Unterrichtsfach Religion: Polemik um Meldepflicht und Inhalte
In Rumänien wird Religion in allen Jahrgängen als Pflichtfach unterrichtet, beginnend mit der Einführungsklasse, der sogenannten Klasse Null“, bis zur 12. Klasse der Oberstufe.
Christine Leșcu, 25.03.2015, 17:30
In Rumänien wird Religion in allen Jahrgängen als Pflichtfach unterrichtet, beginnend mit der Einführungsklasse, der sogenannten Klasse Null“, bis zur 12. Klasse der Oberstufe. Das Fach wurde nach dem Fall des kommunistischen Regimes eingeführt und wird seit 1990 bis heute ununterbrochen unterrichtet. Seit einigen Jahren haben Zivilgesellschaft und Elternverbände allerdings begonnen, den Religionsunterricht zu hinterfragen. Das, weil sie der Ansicht sind, dass die Schule säkular sein muss.
Nach zahlreichen Debatten zum Thema in den Medien und den sozialen Netzwerken hat Rumäniens Verfassungsgericht ein Urteil zu dem Thema ausgesprochen: Schüler, die den Religionsunterricht besuchen möchten, müssen dies beantragen. Wer den Religionsstunden fernbleiben möchte, kann dies ohne irgendwelche Formalitäten oder jegliche Anfragen an die Schulleitung machen. Uns ging es darum zu erfahren, wie die Interessensvertreter die Notwendigkeit des Religionsunterrichts sehen. Der Humanistisch-Säkulare Verband Rumäniens (kurz: ASUR) führt seit Jahren eine Informationskampagne über die Religion als Wahlfach an den Schulen. Toma Pătraşcu, eines der Gründungsmitglieder des Verbandes, hält das Urteil des Verfassungsgerichts für einen richtigen Schritt.
Die letzte Entscheidung der Verfassungsrichter betreffend die Anmeldung der Kinder für den Religionsunterricht stellt einen ersten Schritt in Richtung Normalität dar. Man muss aber das Urteil aufmerksam betrachten und die Zusammenhänge verstehen. Die Entscheidung des Gerichts bringt nichts Neues, sie verursacht keine Änderung geltenden Rechts. Es steht nirgendwo im Bildungsgesetz oder im Gesetz über die Religionsgemeinschaften, dass die Schüler willkürlich, von Amts wegen, für den Religionsunterricht angemeldet werden müssen. Dabei gilt eher das Grundrecht, den der eigenen Religion entsprechenden Unterricht zu besuchen. Woher sollen ein Schulleiter oder das Schulinspektorat oder das Ministerium wissen, dass ein Kind den Religionsunterricht besuchen möchte oder nicht, und, wenn es das will, welche Religionsstunden es besuchen will? Dabei ist es seit 25 Jahren gängige Praxis, dass Schulen die Kinder für diesen Religionsunterricht willkürlich anmelden, ein Unterricht, der meistens nur von dem christlich-orthodoxen Glauben handelt.“
Religionslehrerin Cristina Bengu erklärt im Gegenzug, dass im Falle ihres Fachs etwas verwechselt werde:
Es geht nicht darum, dass Religion ein Wahlfach ist. Sie ist eines der gemeinsamen Grundfächer, aber die Eltern konnten wählen, ob in den entsprechenden Schulstunden ihre Religion unterrichtet wurde. Hier entsteht die Verwechslung. Die Disziplin Religion gehört aber zum Angebot der gemeinsamen Grundfächer, sie ist also kein Wahlfach. Es ist ein Pflichtfach, wobei man lediglich entscheiden kann, welche Religionsstunden man besucht. Das Urteil des Verfassungsgerichts ist aus meiner Sicht nichts Besonderes. Auch früher gab es diese Wahl, die Eltern konnten sich eine Religion aussuchen. Aber der Unterschied besteht darin, dass die Schüler, die den Unterricht nicht mehr besuchen wollen, keinen Antrag dazu mehr stellen müssen. Den Antrag müssen jetzt die interessierten Schüler stellen.“
Das aktuelle Gesetz definiert in der Tat die Religion als Pflichtfach und natürlich muss ein Unterricht für jede Religionsgemeinschaft im Angebot stehen. Deshalb kommt die Frage auf, ob die Einführung einer solchen Disziplin in einem als säkular geltenden Bildungssystem legitim ist. Toma Pătraşcu von dem Verband ASUR hat nichts gegen die Untersuchung religiöser Akte an sich einzuwenden, er ergänzt jedoch:
Die Religion ist ein soziales Phänomen, und die Schule kann es nicht aus irgendeinem Grund unter den Teppich kehren. Anders gesagt, man muss in der Schule über die Religion sprechen, man muss nur über die Art und Weise diskutieren, in der das geschieht. Die Debatte darüber muss objektiv und sachlich, also auf einer laizistischen Ebene geführt werden. Die Religion muss in einem historischen, sozialen, philosophischen, laizistischen Zusammenhang betrachtet werden, so dass die Schüler deren kulturelle Dimension verstehen. Es ist nicht in Ordnung, wenn in der Schule Katechismus unterrichtet wird, was zurzeit auch der Fall ist. Was bedeutet das? Man versucht, den Schüler zu überreden, zum treuen Mitglied der entsprechenden Religionsgemeinschaft zu werden, die der jeweilige Lehrer vertritt. Zurzeit wird in unseren Schulen keine religiöse Erziehung betrieben, sondern ideologisch beeinflusst und das ist nicht in Ordnung.“
Was für einem Agnostiker eine Indoktrination erscheinen könnte, ist für die Religionslehrerin Cristina Benga lediglich eine Auskunftsfunktion.
