Stadtflucht: Zurück aufs Land?
In der Stadt bleiben oder aufs Land ziehen? Diese Frage stellen sich immer mehr Rumänen in den Großstädten.
Christine Leșcu, 12.10.2016, 17:30
An einem normalen Wochentag sind am Morgen die Hauptstraßen, die das Zentrum Bukarests mit den Vororten verbinden, voll von Autos und Kleinbussen. In den letzten Jahren sind viele Menschen aus Bukarest in die Vororte der Hauptstadt umgezogen. Sie kommen aber täglich zur Arbeit zurück in die Stadt. Diese interne Migration hat schon immer stattgefunden, wichtig ist aber ihre Intensität, meint Vladimir Alexandrescu, Sprecher des Nationalen Statistikamts:
Vom Lande in die Stadt sind 78 Tausend Personen gewandert, in die entgegengesetzte Richtung, von Stadt zu Dorf, waren es 107 Tausend Personen. Beginnend mit dem Jahr 2000, also seit 16 Jahren, kann man Schlussfolgerungen betreffend die Richtung und Intensität des Phänomens ziehen. So zum Beispiel sind im Jahr 2000 47 Tausend Personen in die Stadt gezogen, von Stadt zu Dorf waren es 82 Tausend. Der Unterschied ist offensichtlich. Diese Tendenz ist seitdem relativ konstant geblieben. Vor 1989 war die Tendenz eine andere: Die Menschen verließen das Dorf und zogen in die Stadt auf der Suche nach einem Arbeitsplatz. Nach 1989 und insbesondere nach dem Jahr 2000 hat sich die entgegengesetzte Tendenz entwickelt. Das Phänomen erreichte seine höchste Intensität am Anfang der Wirtschaftskrise, in den Jahren 2008-2010. 2010 wurde der Höhepunkt erreicht, als 133 Tausend Personen aus der Stadt aufs Land zog. Seit dem Jahr 2000 lag der Unterschied bei ewta 30-40 Tausend Personen jährlich. Der größte Unterschied wurde 2010 verzeichnet, als 133 Tausend die Stadt verließen und 96 Tausend in die Stadt zogen.“
Viele derjenigen, die die Stadt verlassen, haben Kinder. Die Altersgruppe 20-30 Jahre ist dabei sehr stark vertreten. Auch die Migration der Rentner oder derer, die kurz vor dem Pensionierungsalter sind, hat zugenommen. Diejenigen, die Häuser auf dem Land besaßen, sind nach der Pensionierung zurückgegangen, denn das Leben auf dem Land kostet weniger als das Leben in der Stadt“, fügt Vladimir Alexandrescu hinzu. Ein Haus auf dem Land kommt meistens mit einem Grundstück, die Luft ist reiner und der Hof und der Garten können auch manche Lebensmittel liefern. Andra Matzal ist Journalistin und Übersetzerin und hat diesen Schritt gewagt. Sie wohnt jetzt 30 Kilometer von Bukarest entfernt:
Ich habe diese Wahl getroffen, nachdem ich viele Jahre in Bukarest gelebt hatte. Diese Stadt ermüdete mich. Zudem fabulierte ich über all die einfachen Dinge, die man in einer Metropole vergisst. Dinge wie dein eigenes Essen züchten. Monatlich in Bukarest Miete zu zahlen, ist nicht gerade einfach. Alles kostet Geld. Ein Kaffee kostet viel. Seitdem ich entdeckt habe, dass man auch mit 3 Lei, und nicht mit 8, Kaffee bekommen kann, fällt es mir schwer, mehr zu zahlen. Und das ist die Regel, der echte Preis der Dinge ist ein anderer.“
Andra Matzal lebt aber nicht als Landwirtin, sondern führt ein hybrides Leben zwischen Dorf und Stadt:
In diesen vier Jahren habe ich mich viel verändert. Ich habe eine ganze Menge praktischer Dinge gelernt, von Feldarbeiten bis hin zur Vorbereitung der geernteten Sachen. Darüber hinaus ist die Beziehung zur Natur direkter. Andererseits wurde ich selektiver mit meinen sozialen Tätigkeiten. Als Journalist bist du immer in Versuchung, da zu sein, wo etwas passiert. So habe ich viele Menschen kennengelernt. Normalerweise bist du mit Menschen zusammen, die dir ähnlich sind. Hier entdeckst du andere Leute, mit anderen Lebensgeschichten, und du kannst viel von ihnen lernen. Nicht zuletzt glaube ich, dass ich jetzt besser organisiert und pragmatischer bin. Vielleicht auch mutiger.“
Andra Matzal hat in letzter Zeit auch andere Bukarester getroffen, die die Stadt verlassen haben. Manche führen, so wie sie, ein hybrides Leben, andere möchten ein echtes ländliches Leben führen. Für alle bedeutete aber dieser Schritt eine Anpassung, die langfristig die ganze Gesellschaft beeinflussen wird.