Theateraufführung als Vergangenheitsforschung: „Das versunkene Jahr. 1989“
1989 – das Jahr der Wende in Mittel- und Osteuropa. Die blutige Revolution in Rumänien war der letzte Akt, mit dem der Eiserne Vorhang niedergerissen wurde. Das ist das Thema eines Theaterstücks, das unlängst in Bukarest Premiere feierte.
Luana Pleşea, 22.12.2015, 17:47
Wenn man die Menschen in Rumänien fragt, womit sie das Jahr 1989 in Verbindung bringen, kommt sofort die logische Antwort: mit den Dezembertagen, an denen die Revolution stattfand. Zu dem Schluss kamen auch der Drehbuchautor Peca Ştefan und die Regisseurin Ana Mărgineanu. Sie versuchten sich in einer Rekonstruktion der 11 Monate vor der Wende. Die Initiative wurde künstlerisch konkretisiert — mit der Aufführung Das versunkene Jahr. 1989“. Die Premiere des Stücks fand vor kurzem am Kleinen Theater in Bukarest statt.
Aus ihrer Idee soll eine ganze Reihe entstehen, erzählt die Regisseurin Ana Mărgineanu.
Die Aufführung ist Teil eines Projekts, das wir in den folgenden Jahren begleiten wollen, es heißt »Das versunkene Jahr«. Der Hauptgedanke dabei ist, jeweils ein vergangenes, verblichenes Jahr auszuwählen und zu schauen, woran wir uns in Verbindung mit diesem Jahr noch erinnern können. Und dabei Forschungsarbeit zu betreiben, diesmal wollen wir nicht in den Akten, Zeitungen oder dem Archiv recherchieren, sondern das Mikrouniversum erforschen, die menschliche Ebene. Praktisch wollen wir das künstlerische und technische Team der zukünftigen Aufführung zusammenbringen und sehen, woran sich jeder noch erinnern kann und was das betreffende Jahr für jeden von ihnen bedeutet hat. Und aufgrund dieser Geständnisse wollen wir ein Theaterstück schreiben, das genau unsere Erlebnisse aus dem jeweiligen Jahr subjektiv widerspiegelt.“
1989 — ein ausschlaggebendes Jahr für die Geschichte Europas, ein Jahr, in dem eine Welt durch eine neue ersetzt wurde. Dass genau dieses Jahr für den Auftakt des Projektes Das versunkene Jahr“ ausgewählt wurde, ist wohl eine selbstverständliche Entscheidung gewesen. Das glaubt auch Peca Ştefan, der Autor des Drehbuchs für die Aufführung am Kleinen Theater in Bukarest.
Wir haben darüber gesprochen, dass wir uns lediglich an die Dezembertage des Jahres 1989 erinnern, weil es ein Trauma war. Nach einem Trauma bleibt der Moment, den man immer wieder lebt. Aber die 11 Monate vor dem Ereignis sind wirklich verblichen, sie sind verloren gegangen, obwohl sie sehr interessant sind. Es gab sehr viele Hinweise darauf, dass etwas passieren würde. Weltweit gab es große Umwälzungen, auch in Europa. In Rumänien hatte man das Gefühl, dass alles eingefroren war, dass die Zeit stillstand, dass man in der Luft hing. Das waren ungefähr unsere Gefühle. Und bei all den Gesprächen, die wir führten, ist das der rote Faden gewesen. Es war eine Art Winterschlaf und ein explosionsartiges Aufbäumen. Es gab auch viele andere Dinge unter dem Teppich, die herausgewachsen sind, bis es nicht mehr ging, und so kam die Wende, die leider nicht friedlich wie in den anderen sozialistischen Ländern herbeigeführt wurde, sondern mit menschlichen Opfern.“
Der bunte Glasfisch, die Knüpfarbeiten, Schlange stehen beim Orangenkauf, der Winter, die grünen Bananen, in Zeitungspapier verpackt und zum Reifen auf den Schrank gestellt. Der Sommer, in dem ich meinen Mann mit einer anderen bei uns im Bett erwischt habe, danach ließen wir uns auch scheiden. Der Turbo-Kaugummi mit Überraschungsbildern. Das Pegas-Fahrrad. Vor dem Kleinen Theater standen die Menschen an, um Karten zu kaufen, obwohl es kalt war und im Saal auch Ratten hausten. Witze über Ceauşescu im Flüsterton erzählt. Ein Mädchen hatte eine Dauerkarte für die Freitagkonzerte der Philharmoniker.“ Das sind die Erinnerungen des künstlerischen und technischen Teams der Aufführung Das versunkene Jahr 1989“, die von Peca Ştefan und Ana Mărgineanu für eine intime, persönliche Rekonstruktion des Jahres 1989 verwendet wurden. Die Mitglieder des Teams sind aus den unterschiedlichsten Jahrgängen, was die Rekonstruktion sehr interessant macht. 1989 waren die ältesten 38 Jahre alt, sagt der Autor Peca Ştefan.
Das war irgendwie auch unser Ausgangspunkt. Ich bin jetzt 33 Jahre alt. Ich habe mich gefragt: Was hätte ich gemacht, wenn ich 1989 33 Jahre alt gewesen wäre? Das ist ein Paralleluniversum, in das wir eingetaucht sind, denn dieses Projekt nimmt sich vor, auch die Brücken zu untersuchen, die es zwischen dem verschwundenen Jahr und dem heutigen Jahr gibt. Das ist unser Versuch eines ehrlichen Unterfangens. Dadurch wird es relevant. Es ist ein ehrlicher, oder es sollte ein ehrlicher Blick sein. Ich glaube, dass das uns in all dieser Zwischenzeit gefehlt hat. Das haben wir 1989 und unmittelbar danach, 1990, nicht gemacht… Nämlich einen sehr ehrlichen, sehr harten und unbarmherzigen Nullpunkt. Es ist eine Art Ehrlichkeit und die Verantwortung für einen Standpunkt. Wir haben diese Ehrlichkeit erstickt und uns in einer Heuchelei gesuhlt, die diese Gesellschaft auszeichnet. Unsere Gegenwart ist auf einer großen Lüge aufgebaut. Wir sind Mutanten, die zwischen allerlei Ängsten und Komplexen herumschwirren — und das ist überall sichtbar. Ich glaube, dass wir in diesem Projekt generell nach Mutationen Ausschau halten.“
In der Besetzung des Stücks Das versunkene Jahr. 1989“ von Peca Ştefan, unter der Regie von Ada Mărgineanu, sind die Schauspieler Gheorghe Visu, Maria Ploae, Mihaela Rădescu, Toma Cuzin, Isabela Neamţu, Viorel Cojanu und Virgil Aioanei. Das Projekt Das versunkene Jahr“ wird im kommenden Jahr am Jugendtheater in Piatra Neamţ fortgesetzt. Dabei soll ein Jahr aus den 1990ern ausgewählt werden.