Soziologenbericht: Zivilgeist und Bürgerinitiativen auf dem Prüfstand
Die Erinnerung an die kommunistische Zeit, als Bürgereinsätze von oben verordnet wurden, hat das bürgerliche Engagement in Rumänien nach der Wende jahrelang gehemmt. In den letzten Jahren kam es dennoch zur Entstehung von immer mehr Bürgerinitiativen.
Christine Leșcu, 11.11.2015, 18:45
Die Erinnerung an die kommunistische Zeit, als Bürgereinsätze von oben verordnet wurden, hat das bürgerliche Engagement in Rumänien nach der Wende jahrelang gehemmt. In den letzten Jahren kam es dennoch immer mehr zur Entstehung von diversen Initiativegruppen. Kleine informelle Grünfeld-Organisationen schließen sich zusammen, um punktuelle Probleme zu lösen. Die Gruppe Iași liebt die Linden“ entstand als Protest gegen den Beschluss des Bürgermeisteramtes, die berühmten Linden in der moldauischen Metropole abzuholzen. Der besagten Gruppe ist es sogar gelungen, einen Entwurf zur Wiederbepflanzung dieser Bäume zu erarbeiten. In Bukarest sind mehrere Stadtteile durch einen oder sogar mehrere informale Initiativegruppen vertreten: Die Initiative Favorit“ zur Wiedereröffnung des gleichnamigen Kinos, Rettet den Drumul-Taberei-Park“, Rettet den IOR-Park“. Insgesamt agieren in Rumänien 513 informelle Gruppen. 48 davon entstanden spontan auf Initiative ihrer Mitglieder. 465 wurden durch Förderprogramme des Staates oder durch Privatfonds einiger Schirmorganisationen gegründet. Diese Daten sind in einem Bericht im Rahmen des Projekts Die Entwicklung der Einsatzfähigkeit der NGOs und der informellen Gruppen“ enthalten, das von der Stiftung für eine Offene Gesellschaft (Open Society Foundation Romania) ins Leben gerufen wurde. Der wiederauflebende Zivilgeist benötige weiterhin Förderung, meint die Koordinatorin des Projekts, Marinela Andrei.
Das Verhältnis zwischen den geförderten und den spontanen informellen Gruppen ist von 10 zu 1. Unsere Hauptschlussfolgerung ist, dass die spontane Aktivierung der Bürger oder des Zivilgeistes recht begrenzt ist, auch wenn dieser in der Öffentlichkeit immer mehr sichtbar wird. Die meisten der geförderten Gruppen setzen sich für Aktivitäten ein, die in der Regel mit der Problemlösung kleiner Gemeinden zu tun haben, die mit der Infrastruktur zusammenhängen, egal ob man von Straßen, Brücken oder Gebäude (Kindergärten, Schulen) spricht.“
Indem sie sich organisieren, indem sie Ersuchen unterschreiben und in Sprechstunden bei Behörden vorsprechen, werden einige dieser Gruppen sichtbar und ihnen gelingt es sogar, mit den Lokalbehörden in Kontakt zu treten. Der Status eines Gesprächspartners der Verwaltung erlangt man nur schwer, teilweise auch weil diese informellen Gruppen keine Rechtspersönlichkeit haben. Dennoch betrachten deren Mitglieder die Behebung dieser Situation nicht als Priorität. Der Soziologe Valentin Burada, einer der Urheber des Berichts über die Tätigkeit der informellen Bürgergruppen in Rumänien, meint dazu:
Das Hauptproblem ist nicht die formelle oder rechtliche Anmeldung dieser Gruppen, sondern deren Bedarf an Anerkennung, einschließlich durch die öffentlichen Anstalten. Die Meinungen dieser informellen Gruppen betonen, dass man den Fokus auf die Zusammenarbeit mit den öffentlichen Anstalten setzen muss. Ihre Satzung dann amtlich zu machen kann schwierig sein und könnte eher zu Problemen führen als zu Lösungen. Außerdem erfolgt die Anerkennung durch die Behörden zu diesem Zeitpunkt größtenteils aufgrund einer langanhaltenden gemeinsamen Handlungsgeschichte der Mitglieder, aufgrund der Beteiligung an den Tagungen der Lokalräte, aufgrund der Initiierung von öffentlichen Aktionen, Straßenaktionen sogar, wodurch die Gruppen ihre Anerkennung tatsächlich erlangen.“
Im Ressourcenzentrum für Öffentliche Beteiligung (CERE), einer der Verbände, die die Gründung mehrerer Gruppen für Bürgerinitiative unterstützt haben, glaubt man nicht, dass es zusätzlicher Regelungen bedarf wie z.B. der Eintragung in eine Liste, die bei den Bürgermeisterämtern oder Lokalräten eröffnet wurde. Warum? Die Antwort liefert Sânziana Dobre, Programmkoordinatorin bei CERE.
