Trickserei im Schulranking: das Brăila-Phänomen
Im vergangenen Jahr wurden die Medien auf eine fragwürdige Methode im Schulwesen aufmerksam, die Evaluierung einzelner Schulen künstlich aufzuwerten: Schüler mit schlechten Lernergebnissen werden daran gehindert, an der Bewertung teilzunehmen.
Christine Leșcu, 19.06.2019, 17:30
Alles beginnt im Juni, wenn die Schüler der 8. Klasse die Schule beenden und ihre nationale Bewertungsprüfung schreiben. Aufgrund dieser werden sie an Gymnasien angenommen, je nachdem, wie gut ihr Ergebnis ist. Wir sprachen mit Vertretern der Human Catalyst Organisation, einer NGO, die das Brăila-Phänomen identifizierte und benannte und es mit den nationalen Bewertungsergebnissen korrelierte. In der ostrumänischen Donaustadt Brăila haben sich im Schuljahr 2016–2017 36,5% der Schüler der 8. Klasse nicht für die Nationale Bewertung angemeldet, der höchste Prozentsatz im Land. Überraschend war jedoch, dass die Durchschnittsnote für die Studenten, die die Prüfungen abgelegt haben, mit 7,29 (Maximalbewertung: 10) sehr hoch war, die zweithöchste im Land nach Bukarest. Wir fragten Laura Marin, Präsidentin der Human Catalyst Association for Education and Social Justice, wie dies zu erklären sei:
Das sogenannte Brăila-Phänomen ist eine Praxis unter Lehrern in Gymnasien, die Schüler mit schwachen Schulleistungen auswählen und sie nicht für die nationale Bewertung anmelden. Soweit ich sagen kann, gibt es Signale, dass es sich hierbei auch um eine Praxis im Zusammenhang mit der nationalen Prüfung zum Abitur und den Abiturienten handelt. Verschiedene Tricks werden eingesetzt, um zu verhindern, dass sich die Schüler für diese Prüfungen anmelden. Manchmal werden Eltern-Lehrer-Meetings einberufen, bei denen Eltern von Schülern mit schlechten Noten nahegelegt wird, dass sie diese Bewertungsprüfung nicht ablegen sollten. Einigen Eltern wird von Schulleitern angedroht, dass ihre Kinder das Jahr ganz und gar nicht bestehen würden, wenn sie sich anmelden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Schulen die Eltern dazu ausnutzen, ihre Kinder daran zu hindern, an der Bewertung teilzunehmen. Dies geschieht, damit die Durchschnittsnote für die Bewertung auf lokaler oder nationaler Ebene angehoben werden kann.“
Laura Marin erzählte uns auch, warum die Ergebnisse der nationalen Bewertung so wichtig sind:
Zunächst einmal ist es der Ruf der einzelnen Schule. Die Schulen konkurrieren untereinander um eine Klassifizierung durch die Schulaufsicht der Stadt oder des Landkreises und sie wollen so hoch wie möglich eingestuft werden. Das Brăila-Phänomen ist eine praktische Methode, um dies zu optimieren. Es ist ein einfacher Weg, die Durchschnittsnote in der Bewertung zu erhöhen, anstatt Zeit und Ressourcen in die Ausbildung der Schüler für die Prüfung zu investieren. Wenn ein Elternteil das Gymnasium auswählt, das sein Kind besuchen soll, berücksichtigt er die durchschnittliche Endnote der Bildungseinrichtung bei der Prüfung, die nationale Durchschnittszensur und das Ranking der Schule in der Stadt oder dem Bezirk. Das ist etwas, woran Eltern denken, wenn sie ihre Kinder fürs Gymnasium anmelden. Dies wirkt sich auch auf die Finanzierung der Schulen aus dem Staatshaushalt aus, der je nach Schülerzahl pro Kopf zugewiesen wird.“
Seit letztem Jahr wurde das Brăila-Phänomen in den Medien im Detail aufgegriffen und die Statistiken scheinen jetzt auf einen Rückgang der Trickserei hinzudeuten. Die Mechanismen, die dieses System unterstützen, scheinen sich aus Angst der Beteiligten abgeschwächt zu haben. Im Schuljahr 2017–2018 sank die Quote der Schüler, die sich nicht für die Nationale Evaluation angemeldet hatten, in den meisten Landkreisen um 4,4%. Die Human Catalyst Association hat eine Erhöhung des Prozentsatzes der Schüler festgestellt, die die 8. Klasse abgeschlossen haben und die Prüfungen ablegten, aber sie haben auch etwas anderes bemerkt:
Die Freude war kurzlebig, bevor wir die Tatsache bemerkten, dass, obwohl sich mehr Schüler für die nationale Bewertung angemeldet hatten, die Zahl der Schüler, die die 8. Klasse nicht abgeschlossen hatten, um fast 10.000 höher lag. Das bedeutet, dass das Brăila-Phänomen eine andere Dimension angenommen hat. Die Eltern werden nicht mehr dazu gedrängt, ihre Kinder nicht für die Evaluierungsprüfung anzumelden. Die Kinder bekommen einfach eine ungenügende Durchschnittsnote in der 8. Klasse, damit sie sich für die Prüfungen erst gar nicht mehr anmelden dürfen. Die Mittel für die Trickserei wurden einfach geändert.“
Nach Berechnungen von Human Catalyst stieg die Zahl der Schüler, die 2018 die 8. Klasse nicht bestanden, im Vergleich zum Vorjahr um 70% — von 13.078 im Jahr 2017 auf 22.250 im Jahr 2018. Diese Zahl ist ungewöhnlich hoch, weil sie durch die Bewertungen und Noten der Schüler in den vergangenen Schuljahren nicht gerechtfertigt war. Gleichzeitig ist es möglich, dass dieser Unterschied die reale Situation im Bildungssystem widerspiegelt, was eine plötzliche Verschlechterung der Ergebnisse im Jahr 2018 gegenüber 2017 bedeutet, ohne die Auswirkungen des Brăila-Phänomens. Laura Marin hat jedoch große Zweifel daran:
Unsere Daten zeigen eine große Ergebnislücke von Jahr zu Jahr. Plötzlich hatten wir einen Anstieg der Zahl der Schüler, die die 8. Klasse nicht bestanden haben. Das ist nicht natürlich. Normalerweise sieht man solche Lücken nicht. Es ist etwas passiert, um die Zahl der Schüler, die die 8. Klasse nicht abgeschlossen haben, um 70% zu erhöhen.“
Im vergangenen Jahr wurden diesbezüglich Gespräche mit Vertretern des Bildungsministeriums geführt, und in diesem Jahr, als der Bildungsminister gewechselt wurde, haben Eltern und NGO Anfragen zum Dialog zu diesem Thema an die Behörden geschickt. Bisher wurde die Existenz des sogenannten Brăila-Phänomens offiziell noch nicht anerkannt.