Mit dem Fach Religion versucht man eine komplexe Entwicklung des Kindes zu erreichen und sogar interdisziplinäre Aspekte hervorzuheben. Zum Beispiel werden im Rumänisch-Unterricht die »Psalmen« von Tudor Arghezi untersucht. Wir helfen den Kindern, zu verstehen, was die Psalmen aus religiöser Perspektive sind. Darüber hinaus müssen wir klären, was Indoktrination bedeutet. Ein Übergang von der Auskunftsfunktion zur Indoktrination setzt viele Schritte voraus, die wir als Lehrer oder Bildungseinrichtung nicht verantworten wollen. Ich möchte eine Gegenfrage stellen. Haben sich vielleicht die Fälle von Heiligen gehäuft? Habe ich als Mitglied der Gesellschaft feststellen können, dass diese Indoktrination uns in die extremen Sphären führt? Eine entschlossene Indoktrination würde zur Isolation der Gläubigen führen. Aber das ist eben nicht der Fall, weil der Religionsunterricht völlig andere Wertvorstellungen hat: einen guten, schönen und freien Menschen zu schaffen.“
Nach der Abgabe aller Anmeldeformulare für den Religionsunterricht und deren Registrierung hat man festgestellt, dass über 90% der Schüler, die den 18 in Rumänien anerkannten Religionsgemeinschaften angehören, sich für den entsprechenden Unterricht angemeldet haben. Für Toma Pătraşcu lässt sich dieser Prozentsatz auch durch andere Beweggründe erklären.
Der Anteil ist so zu erklären: Je mehr man die kleineren Klassen betrachtet, umso mehr neigen die Eltern dazu, die Schüler für den Religionsunterricht anzumelden. Wenn der Unterricht nicht besucht wird, übernimmt die Schule keine Verantwortung für die Aufsicht des Kindes. In den meisten Fällen sind die Eltern gezwungen, die Kinder in den Klassenräumen sitzen zu lassen, weil sie in der Zwischenzeit nichts mit ihnen unternehmen können. Sie können sie nicht von der Schule abholen und die Schulen haben kein Ersatzprogramm im Angebot.“
Dass die Planung des Religionsunterrichts Mängel aufweist, räumt auch die Lehrerin Cristina Benga ein.
Darüber müsste man auf Ministeriumsebene diskutieren. Die Religionslehrer haben sich niemals gegen die Planung solcher Situationen gestemmt. Nicht wir, die Lehrkräfte für dieses Fach, müssen alles durchplanen. Hätten wir diese Aufgabe bekommen, dann hätten wir sie auch erfüllt, glaube ich, denn wir glauben fest an die Freiheit, die Wahrheit und letzten Endes an die Entscheidungsfreiheit eines jeden Menschen. Ich weiß nicht, warum wir diese Kinder nicht mit einem Ersatzangebot unterstützt hätten. Dazu ist es gekommen, weil es auf Ministeriumsebene keine Strategie gibt.“
Auf die Debatte über den Religionsunterricht könnten auch weitere Diskussionen über neue Wahlfächer folgen, die im voruniversitären Unterricht studiert werden könnten.