Reden haben, wo sie nach der Schule etwas Sinnvolles tun können und wo sie ermutigt werden, in der Schule zu bleiben und ihre Zukunft zu gestalten.
Schon 2016, als ich das erste Mal in Rumänien war, kamen viele Kinder zu uns in die Kletterhalle und sie sind bis heute bei uns geblieben. Ich konnte sie also aufwachsen sehen, konnte beobachten, wie sie sich verändert haben, wie sie sich in unseren Programmen entwickelt haben, und es gibt viele Kinder, für die das Klettern eine Leidenschaft geworden ist. Es gab viele Momente am Fels oder bei Wettbewerben, in denen wir sehen konnten, wie die Kinder den Sport genießen, und das hat uns viel Freude und Hoffnung gegeben. Es gab auch viele ergreifende Momente im Bildungsprogramm, das wir eingerichtet haben – viele Kinder, die Schwierigkeiten in der Schule hatten und vielleicht immer noch haben, entwickeln sich weiter, und man kann sehen, wie sie für ihre Zukunft kämpfen.
Wir haben versucht, so oft wie möglich auch Leseförderung für Kinder anzubieten. Es gab da einen Moment, der mir wirklich im Gedächtnis geblieben ist, ein ganz besonderer Moment, als ich einer Gruppe von Kindern aus einem Kinderbuch vorlas. Nachdem ich das Buch beendet hatte, sagte ein kleines Mädchen, ich glaube, sie war 7–8 Jahre alt, dass dies das erste Buch gewesen sei, das sie je in ihrem Leben vermittelt bekommen hatte. Das blieb mir im Gedächtnis, denn ich bin mit Büchern aufgewachsen, meine Mutter hat mir jeden Tag Bücher vorgelesen, ich glaube, seit ich geboren wurde.
Daraufhin begann ich, mit Kindergruppen in die Bibliothek zu gehen. In Lupeni gibt es eine Bibliothek, die von einer Dame eingerichtet wurde, die ebenfalls aus Amerika kommt, Brandi Bates ist ihr Name, und ich begann, jeden Freitag mit Kindergruppen in die Bibliothek zu gehen. Und dieses kleine Mädchen, das 7 Jahre alt war, als ich ihr das erste Buch vorlas, kommt jetzt regelmäßig in die Bibliothek, weil sie sich mittlerweile so sehr in Bücher verliebt hat.“
Für Jenna Griffin heißt es bald, Abschied von Rumänien zu nehmen. Sie möchte zurück zu ihrer Familie in den USA. Die Entscheidung fiel ihr nicht leicht, doch hegt sie auch die Hoffnung, irgendwann nach Rumänien zurückzukommen.
„Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die ich hier gerne noch getan hätte, aber ich hatte keine Zeit oder nur gedacht, dass ich die Zeit hätte aufbringen können. Ich glaube, in all diesen Jahren habe ich hier so gelebt, als ob ich nie weggehen würde. Ich hoffe, dass ich irgendwann zurückkommen und mehr unternehmen kann. Ich würde gerne mehr vom Land sehen, in die Dörfer gehen. Jetzt, da der Abschied naht, bedauere ich, dass ich nicht mehr Zeit mit den Menschen hier verbringen konnte, die mir sehr ans Herz gewachsen sind, es sind alle sehr, sehr gute Freunde. Diese Menschen werden immer in meinem Herzen bleiben und ich hoffe, dass ich sie irgendwann wieder besuchen kann, um mehr Zeit mit ihnen zu verbringen. Ich werde sie sicherlich sehr vermissen.
Und ich werde einiges mitnehmen nach Amerika. Hier in Rumänien – und insbesondere im Schiltal – habe ich eine gewisse Bodenständigkeit kennengelernt, eine engere Verbindung der Menschen mit der Erde, mit der Natur, mit dem Jahresrhythmus gespürt. Ich hatte viele Freunde, mit denen ich Eierschwammerl, Blaubeeren und Thymian gepflückt habe, und sie haben mir beigebracht, wie man sie pflückt, wie man Sirup, Marmelade oder den Gemüseaufstrich Zacuscă macht. Ich möchte diese Bräuche und Dinge gerne mitnehmen, um sie in Amerika nachzuerleben, aber auch um die Verbindung zur Natur nicht zu vergessen, die so wichtig ist.“