Ariel Pontes aus Brasilien: „Rumänien ist etwas konservativ, aber auch kosmopolitisch“
Seit 10 Jahren lebt der reiselustige Informatiker, der auch Philosophie studiert hat und bekennender Atheist ist, in Rumänien. In unserem Gespräch vergleicht er die Lebensweise in seiner Heimat Brasilien mit jener anderer Länder, in denen er gelebt hat.
Hildegard Ignătescu und Sorin Georgescu, 22.02.2024, 17:30
Ariel Pontes kommt aus Rio de Janeiro, Brasilien. Er hat an der Katholischen Universität in seiner Heimatstadt Technische Informatik studiert und arbeitet heute als Programmierer. Später hat er ein Masterstudium in analytischer Philosophie an der Bukarester Universität belegt. Er hat auch an mehreren Projekten der Vereinten Nationen und der EU-Kommission im Zusammenhang mit dem Klimawandel mitgearbeitet. In der rumänischen Hauptstadt hat er einen kleinen Verein namens Effective Altruism Romania gegründet und – als bekennender Atheist – ist er auch als Volontär beim Säkular-Humanistischen Verein Rumäniens (ASUR) tätig.
Zunächst wollten wir von Ariel Pontes wissen, wie seine rumänische Geschichte begonnen hat.
„Ganz kurz gefasst – meine ehemalige Frau ist Rumänin, und so bin ich hier gelandet. Die längere Geschichte ist etwas komplizierter. Wir lernten uns 2009 kennen, 2010 begannen wir eine Beziehung und 2014 kamen wir nach Cluj (Klausenburg), wo wir eine Zeitlang auch blieben. Danach zogen wir nach Bukarest für mein Masterstudium. Ich träumte schon lange davon, aus Brasilien wegzuziehen, wollte viel reisen. Ein Jahr habe ich in Schweden als Austauschstudent gelebt. Ich wollte zunächst nach Schweden, weil das Land so unterschiedlich zu Brasilien ist – es ist kalt im Winter, und es gibt viele Atheisten und Heavy-Metal-Bands dort – das hat mich angezogen! In Brasilien, vor allem in Rio, ist es ganz anders – dort haben wir Tanz, Farbenfröhlichkeit und Glücksversprechen, warmes Wetter, Strände und viele Schönheits-OP. Doch in Schweden fiel es mir schwer, mich mit den Einheimischen zu befreunden. Die meisten ausländischen Studenten blieben unter sich, wurden Freunde, und so hatten wir eine große internationale Clique, die sich kaum für die schwedische Gesellschaft interessierte. Nach meiner Auffassung gibt es immer mehr Abkapselung und Segregation in unseren Gesellschaften – in Schweden leben viele Einwanderer in gesonderten Vierteln, und auch dort gibt es dann weitere Subkulturen.
Mein ursprünglicher Plan war, nach Kanada zu ziehen, doch aufgrund der Beziehung zur meiner rumänischen Frau beschloss ich, nach Rumänien zu kommen. Mein erster Eindruck war, dass Rumänien im Vergleich zu Brasilien und zu Schweden irgendwo dazwischen liegt: Die Alltagskultur ist nicht so oberflächlich wie in Rio, aber es ist auch nicht so kalt wie in Schweden oder Kanada. Also habe ich mich recht schnell eingelebt, und das war auch nicht schwer, weil mich das Neue begeisterte. Da ich Französischunterricht in der Schule gehabt hatte, konnte ich relativ schnell Rumänisch lernen. Auch in Schweden hatte ich viel Gelegenheit gehabt, mit französischen Kommilitonen zu sprechen, was mir beim Spracherwerb geholfen hat – und natürlich auch die Nähe des Rumänischen zum Portugiesischen.“
Ariel Pontes lebt nun seit 10 Jahren in Rumänien. Was hat sich für ihn in dieser Zeit verändert?
