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Mental Health Film Festival: das Wagnis, über psychische Gesundheit offen zu sprechen

Die Psychoterapeutinnen Raluca Bejenariu und Teodora Popescu haben sich zusammen mit dem Künstler Dan Basu vorgenommen, mittels Filmvorführungen ein Gespräch über psychische Gesundheit zu initiieren. Ein Gastbeitrag von Ada Zsigmond, Psychologin.

Mental Health Film Festival: das Wagnis, über psychische Gesundheit offen zu sprechen
Mental Health Film Festival: das Wagnis, über psychische Gesundheit offen zu sprechen

, 17.05.2023, 13:30

In der östlichen Stadt Iaşi gibt es im Monat Mai neben seinen etablierten Kulturinstitutionen ein vielseitiges Sonderangebot an Veranstaltungen. Kaum ist Irina Margareta Nistors Festival für Film und Psychoanalyse Ende April und eine kleine Ausstellung mit naiver Kunst aus der Region Moldau vorbei, beginnen auch schon das Internationale Festival für Poesie und eine Reihe von drei Konzerten mit Orientalischer Musik aus Rumänien, Istanbul und Teheran. In diesem Beitrag richten wir unsere Aufmerksamkeit auf das Mental Health Film Festival, das in seiner zweiten Edition vom 4. bis 7. Mai stattgefunden hat.



So oder ähnlich kann sich das Nachdenken über sich selbst in der Welt anhören. Die Gedanken stammen aus Henry David Thoureaus Walden oder Leben in den Wäldern“ und sind unter anderen von Gellu Naum, Max Blecher, Rose Ausländer, Paul Celan, Herta Müller oder Eugen Ionesco für einen der Festivalfilme: Printre Lumi si Printre Pereti“ / „Zwischen der Welt und den Wänden – eine Reise durch die ROavant:garDE“ von 2021 vertont worden — eine Audiovorstellung von Florian von Hoermann, Julia Schultz und dem derzeitigen Leiter der Deutschen Abteilung am Radu Stanca Theater in Hermannstadt, Hunor von Horvath, unterlegt mit Visualkunst von Dan Basu. Der Künstler Dan Basu und die zwei Psychotherapeutinnen von In Dialog“, Raluca Bejenariu und Teodora Popescu, veranstalten das Festival gemeinsam, und haben sich auch dieses Jahr vorgenommen mittels Filmvorführungen ein Gespräch über psychische Gesundheit sowie über die wichtigen und komplexen menschlichen Probleme aus der unmittelbaren Realität zu initiieren, und dabei die menschliche Erfahrung zu würdigen.



Teodora Popescu: Die Idee stammte von mir und kam mir ebenfalls durch ein Filmfestival in 2019, namens Pelicam, das in Tulcea stattfand, ein Filmfestival das der Umwelt und dem Umweltschutz gewimdet war und das leider nicht mehr existiert. Ich kam wieder und erzählte Raluca, dass ich auf diesem sehr coolen Filmfestival war – mit vielen Gesprächen nach den Filmvorführungen, Parties und Spaziergängen in der Donaudelta. Es erschien mir als ein geeigneter Kontext, in dem man viele Menschen versammeln und sensible Themen besprechen kann, wie es auch der Umweltschutz ist: ein wichtiges, aber schwer zu besprechendes Thema. Ich schlug Raluca vor, ebenfalls ein Filmfetsival zu veranstalten, und zwar zum Thema psychische Gesundheit“, da wir beide Psychotherapeutinnen sind und dies das Thema ist, das uns am Herzen liegt. 2020 haben wir nicht mehr viel über die Idee gesprochen, und 2021 haben wir Dan in einem informellen Kontext getroffen. Er ist Visualkünstler und lebt in Bukarest. Wir erzählten ihm von unserer Idee, über die wir mit Unterbrechungen schon seit zwei Jahren nachdachten, und noch nichts davon umgesetzt haben, und er schlug vor, uns einmal zusammenzusetzen, was wir auch gemacht haben; er hat die Facebook- und die Instagramm-Seiten erstellt und im August 2021 haben wir damit begonnen, die erste Ausführung des Festivals in 2022 konkret zu organisieren.“



