Zwischen Protest und Privatinitiative
Ein Rückblick auf ein Jahr interessanter gesellschaftlicher Entwicklungen
Christine Leșcu, 03.01.2018, 17:30
Das Jahr 2017 begann mit massiven Demonstrationen — und endete unter dem gleichen Zeichen. Doch Protest war nicht das einzig prägende in der Entwicklung der rumänischen Gesellschaft.
Bereits Anfang des Jahres trotzten mehrere Hunderttausend Menschen in allen Städten des Landes für einige Wochen dem Frost, um einige der ersten Amtshandlungen der neuen Regierung anzufechten. Internationalen Medien berichteten: Blau, Gelb, Rot: Zigtausende Demonstranten bildeten in Bukarest mit dem Licht ihrer Smartphones eine riesige rumänische Flagge, um den Rücktritt der Regierung zu fordern, die die Anti-Korruptions-Anstrengungen zu untergraben versucht“, titelte AFP.
Die Proteste in Rumänien wurden auch im Europäischen Parlament diskutiert, viele Europaabgeordnete bewerteten die Mobilisierung und Solidarität der Demonstranten als pro-europäische Botschaft. Rumänien verdient Politiker, die den Kampf gegen Korruption unterstützen“, sagte Frans Timmermans, Erster Vizepräsident der Europäischen Kommission. Er warnte die rumänischen Politiker davor, den Anti-Korruptions-Kampf zu beeinträchtigen — ansonsten könnte die Abrufung europäischer Gelder in Rumänien gefährdet werden.
Diese Botschaft war auch deshalb wichtig, weil Rumänien 2017 zehn Jahre EU-Mitgliedschaft feierte. Im Jahr 2007 war Rumänien einer der Staaten mit dem größten Europaoptimismus. Meinungsumfragen im letzten Winter zeigten 10 Jahre später eine Rückwärtsentwicklung dieser Begeisterung in Rumänien, wobei der stetige Rückgang jedoch mit der Einstellung in den übrigen Mitgliedstaaten in etwa übereinstimmt. Laut einer Eurobarometer-Umfrage waren 53% der Rumänen der Ansicht, dass die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ein positiver Faktor für ihr Land sei. Es war ein Prozentsatz, der dem europäischen Durchschnitt entspricht, aber überraschend für Rumänien ist, da hier das Vertrauen in die EU schon immer viel ausgeprägter war. Das Vertrauen der Rumänen in die EU-Institutionen im Vergleich zu den nationalen Institutionen liegt jedoch weiterhin auf einem guten Niveau. Das Eurobarometer zeigte, dass 38% der Rumänen dem Europäischen Parlament vertrauten und damit deutlich über dem europäischen Durchschnitt von 25% lagen. Gleichfalls sind über 35% der Befragten der Meinung, dass ihre Stimme auf europäischer Ebene besser gehört wird als auf nationaler Ebene.
Auf europäischer Ebene wurden auch Bürgerinitiativen unterstützt, die jungen Menschen helfen sollen, die generisch als NEET bezeichnet sind — also weder arbeiten, noch in einer Ausbildung oder im Studium sind. In diesem Kontext organisierte die Denkfabrik Social Doers eine nationale Konferenz, auf der eine Plattform zu der Europäischen Koalition für Rechte der NEET-Jugendlichen“ gestartet wurde. Dies ist eine Initiative, die im Rahmen des Erasmus Plus – Programms gefördert und im Januar 2017 in Brüssel gestartet wurde, wo Victor Negrescu, damals MdEP, jetzt stellvertretender Minister für europäische Angelegenheiten in der Regierung Rumäniens, seine Unterstützung für die Integration junger NEETs erklärte.
Bürgerliche und private Initiativen waren die Grundlage für ein weiteres Projekt, das für krebskranke Kinder in Rumänien äußerst wichtig ist: den Bau eines ihnen gewidmeten Krankenhauses in Bukarest. Hintergrund ist, dass die Krankenhäuser, in denen diese Kinder behandelt werden, unzureichend ausgestattet und finanziert sind, so auch das Kinderkrankenhaus Marie Curie“ in Bukarest. Dort entsteht das neue private Krankenhaus, das sich der ganzheitlichen Behandlung von Kindern mit onkologischen Erkrankungen widmet. Tragende Kraft hinter dem Projekt war die Nichtregierungsorganisation Give Life“. Sie will etwas an der bedrückenden Statistik ändern, nach der in Rumänien jedes zweite an Krebs erkrankte Kind stirbt, während in Europa 80% von ihnen überleben. In der Tat hat der rumänische Staat in den letzten fünfzig Jahren nichts auf dem Gebiet der pädiatrischen Onkologie aufgebaut. Das private Krankenhausprojekt umfasst Gebäude auf 8.000 Quadratmetern, und die Investition beläuft sich auf 8 Millionen Euro. Bisher wurde die Hälfte gesammelt. Das Spendengeld kommt von mehr als 1500 Firmen und 50.000 Privatpersonen. Für die Eltern krebskranker Kinder, die gerne nahe am Patienten sein wollen und heute gezwungen sind, auf Stühlen neben dem Bett ihrer Kinder auszuharren, führte eine Nichtregierungsorganisation das MagicHome-Projekt durch. Das Projekt sieht den Bau eines 700 Quadratmeter großen Gebäudes in nächster Nähe der größten onkologischen Klinik in Bukarest vor. Dort können Väter und Mütter ruhig übernachten und gleichzeitig auf Abruf für ihre Kinder da sein.
Neben Jugendlichen, Kindern, Gesundheit und Politik ist die Umwelt ein immer wichtigeres Anliegen von Nichtregierungsorganisationen und der Gesellschaft geworden. Das betrifft nicht nur den Naturschutz, sondern auch die Sorge um eine gesündere Ernährung und einen möglichst naturnahen Lebensstil. Illegale Abholzung von Bergwäldern ist ein Problem, das all diese Fragen umfasst. In den letzten 15-20 Jahren ist in Rumänien die Waldfläche zurückgegangen und sie erreicht heute 27,45% des Gebiets. Damit liegt die Quote deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 32,4%. Laut einer Studie von Greenpeace Rumänien verlor der nationale Waldbestand zwischen 2000 und 2014 rund 3 Hektar in der Stunde. Die Umweltaktivisten von Greenpeace und anderen Nichtregierungsorganisationen gehörten zu den ersten, die die Öffentlichkeit über die tragische Situation der Wälder in Rumänien informierten. Freiwillige Helfer von Umweltorganisationen achten auf Fälle von illegaler Abholzung oder Schmuggel und melden suspekte Vorfälle. Illegaler Holzschlag ist aber schwer nachweisbar, und Umweltaktivisten werden manchmal Opfer der brutalen Reaktion derjenigen, die sie bei der illegalen Abholzung auf frischer Tat ertappen.