Interaktive Theateraufführung nach Text von Duncan Macmillan
Die Theateraufführung Tausend gute Gründe“ des Regisseurs Horia Suru wirft wichtige Fragen auf – eine davon: Weiß man heute wirklich, das Leben und die geliebten Menschen zu schätzen?
Luana Pleşea, 08.02.2017, 18:09
Ende Januar hat die Aufführung Tausend gute Gründe“ in der Regie von Horia Suru ihre Premiere im unkonventionellen Theaterraum POINT gefeiert. Die Hauptrolle bekleidet der Darsteller Florin Piersic Jr. Es handelt sich um die Theateradaption nach dem Stück Every Brilliant Thing“ von Duncan Macmillan. Laut dem Theatermacher Horia Suru und dem Schauspieler Florin Piersic Jr. werfe die Aufführung wichtige Fragen auf: Sind wir bereit, für die Menschen die wir lieben, alles zu machen, wissen wir wirklich, das Leben zu schätzen? Dazu der Regisseur:
Es handelt sich um die Geschichte eines Menschen, der sein Leben mit all den schlechten und guten Momenten lebt. Ein Mensch, der eigentlich jeder von uns sein kann, dem nichts Außergewöhnliches passiert und schwierige Lebenssituationen bewältigen muss. Seine Erlebnisse sind, wie erwartet, sowohl positiv als auch negativ.“
Als sie bereits als Kind am Scheideweg stand, entscheidet sich die Hauptgestalt von Tausend gute Gründe“, eine Liste zu schreiben, in der verschiede Gründe standen, das Leben zu lieben. Als Erwachsener vergisst sie nicht ihr Vorhaben, sondern setzt die Liste fort. Der Regisseur behandelt ein mutiges Thema und das Publikum greift interaktiv ins Bühnengeschehen ein, ohne dass es zu einer Art Stand up Comedy kommt. Diese Art von Theater bringe auch ein paar Risiken mit sich, sagt Horia Suru:
Was mich besonders interessierte, war, diese Atmosphäre zu schaffen, in der man, egal woher man kommt und wie man das Theaterstück wahrnimmt, willkürlich und voller Sicherheit daran teilnimmt. Es ist ganz wichtig für den Zuschauer, dass er bei interaktiven Theateraufführungen nicht vor die Tatsache gestellt, als Werkzeug benutzt wird, damit sich die anderen auf Kosten des Zuschauers amüsieren. Hier amüsiert sich niemand auf Kosten des anderen, sondern man bringt eine Geschichte zum Ausdruck. Der Text an sich braucht den direkten Eingriff des Publikums, unsere Theateradaption sogar mehr als der ursprüngliche Text. Ich bin der Ansicht, dass die Theaterleute von heute bestimmte Risiken eingehen müssen. Es klingt zwar pompös, aber ich glaube, dass wir das rumänische Theater umwandeln müssen. Wir brauchen nicht ein neues Publikum, sondern eine neue Haltung des Publikums dem Theater gegenüber. Ich bin der Meinung, dass der rumänische Theaterzuschauer zu wenig offen gegenüber einer Aufführung ist, und das hat nichts mit dem direkten Eingriff ins Bühnengeschehen zu tun. Ich glaube, dass er zu wenig offen dem gegenüber ist, was er auf der Bühne sieht, dass er dazu seine Vorurteile, seinen Frust mitbringt, dass er irgendwie erwartet, wie der Gast eines Restaurants behandelt zu werden. Es handelt sich also um die Haltung des Publikums dem Theater gegenüber, etwa nach dem Motto: ›Ich bin da, um amüsiert zu werden, bring mich zum Lachen!‹ Das ist nicht die Art von Theater, das ich mache.“
Der direkte Kontakt zum Publikum gebe es auch in den klassischen Theateraufführungen, hier ist er aber zu direkt und zu stark, dadurch wird er so interessant, sagt auch der Hauptdarsteller Florin Piersic Jr. über die Herausforderung, die für ihn Tausend gute Gründe“ darstellt:
Ideal wäre es, sich als Darsteller vertrauensvoll zu offenbaren, damit der Zuschauer den Menschen hinter dem Darsteller sieht. Mit jeder neuen Aufführung lerne ich, wie das gemacht wird. Das kommt allerdings sehr oft im Theater vor, dass sich jede Aufführung von der anderen völlig unterscheidet. Diesmal sogar zweifach, dreifach unterschiedlich. Die Zuschauer wandeln sich ebenfalls in Schauspieler um, die der Idee der Geschichte zum Ausdruck verhelfen. Eine wichtige Rolle spielt auch die kollektive Energie und die Art und Weise, in der man es als Darsteller schafft, Barrieren zu brechen und Brücken zu den Menschen, die im Saal sitzen, zu bauen. Trotz des Hauptthemas handelt es sich um Lebensfreude, es geht darum, die kleinen und die großen Dinge im Leben genießen zu wissen. Dieser Text ist eine Metapher für mich, ich schließe jedoch die Möglichkeit nicht aus, dass der Autor eine persönliche Erfahrung schildert oder jemanden kennengelernt hat, der zu der Situation kam, eine Liste aller guten Gründe zu schreiben, wofür das Leben lebenswert ist .“
Was das rumänische Theater im Jahr 2017 Neues bringen soll? Der Darsteller Florin Piersic Jr. ist der Ansicht, dass das Theater keine Grenzen haben soll:
Wenn ich an die jüngste Aufführung, »Freak Show«, denke, entdecke ich Nuancen, die es in den anderen 150 Aufführungen, in denen ich bislang auftrat, nicht gab, und somit fasse ich das Wichtigste zusammen: Dieser Beruf bietet unendliche Möglichkeiten. Wir haben »Tausend gute Gründe« bereits zum vierten Mal auf die Bühne gebracht, und ich bin sehr gespannt darauf, bei der 100. Aufführung, sollte es sie geben, neue und unglaubliche Sachen zu entdecken. Für mich gibt es keine klare Formel fürs Theater. Ich wünsche mir sehr, in einer Aufführung aufzutreten, die im Vergleich zu dieser Aufführung irgendwie heftiger ist. Manchmal ist es gut, eine Aufführung sozusagen erstens zu Boden zu werfen und sie dann zärtlich zu streichen… sie dazu zu bringen, neue Erlebnisse zu leben. Es gibt Menschen, für welche diese Aufführung wie Balsam für die Wunde wirken wird. Es gibt andere, die sich nach der Aufführung bestimmt entscheiden werden, ihre eigene Liste der Gründe zu verfassen, wofür es sich zu leben lohnt.“