„Es gibt gute und weniger gute Entwicklungen. Was mir kompliziert vorkommt, ist, dass Rumänien in einigen Aspekten konservativer ist. Gleichgeschlechtliche Ehen beispielsweise sind hier gesetzlich nicht erlaubt, in Brasilien gibt es die Ehe für alle. In Brasilien sieht man zwar auf der Straße gleichgeschlechtliche Menschen Händchen halten, aber gleichzeitig gibt es auch mehr Extremismus, also auch eine offen gelebte Homophobie. Es gibt also eine stärkere Polarisierung in Brasilien. Hier sind Schwule nicht so sichtbar, daher sieht man auch nicht so krasse Fälle von Homophobie. Generell scheinen die Menschen hier kontroverse Debatten zu vermeiden, auch in der Familie.“
Was gefällt dem Brasilianer am meisten in Rumänien?
„Es ist schwer, zu sagen, was mir hier gefällt, wenn ich vorher nicht überlege, was mir in Brasilien und vor allem in Rio nicht gefällt: Dort gibt es in meiner Auffassung eine viel zu oberflächliche Lebenskultur. Statistisch gesehen gibt es in Rio sehr viele Schönheits-OP, und der ganze Bereich boomt regelrecht. Es gibt auch toxische Maskulinität und eine ausgeprägte Pick-up-Kultur in Brasilien. Unter Männern scheint es eine Art Wettbewerb zu geben, wer von ihnen mehr Frauen aufreißt. Männer unter sich reden oft offen über ihre Seitensprünge und prahlen damit. In Rumänien sind die Männer etwas zurückhaltender. In Brasilien sind die Menschen auch viel abergläubischer als hier. Sicherlich gibt es auch in Rumänien Aberglaube, doch in Brasilien ist es extrem. Dort glauben die Menschen jeden Unfug, und selbst wenn sie gläubige Katholiken sind, gehen sie auch zu irgendwelchen Zauberern.
Hier ist das Verhältnis zwischen den Geschlechtern viel entspannter, Männer wie Frauen verhalten sich natürlicher. Generell sind die Menschen freundlicher und offener. Und es gibt ein größeres Interesse für geistige Debatten, ich habe sehr interessante Philosophen an der Uni erlebt. Als EU-Land ist Rumänien auch kosmopolitisch. Ich bewege mich in einem international geprägten Milieu, habe Freunde aus unterschiedlichen Ländern, bei unseren Treffen im Verein reden wir oft auf englisch untereinander. In Brasilien wäre dies unvorstellbar. Hier sprechen viele Menschen sehr gut Englisch – das hat mich wirklich überrascht. Zumindest im städtischen Milieu sprechen alle Englisch, in Brasilien – kaum jemand.“
Wie viele andere Ausländer stört sich Ariel Pontes an der Korruption und den konservativen Ansichten in Rumänien, aber auch am Verkehr in der Hauptstadt Bukarest.
„Abgesehen von der Korruption, die in Brasilien ein vielleicht noch größeres Ausmaß hat, erscheint mir hier ein gewisser Konservatismus als problematisch. Beispielsweise müsste die öffentliche Politik sich mehr an Fakten und erwiesenen Tatsachen orientieren, anstatt auf Emotionen oder religiöse Überzeugungen zu setzen. Das lässt meiner Meinung nach Rumänien etwas nachhinken.
Und in Bukarest gibt es viel zu viele Autos – die Gehsteige sind regelrecht zugeparkt! In Klausenburg hat mich das nicht so gestört, aber hier in Bukarest kann man wirklich kaum einen Fuß vor den anderen setzen, ohne sich an Autos vorbeischlängeln zu müssen. Es bräuchte mehr Parkplätze, und neue Gebäude müssten von vorne rein mit dazugehörenden Parkanlagen errichtet werden.“
Zum Schluss wollten wir von Ariel Pontes noch wissen, ob er etwas aus seiner alten Heimat Brasilien vermisst.
„Mir fehlt manchmal das brasilianische Essen, insbesondere bestimmte Gerichte; aber jedes Mal, wenn ich dort bin, kann ich das nachholen; und ich gönne mir jede Speise und jedes Getränk, die ich vermisst habe. Und natürlich vermisse ich auch meine Familie, doch so ist es nun mal, wenn man fern der Heimat lebt. Im Alltag denke ich nicht an eine Rückkehr. Demnächst möchte ich noch eine unbestimmte Zeit in Rumänien bleiben.“