Das Festival ist ein bereits bewährtes, viertägiges Programm aus: 8 Filmen mit anschlie‎ßenden Publikumsgesprächen in Anwesenheit der Regisseure und Regisseurinnen, einer Dialogsparte aus 3 Podiumsdiskussionenund jeden Abend eine Party mit DJs und Djanes, wo das Publikum in ausgelassener Atmosphäre über die Vorführungen und Gespräche sowie über das Thema psychische Gesundheit“ in Austausch kommen kann. Die diesjährigen Filme, in der Mehrzahl solche rumänischer Filmemacher und Filmemacherinnen, sprachen Themen an wie: das Leiden der Ideale und allgemein der Psyche unter dem Druck von Seilschaften und Korruption in der Transition hin zu einem robusteren Rechtsstaat und mehr Transparenz, wie es der Film De ce eu?“/ Warum ich?“ aus 2015 in der Regie von Tudor Giurgiu beispielhaft darstellt, das Trauma des sexuellen Missbrauchs im Kindesalter und dessen therapeutische Verarbeitungsmöglichkeiten (Les Chatouilles“, 2018, Regie Andréa Bescond und Eric Metayer), oder das allgegenwärtige Thema der Arbeitsmigration und der massenhaften Auswanderung aus Rumänien nach Westeuropa, wie es der Dokumentarfilm Emigrant Blues: un Road Movie în 2 ½ Capitole“ / Emigrant Blues: Ein Road Movie in zweieinhalb Kapiteln von Mihai Mincan und Claudiu Mitcu zeigt.



Raluca Bejenariu: Im Moment ist der Auswahlprozess der Filme und Podiumsgäste ein interner, den wir zu dritt machen. Die Kriterien für unsere Entscheidungen entstammen der direkten Beobachtung von Problemen, die wir um uns herum wahrnehmen, in einem weiten Sinne. Zudem wäre es unfair nicht zu erwähnen, dass uns auch Themen durch unsere Klienten in der therapeutischen Praxis zulaufen. Es gibt eine Wiederholung gewisser Themen, was uns hilft, unsere Filme auszuwählen. Ebenso wählen wir auch unsere Gäste aus: Menschen, die eine gewissen direkte Erfahrung oder Vorbildung haben auf den Themengebieten, die wir setzen. Das waren bisher Phänomene, die sehr beschäftigen: die Migration, die sich auf unsere Gesellschaft stark auswirkt, verschiedene Formen von Misbrauch, die Herausforderungen von Menschen, die hohe Leistungen erbringen, zu denen wir hinaufschauen und denen wir nacheifern, aber nicht über die Schwierigkeiten sprechen, denen sie begegnen. Und Burnout ist auch ein Thema, das in einem der Podiumsdiskussionen in diesem Jahr besprochen wird.“



Die Dialoge auf dem Podium zwischen jeweils zwei eingeladenen Gästen aus Kultur, Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen ergänzen die Filmthemen. So unterhielten sich der Publizist Alex Tocilescu und Kultur-Entrepreneur Ștefan Teișanu über das genannte Thema Burnout im Feld der Kulturarbeit und des zivilgesellschaftlichen Engagements, und der Regissuer Tudor Giurgiu und Kunsthistoriker Erwin Kessler über die Rolle der Kunst in dem öffentlichen Gespräch über das psychische Befinden. Und Valer Simion Cosma und Radu Umbres berichteten als Historiker beziehungsweise Anthropologe über ihre Feldforschung in den ländlichen Regionen Moldaus und Siebenbürgens – und darüber, wie die Perpektivlosigkeit und die Abwanderung aus dem ländlichen Gebiet, aber auch das Zurückkehren oder das Zurschaustellen von Wohlstand das gemeinschaftliche Miteinander und das individuelle Befinden von jungen wie alten Einwohnern und Einwohnerinnen verändern. Raluca Bejenariu: Mir scheint, dass es nicht nur bei uns zu einem dominierenden Narrativ geworden ist, über Mental Health zu sprechen, also ist nun, nachdem bereits viel über Umweltschutz, Nachhaltigkeit, Regeneration gesprochen wird, der passende Augenblick für Gespräche über Mental Health gekommen.



