Französin mit Adoptionshintergrund auf der Suche nach ihren rumänischen Wurzeln
Marion Le Roy Dagen lebt in Frankreich, wurde aber in Rumänien geboren, wo sie als kleines Kind in einem Waisenhaus verlassen wurde. Ihre Erfahrung und die Suche nach den eigenen Wurzeln thematisiert sie in einem autobiographischen Roman.
Hildegard Ignătescu, 10.11.2020, 18:00
Marion Le Roy Dagen wurde 1976 im westrumänischen Aiud geboren, bis im Alter von 6 Jahren wuchs sie in einem Kinderheim in Alba Iulia (Karlsburg) und in Bukarest auf. Die kleine Măriuca war eines der zwei Millionen Kinder, die nach einem Dekret des Diktators Nicolae Ceauşescu aus dem Jahr 1966 geboren wurde, mit dem Schwangerschaftsabbrüche gesetzlich verboten wurden. Măriuca wurde in einem Waisenhaus untergebracht, aber ihr Leben nahm eine entscheidende Wendung, als sie als sechsjähriges Kind von einem französischen Paar adoptiert wurde.
In Frankreich bekam sie den Namen Marion. Jetzt lebt sie in Toulouse, wo sie in sozialpädiatrischen Zentren für Kinder mit physischen und seelischen Behinderungen arbeitet. 2015 hat sie in Frankreich den Verband Orphelins de Roumanie“ (Waisenkinder aus Rumänien“) gegründet, die adoptierte Kinder aus Rumänien dabei unterstützt, die eigenen Wurzeln zu entdecken. Als Teenager begann Marion sich Fragen über ihre Identität zu stellen und nach der Wende besuchte sie Rumänien, um ihre eigenen Wurzeln wieder zu entdecken.
Nach der Recherche, die jahrelang dauerte, entstand ein Buch. Neulich stellte sie in Bukarest die rumänische Übersetzung des autobiographischen Romans Das Kind und der Diktator“ vor, den sie zusammen mit Xavier-Marie Bonnot schrieb. Der Band, der 2018 in Frankreich erschien, thematisiert das Leiden eines verlassenen Mädchens und die Suche nach einer gestohlenen Kindheit:
Was ich mir mit diesem Buch vorgenommen habe, ist, zum einen den rumänischen Lesern meine Erfahrung im Waisenhaus zu erzählen, denn darüber wurde zu wenig geschrieben. Es handelt sich um ein komplexes Thema und gleichzeitig immer noch um ein Tabu. Dieses Thema sollte mit mehr Transparenz behandelt werden, aber so viele Achivdokumente aus jener Zeit wurden leider absichtlich zerstört. Für mich war es sehr wichtig, diese Erfahrung zu teilen, aber das ganze im Kontext der Ceauşescu-Diktatur, um herauszufinden, warum ich in einem Waisenhaus verlassen wurde.“
Marion Le Roy Dagen ist zum ersten Mal 1994 dank einer Wohltätigkeitsorganisation zurück nach Rumänien gekommen. Damals wusste sie nichts über ihre leiblichen Eltern, man hatte ihr gesagt, dass sie gestorben wären. Sie war 17, sie war hoffnungsvoll und wünschte sich sehr, ihr Heimatland wiederzusehen, ein Land, von dem sie mit ihren Adoptiveltern nur wenig gesprochen hatte. In Rumänien hat sie mit 23 zum ersten Mal ihre biologische Mutter Ana kennengelernt. Eine beeindruckende Geschichte, die sie im Roman Das Kind und der Diktator“ zum Ausdruck bringt:
Das Treffen mit Ana kam wie ein Schock, denn jede von uns wusste über die andere, sie wäre tot. Als Kind und dann als Teenager war ich ständig auf der Suche nach Antworten, aber es war erfolgslos, was mir ein großes Leiden bereitete. Ich brauchte diese Antworten, aber ich schaffte es nicht, mit meinen Adoptiveltern darüber zu sprechen, denn das Thema war tabu für sie. So wie ich im Buch zeigte, war das kommunistische Rumänien für sie auch ein kultureller Schock. Sie wollten darüber nicht sprechen. So entschied ich mich, meine eigenen Antworten selber zu suchen. Dafür musste ich zurück nach Rumänien, wo meine Wurzeln sind. Im Jahr 2000 war ich in Rumänien mit einer franzöischen NGO in der Region Hunedoara, in Siebenbürgen, wo ich geboren wurde, ich kann also sagen, dass im Leben nichts zufällig ist.“
Marion ist dann oft zurück nach Rumänien gekommen, über ihr Heimatland sagt sie, es wäre ihre dritte Mutter. Rumänien sei ein Ort, der sie inspiriere und wo sie hingehöre. Ihr Roman hat ein großes Interesse in Frankreich geweckt, dort gibt es viele Fälle wie jenen Marions. Sie ermutigt alle adoptierten Kinder, ihr Selbstvertrauen aufzubauen und zu stärken und ihre eigenen Wurzeln zu suchen. Sie empfindet keine Verbitterung gegenüber der Vergangenheit, sie ist der Ansicht, dass die Vergangenheit aufgearbeitet werden soll, damit wir dieselben Fehler nicht wiederholen und damit wir die Gegenwart besser verstehen können:
Ich habe mehrmals von Rumänen gehört, sie fühlen sich schuldig für die Kinder, die in ihrem Land verlassen wurden. Sie sind meiner Anicht nach zu hart gegenüber sich selbst, man muss die Sachen im damaligen Kontext sehen. Was in den Waisenhäusern passierte, war genau das, was im ganzen Land passierte; das Leben war schwer, und mit jedem Tag schwand die Hoffnung. Ich habe kein Recht, über die anderen zu urteilen, denn wir haben eine gemeisame Geschichte, die wir anders erlebt haben. Wir machen keinen Schritt nach vorne, wenn wir die anderen für ihre Entscheidungen kritisieren. Was ich mir mit diesem Buch wünsche, ist, einen Dialog aufzunehmen, über diese Sachen und unsere Vergangenheit zu sprechen und nicht verbittert zu bleiben. Was geschehen ist, ist geschenen, Hauptsache ist, dass wir es verstehen und dass wir es das nächste Mal anders machen.“