Eine der Schlussfolgerungen der Studie, mit der wir nicht einverstanden sind, ist die Einführung eines Anmeldeverfahrens bei der öffentlichen Anstalt, die von den informalen Gruppen anvisiert wird. Dieses Verfahren würde ähnlich mit einer Akkreditierung bei der betreffenden Behörde sein. Bevor man ein Vorsprechen bei der Behörde in die Wege leitet oder verschiedene Treffen beantragt, müsste man sich anmelden. Wir befinden das für nicht nötig. Wir glauben, dass die Aktionen der Bürgergruppen dadurch gehemmt werden würden, denn deren Erfahrung startet ja erst mit diesen mühsam errungenen Sprechstunden bei Behörden. Ihnen nun vorzuschreiben, zuvor noch einen bürokratischen Schritt zu machen, ist wohl kaum hilfreich. Außerdem würde das die Bürokratie im Verhandlungsverfahren mit den Behörden verstärken. Das besagte Verfahren befindet sich erst am Anfang und müsste ihm die Möglichkeit geben, organisch und einfach zu wachsen.“
Im Gegenzug sind andere Vorschläge zur Effizienzsteigerung der informellen Gruppen willkommen. Sânziana Dobre:
Die anderen Schlüsse, die nahelegen, dass die Gruppen öffentliche Debatten im Rahmen des Gesetzes zur Beschlusstransparenz einleiten können, sind sehr willkommen. Dieses Gesetz besagt, dass die Lokalbehörden sich mit den NGOs beraten müssten, bevor sie einen Beschluss treffen. An diesen Beratungen müssten auch die informellen Gruppen teilnehmen. Was man machen kann, ist, diese Treffpunkte zu schaffen. Eine große Herausforderung für alle Mitglieder einer solchen Gruppe ist die Frage: ‚Wo treffen wir uns?‘. Sie können sich nicht immer in Cafés treffen. Für manche kann das teuer sein. Außerdem ist es dort recht laut und es ist kein angemessener Ort für Planung oder Diskussionen. Somit wäre die Schaffung solcher öffentlicher Treffpunkte willkommen.“
Die einvernehmlich akzeptierte Schlussfolgerung ist allerdings, dass die Förderung der Bürgerinitiativen besonders mit der Steigerung des politischen Bildungsstandes der Bürger zusammenhängt: Menschen werden mehr Mut haben, mit den Behörden zu kommunizieren, wenn sie erfahren, welche Rechte sie haben. Der Soziologe Valentin Burada:
Probleme entstehen eher vor dem Hintergrund des niedrigen politischen Bildungsstandes der Bürger und der bescheidenen Mitbestimmungstradition in Rumänien und weniger wegen der fehlenden Gesetze oder Rechtsmittel, die diesen Bürgereinsatz stützen könnten. Es gibt Mängel in der Umsetzung der Gesetzgebung für den Zugang der Öffentlichkeit zu öffentlichen Informationen und für die Teilnahme der Bürger am öffentlich wirksamen Entscheidungsprozess. Die informellen Gruppen spielen eine Rolle in dieser Hinsicht. Es wurden als Mechanismen zur Förderung des Bürgereinsatzes sowohl die Steigerung des politischen Bildungsstandes der Bürger als auch der Druck auf die Behörden vorgeschlagen, damit diese die gegebene Gesetzgebung einhalten und Mechanismen zur realen Einbindung der Bürger in den Entscheidungsprozess schaffen.“
Trotz all dieser Engpässe entstehen immer mehr Bürgerinitiativen, die auch eine wachsende Wirksamkeit zeigen. Der Trend geht nach oben.