Wahrscheinlich auch herbeigeführt durch die geschichtlichen Ereignisse, die wir erleben: die Pandemie, der Ausbruch des Krieges in der Ukraine, der bis heute anhält — Ereignisse, die uns eindeutig geprägt haben und vielleicht bestimmte Reaktions- und Abwehrmechanismen der Menschen verstärkt haben, die nun sichtbarer geworden sind. Vielleicht sind die Gesellschaften in Westeuropa eher daran gewöhnt, dass in den Prozess der psychischen Genesung und persönlichen Entwicklung ein Therapeut, ein Coach eingebunden ist, während das bei uns nicht so vorausgesetzt werden kann, weil die Menschen es sich nicht leisten können, eine Therapie zu bezahlen. Zudem hatten wir als Generation unsere Strategien, den Dingen standzuhalten und uns durchzuschlagen – Strategien, die vielleicht wieder in den Fokus gerückt werden sollten: Wie haben wir es bisher durch solche krisenhaften Situationen geschafft?



Wie es auch der Name unseres Vereins sagt, sind wir der Ansicht, dass solange der Dialog aufrecht erhalten wird, solange wir noch über etwas sprechen, ist das eine sehr wichtige Quelle für Lösungen, Beruhigung, neue Perspektiven.“ Teodora Popescu sagte ihrerseits: Das ist ein wichtiger Einsatz unseres Festivals: wir möchten vermitteln, dass es nicht alleine die fachlich spezialisierte Unterstützung sein muss, die einer Person dazu verhilft, emotional schwierige Phasen zu überwinden. Natürlich gibt es die klinischen Fälle, in denen die fachgerechte Behandlung notwendig ist. Aber die psychische Gesundheit kennzeichnet sich nicht alleine durch die Abwesenheit einer Depression oder von Angstzuständen, sie ist umfassender und komplexer. Und wir hoffen, dass unser Festival es herbeiführt, in einem entspannten Kontext über schwierige Themen zu sprechen, aber eben zu sprechen.“ Und wie wird das Gesprächsangebot von Publikum angenommen? Dazu Raluca Bejenariu: In unserer Wahrnehmung senden uns viele Menschen die Botschaft, dass ein Festival zum Thema Mental Health nötig war, und dass sie sich freuen, dass wir ihn veranstalten. Es gibt eine gro‎ße Öffnung, über das Thema zu sprechen“.



Teodora Popescu: Ich würde sagen, unser Publikum ist unterschiedlich: einige kommen, um Filme zu sehen, andere, weil sie auf das Thema neugierig sind, und andere wiederum sind insgesamt an dem Konzept interessiert. Ich denke, das ist die beste Darstellung der Publikumssegmente, die wir erkannt haben. Ich beobachte sehr viele junge Erwachsene und Studierende – dieses Jahr wollen wir auch einige demographische Daten mittels unserer Webseite erheben. Jedenfalls war es für uns letztes Jahr in der ersten Ausführung überraschend, dass so viele Menschen gekommen sind, dass der Gro‎ßteil der Veranstaltung ausverkauft war. Und eine weitere Rückmeldung betrifft die Zufriedenheit darüber, dass wir das Festival in Iasi ausrichten.“



Das Publikum hat den Filmemachern und Filmemacherinnen sowie den Gästen auf dem Podium eine Diskussion voller Gehalt“ geboten, wie Tudor Giurgiu die Interaktion schätzend beschrieben hat. Zudem erfreute sich das Festival dieses Jahr sowohl einer gro‎ßen Unterstützung durch sehr engagierte junge Freiwillige aus der Stadt, als auch des Zuspruchs seitens der prominenten Podiumsgäste, die durch ihre Anwesenheit und ihre Beiträge das Anliegen des Festivals gewürdigt haben. Das motiviert das Dreierteam, über das Wagnis einer Edition in der diesjährigen europäischen Kulturhauptstadt Temeswar nachzudenken. Teodora Popescu: Ich habe das war wir tun noch nicht als ein Wagnis betrachtet. Es war uns wohl nicht bewusst. Natürlich haben wir unsere berufsbedingten Filter und schauen auf eine andere Weise auf Probleme, die auf andere Menschen eine fesselnde Wirkung haben. Ich denke, hier kommt der Mut her.“



Denn mutig ist das Festival allemal — als ein gut durchdachter Versuch, im Rahmen einer nicht zu kleinen aber auch nicht zu gro‎ßen Stadt der inneren Erfahrung Bild und Sprache zu widmen sowie Raum für einen öffentlichen und spontanen Dialog.




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