Rumänisch-amerikanischer Schriftsteller Andrei Codrescu auf Lesetour in Rumänien
Der Dichter und Prosaautor Andrei Codrescu geht auf Lesetour durch ganz Rumänien. Der im siebenbürgischen Hermannstadt geborene Schriftsteller lebt seit 50 Jahren in den USA, wo er einen ausgezeichneten Ruf genießt.
Corina Sabău, 11.10.2016, 17:45
Im Herbst erschien im Verlag Caiete Silvane der zweisprachige Band des Prosaautors und Dichters Andrei Codrescu The Art of Forgetting / Die Kunst des Vergessens“ in der Übersetzung von Alexandru Oprescu. Aus diesem Anlass startete der Schriftsteller einen landesweiten Lesemarathon. Zwischen dem 4. und dem 9. Oktober nahm er auch am 4. Internationalen Literaturfestival Transilvania“ im mittelrumänischen Cluj (Klausenburg) teil. Der Schriftsteller sagte in einem Interview mit der Kulturzeitschrift Observator Cultural“ über seinen zweisprachigen Band:
Als ich für diesen Band zu schreiben anfing, nahm ich mir vor, auf rhetorische Stilmittel wie Metaphern zu verzichten, die den Text ausschmücken. Ich wollte ein direktes Gedicht schreiben, das sich von meiner bisherigen Schöpfung im Bereich Lyrik unterscheidet. Mein Gedicht sollte dennoch, so wie es die Lyrik verlangt, kompliziert bleiben. Ich habe existenzielle Lyrik geschrieben, die für mich als Anerkennung meiner Erlebnisse und meiner Lebenserfahrung gilt. Ich thematisiere zu Beginn die Beziehung zu meiner 93-jährigen Mutter, die sich im Laufe der Zeit viel verändert hat, und zum Abschluss ein langes Gespräch des Propheten Jesaja mit Gott, als Figur des einzigartigen Vaters, ein Gespräch, in einem familiären Ton verläuft. Jesaja ist zu Tode erschrocken und Gott leidet an Verdauungsstörung.“
Was bedeutet überhaupt, Dichter zu sein? Dazu Andrei Codrescu im Interview mit Observatorul Cultural“:
Dichter sein bedeutet vorerst, frei und bewusst zu sein. Diesen Sinn des Lebens zu finden, ist sehr schwer in einer von Geiz und Lüge verzerrten Welt. Gedichte zu schaffen, bedeutet gleichermaßen Freude und Kampf.“
Die Fakultät für Sprachwissenschaft und Literatur der Klausenburger Universität Babeş-Bolyai“ widmete dem Dichter und Prosaautor eine Konferenz, moderiert von der Schriftstelelrin Ruxandra Cesereanu, die dabei den Band The Art of Forgetting / Die Kunst des Vergessens“ präsentierte. Ruxandra Cesereanu sagte über den Gedichtband von Andrei Codrescu:
Ein zentrales Gedicht dieses Bandes ist das erste, »Der Fotograf«. Die Mutter von Andrei Codrescu ist Fotografin in Hermannstadt, daher setzt sich der Dichter in diesem Gedicht mit der Kraft der Schnappschüsse auseinander. Dieser Band enthält allerdings einige Schnappschüsse eines Lebens, die eine Brücke über die Zeit, zwischen der Heimatstadt des Dichters, Hermannstadt, und Amerika schaffen, also das Gedicht und der Band sind wie ein grenz- und zeitüberschreitendes Bild. Ein weiteres wesentliches Gedicht, das den Kern des ganzen Buches enthält, ist »Bilingvism« (Zweisprachigkeit). Es handelt sich um ein Gedicht, das weder Neverland noch ein No man’s land thematisiert, sondern eher das sogenannte Codresculand. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Idee, dass Zweisprachigkeit zu einer kulturellen Matrix wird. Andrei Codrescu ist ein zweisprachiger Autor, der leicht von einer Sprache in die andere wechselt und ständig mit den beiden umgeht. Andrei Codrescu bringt die Zweisprachigkeit zu einer neuen und einmaligen Ebene, ich kenne keinen anderen Dichter, der im Rumänischen in dieser Art mit der Zweisprachigkeit umgeht.“
Die Werke von Andrei Codrescu wurden zum größten Teil auch ins Rumänische übersetzt. Im Verlag Curtea Veche Publishing erschienen in der dem Schriftsteller gewidmeten Serie die Bände Lecţia de poezie“ (Die Lyriklektion“) im Jahr 2014, Ay,Cuba! O călătorie socio-erotică“ (Ay Cuba, eine sozio-erotische Reise“) im Jahr 2012, Ghid Dada pentru postumani — Tzara şi Lenin joacă şah“ (Dada-Leitfaden für die posthumane Gesellschaft — Tzara und Lenin spielen Schach“) (2009), Prof pe drum“ (Lehrer unterwegs“) (2008) und Gaura din steag — Povestea unei reveniri şi a unei revoluţii“ (Das Loch in der Fahne. Die Geschichte eines Exilrumänen über Rückkehr und Revolution“) im Jahr 2008. Der Dichter und Prosaautor ließ sich mit 19 Jahren in den USA nieder. Dort ist er Herausgeber der Zeitschrift Exquisite Corpse: a Journal of Letters & Life“, Autor einer Kultursendung im öffentlichen Radio und war auch emeritierter Professor für englische Literatur und Komparatistik an der Universität Louisiana State University.
Im Jahr 1989 kehrte Andrei Codrescu nach Rumänien zurück, um über die antikommunistische Revolution und den Sturz des Diktators Nicolae Ceauşescu live zu berichten. Die politischen Ereignisse des Jahres 1989 beschreibt er im Buch Das Loch in der Fahne“, das zwei Jahre später von der New York Times mit der Auszeichnung Notable Book of the Year“ geehrt wurde. Seine Essays, die sich mit dem Zerfall des Kommunismus auseinandersetzen, wurden in mehreren Bänden gesammelt, darunter: The Disappearance of the Outside“ (1991), Zombification“ (1994) und The Dog with a Chip in His Neck“ (1996) — die letzteren zwei erschienen im Verlag St. Martin’s Press.