Wohnungsnot: Gegenseitige Freiwilligenhilfe ermöglicht Sozialwohnungsbau
Rumänien im Jahr 2016: Für viele Gruppen der Gesellschaft ist es immer noch ein Problem, eine anständige Wohnung zu finden.
Christine Leșcu, 02.11.2016, 19:06
Rumänien im Jahr 2016: Für viele Gruppen der Gesellschaft ist es immer noch ein Problem, eine anständige Wohnung zu finden. Es sind vor allem die benachteiligten Schichten, die am dringendsten ein Dach über dem Kopf bräuchten. Betroffen sind Kinder, die kein eigenes Zimmer oder keinen passenden Tisch für die Hausaufgaben haben. Es sind Familien, die zusammengepfercht in Sozialheimen oder in Sozialwohnungen ohne Strom und Heizung wohnen.
Und wieder einmal kommt die Lösung aus dem Umfeld der NGOs. Weil die Behörden der Situation oftmals nicht gerecht werden, appellieren sie an den Gemeinschaftsgeist. Die Menschen mobilisieren sich oftmals und helfen sich gegenseitig — das kommt sowohl den Leistungsempfängern der Kampagnen als auch ihren Urhebern zugute. Ein Beispiel dafür ist die Organisation Habitat for Humanity aus Rumänien. Seit 20 Jahren baut die Organisation mit Hilfe von Freiwilligen Wohnungen für arme Familien oder saniert die alten Häuser bedürftiger Personen. Bislang haben 64.000 Personen an den Programmen von Habitat for Humanity teilgenommen: 600 neue Wohnungen wurden gebaut und über 2000 Gebäude saniert. Die Projekte hätten vor allem in Siebenbürgen, um Klausenburg und Mediasch, in der Moldau bei Bacău, Comăneşti und Botoşani sowie im Landkreis Constanţa stattgefunden, erklärt Loredana Modoran. Sie leitet die Programme für Habitat for Humanity und weiß, wer als Hilfeempfänger in Frage kommt.
Die Menschen müssen drei Kriterien erfüllen. Weil der Wohnungsbedarf sehr hoch und weit gestreut ist, stellt er das erste Kriterium dar. Zweitens muss der Empfänger über ein Einkommen verfügen, damit er den Preis für die von uns erworbenen Baumaterialien zurückerstatten kann. Weil wir mit unseren Programmen auf das Verantwortungsbewusstsein der Empfänger hinwirken wollen, suchen wir Menschen, die über zu geringe Einkommen verfügen und deshalb keinen Kredit von irgendeiner Bank nehmen können. Und das, obwohl sie von morgens in der Früh bis spät am Abend arbeiten. Diese Menschen sind in einem Teufelskreis gefangen, dem sie nicht entkommen können. Wir machen also einige Ressourcen für sie frei, mit denen sie ihr eigenes Leben in den Griff bekommen können. Das dritte Kriterium besteht darin, dass unsere Empfänger mit uns und unseren Freiwilligen beim Hausbau oder der Haussanierung zusammen arbeiten. Bis sie ausgewählt werden, müssen die Kandidaten eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden als Freiwillige leisten, danach muss die Freiwilligentätigkeit insgesamt über 1000 Stunden betragen. Wir bieten den Menschen nichts umsonst an, sondern geben ihnen nur einen Ansporn, damit sie hinterher ein gutes Leben führen können.“
Die Freiwilligen, die mit den Empfängern die Ärmel hochkrempeln, stammen aus der ganzen Welt, sind über alle sozialen Gruppen hinweg verstreut und üben die unterschiedlichsten Berufe aus. Eine von ihnen ist die rumänische Rundfunkjournalistin Veronica Soare, sie ist an vielen anderen Wohltätigkeitsprojekten beteiligt, von denen sie auf ihrer Homepage minuni.ro berichtet. Sie habe vor einigen Jahren die Arbeit auf den Baustellen der neuen Sozialwohnungen aufgenommen, erzählt Soare.
Einige Arbeitsstunden auf dem Bau hinterlassen ein einzigartiges Gefühl. Du siehst am Ende die Mauer, die du errichtet hast, die Menschen, die du auf der Baustelle kennengelernt hast, und begreifst, dass auch wir als gewöhnliche Menschen Dinge verändern können. Es ist ein großartiges Gefühl, an einem Montagmorgen auf der Baustelle stehen zu können, wo früher nur das Fundament stand, das unter deinen Augen und unter Einsatz deiner eigenen Hände zu einem Haus geworden ist. Als ich meinen Freunden sagte, dass ich fünf Tage auf der Baustelle verbringen würde, staunten sie und fragten mich, was ich denn dort verloren hätte. Wie glaubst du, die Arbeit eines Maurers übernehmen zu können? — hieß es da… Aber es ist viel einfacher, als man denkt. Müde sein, kommt gar nicht in Frage. Es waren fünf Tage, an denen ich nicht einmal gemerkt habe, dass ich arbeite.“
Die Leistungsempfänger werden also selbst zu Freiwilligen und Förderern anderer Empfänger. Sie bezahlen außerdem die bei ihren Hausprojekten eingesetzten Baumaterialien in Ratenzahlen ohne Zinszusatz zurück. Diese Summen fließen in einen Fonds, aus dem weitere Bauprojekte für Hilfsbedürftige finanziert werden. Sie habe mitansehen können, mit welcher Freude die Menschen zur Unterstützung anderer beitragen, berichtet Veronica Soare.
In diesem Jahr habe ich eine der Empfängerfamilien vom letzten Jahr besucht. Und da haben mich vor allem zwei Dinge beeindruckt. Die Mutter war sehr glücklich darüber, dass sie jetzt ihre Kinder in einer anständigen Wohnung erziehen kann. Zweitens sagte sie, sie wollte auch auf der Baustelle arbeiten, um anderen zu helfen, genauso wie sie von anderen Hilfe bekommen hat. Ich weiß nicht, ob diese Menschen davor Freiwilligentätigkeit geleistet haben, aber sie haben auf jeden Fall verstanden, was es heißt, Hilfe zu bekommen. Deshalb wollen sie ihrerseits mit anpacken.“
Das freiwillige Hausbauprojekt läuft bereits seit 12 Jahren im Landkreis Bacău, in dem es mehrere benachteiligte Gebiete gibt. Andrei Chirilă ist der Leiter der regionalen Filiale von Habitat for Humanity in Comăneşti. Ihn fragten wir nach den sozialen Problemen der Region.
Landesweit sind die verfügbaren Wohnungen verfallen, viele sind sanierungsbedürftig. Die jungen Familien mit Kindern leben zum Beispiel oftmals in einer Wohnung mit den Großeltern zusammen oder mit den Familien der Geschwister. Und in diesen Fällen wird das Bedürfnis nach einem eigenen privaten Raum sehr stark verspürt. Es gab Anfragen von manchen Familien, die den Erwerb von Gaszentralheizungen finanzieren wollten. Andere Familien wollten ihre alten Fenster mit energieeffizienten Thermopane-Fenstern ersetzen oder die Wohnung mit einer Wärmedämmung aus Styroporplatten versehen.“
Angesichts der hohen Nachfrage sollen in und um Comâneşti neue Baustellen entstehen. Die Organisationen hoffen für die Zukunft, dass die Menschen öfter Freundschaften innerhalb der Gemeinschaft schließen und ihre Skepsis ablegen.