Spieltherapie – ein Programm für behinderte Kinder
In Rumänien läuft seit fast drei Jahren ein Projekt mit dem Titel Wir wollen die Schule wiederentdecken“, das sich an behinderte Kinder richtet und das Risiko des vorzeitigen Schulabbruchs vermindern sollte.
Ana-Maria Cononovici, 10.07.2013, 16:34
Wie man weiß, ist das Spielen besonders wichtig für die soziale, emotionelle, physiche und kognitive Entwicklung des Kindes. Während des Spielens verwendet das Kind all seine Sinne, und deshalb ist das Spielen die erste Etappe des Lernens und der kreativen Beschäftigung. Bei ihren Spielerlebnissen erwerben die Kleinen neue Fähigkeiten, sie entwickeln Beobachtungssinn, Konzentration, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Einbildungskraft, logisches Denken und künstlerischen Geist. Je älter das Kind wird, desto komplexer und phantasievoller wird auch sein Spielen — dadurch übt und erweitert das wachsende Kind seine besonderen Begabungen.
In Rumänien läuft seit fast drei Jahren ein Projekt mit dem Titel Wir wollen die Schule wiederentdecken“, das sich an behinderte Kinder richtet und das Risiko des vorzeitigen Schulabbruchs vermindern sollte. Hauptansatz des Projekts ist das Spielen, aber es gibt auch eine Neuigkeit. Projektmanagerin Daniela Vişoianu bringt weitere Details:
Das Neue an diesem Projekt ist die Zusammenarbeit mit dem Paar Kind-Elternteil. Wir arbeiten immer mit dem Kind und einem Elternteil zusammen, und das Projekt enthält mehrere Etappen. Erstens arbeiten wir mit Erwachsenen, die wir als Schulvermittler ausbilden. Diese Schulvermittler werden später als Vertreter der Schule oder anderer Sozialeinrichtungen mit den behinderten Kindern und ihren Eltern zusammenarbeiten. Nachdem die Schulvermittler den ersten Teil des Ausbildungskurses absolvieren (das ist der Akkreditierungsteil), verpflichten sie sich dazu, als Teil unserer Vereinbarung, im Rahmen einer Praktikumswoche mit einer Gruppe von Kindern zusammenzuarbeiten.“
Workshops mit behinderten Kindern oder Aktivitäten mit deren Eltern sind keine Neuigkeit in Rumänien. Der Vorteil des neuen Projekts ist aber die Zusammenarbeit mit den Kindern und ihren Eltern im Rahmen desselben Workshops. Daniela Vişoianu dazu:
Hauptziel des Workshops ist, daß die Eltern sich dem Interesse des Kindes unterordnen. Das bedeutet, daß das Kind selbst über das Spiel entscheidet. Das Kind sollte dem Vater oder der Mutter sagen ‚wir wollen dies oder das malen‘ oder ‚hilf mir, dies und das zu tun‘. Praktisch ist das ein Umdrehen der Kräfte beim Spielen. Das Kind hat immer den Eindruck, daß es genau das tut, was es gerade möchte. Ein solcher Eindruck oder ein solches Gefühl ist besonders wichtig bei behinderten Kindern und vor allem bei deren Eltern, die ständig unter großem Druck stehen. Das Spielen wird auch für die Eltern zur Therapiemethode. Am wichtigsten in diesem Projekt ist, daß wir psychologische Beratung für Eltern leisten, und daß wir Eltern von Kindern mit unterschiedlichen Behinderungen zusammenbringen. Bei unseren verschiedenen Workshops kommen Kinder mit unterschiedlichen Behinderungen zusammen, lernen einander kennen und erkennen, daß sie gewisse Ausgleichsmöglichkeiten haben. Jedes behinderte Kind entdeckt, daß es als Kompensation über verschiedene Fähigkeiten und Begabungen verfügt, die ihm helfen, in gewissen Situationen besser durchzukommen als andere Kinder mit anderen Behinderungen. Das Kind lernt, das auszunutzen, was er gut kann, und seine speziellen Fähigkeiten einzusetzen, um weiterzukommen.“
Ende Juni gab es einen Bonus für die Projektteilnehmer: Sie konnten mit der britischen Therapeutin Eunice Stragg zusammenarbeiten, einer erfahrenen Psychoterapeutin, die seit mehr als 26 Jahren in diesem Bereich arbeitet und sich in Play Therapy und Sandplay Therapy (Spieltherapie und Sandkastentherapie) spezialisiert hat. Im zweiten Teil des Workshops erklärte die britische Psychotherapeutin die Vorteile der Spieltherapie für alle Teilnehmer des Programms Wir wollen die Schule wiederentdecken“ — Kinder, Eltern, Psychologen, Schulvermittler usw.
Die wichtigste Zielsetzung dieser Therapieform ist die Lösung der emotionellen Schwierigkeiten und der Verhaltensprobleme — dazu gehört auch eine bessere Kommunikation zwischen Eltern und Kindern. Weitere Ziele sind die Verbesserung des Verbalausdrucks, der Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und der Kontrolle von Impulsen; ferner die Entwicklung von Methoden zur Lösung der Angstzustände und der Frustration, die Stärkung des Vertrauens und das Aufbauen von Beziehungen zu anderen Menschen. Um diese Ziele zu erreichen, stützt sich der Therapeut auf die kognitiven Entwicklung, die jede Etappe der emotionellen Entwicklung des Kindes charakterisiert, sowie auf altersspezifische Konflikte.
Eine weitere Neuigkeit in einem Projekt dieser Art ist auch die Idee, eine gewisse Unabhängigkeit des behinderten Kindes gegenüber seine Eltern zu schaffen. Erneut Daniela Vişoianu mit Einzelheiten:
Wir haben uns vorgenommen, den Kindern mehr Spielraum zu lassen. Die Eltern müssen verstehen, daß sie nicht ihr ganzes Leben um das behinderte Kind gestalten sollen. Wenn ein Elternteil vor einer solchen Herausforderung steht, nämlich ein behindertes Kind großzuziehen, organisiert er sein Leben neu, er konzentriert sich ausschließlich auf das Kind. So vergehen vielleicht 10 bis 20 Jahre, und unsere größte Befürchtung ist, daß die Eltern auch eine psychologische Behinderung bei ihren Kindern verursachen. Wenn die Eltern ständig über ihre Aufopferung sprechen, werden sie ihre behinderten Kinder unter zusätzlichen Druck setzen.“
Bis jetzt haben etwa 800 Familien aus dem Süden Rumäniens an dem Projekt Wir wollen die Schule wiederentdecken“ teilgenommen. In Zukunft sollte das Projekt erweitert werden und landesweit laufen.