Schulwesen: Veraltete Prüfungsmethoden sind hinderlich für Flexibilität
Die UNICEF und die OECD haben unlängst die Evaluation und die Prüfmethoden im rumänischen Bildungswesen unter die Lupe genommen. Die Ergebnisse der Studie sind ernüchternd: Die traditionelle Schule fördert nach wie vor eher das Auswendiglernen.
Christine Leșcu, 10.05.2017, 17:41
Das rumänische Bildungssystem wurde in den letzten 20 Jahren vielfältigen Änderungen ausgesetzt. Die jüngste Änderung betrifft die Überarbeitung der Lehrpläne in den rumänischen Schulen. Nun versucht die rumänische Schule, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewachsen zu sein. Eine davon betrifft die Selbstbewertung des Systems, anders gesagt, die Bewertung der Lehrerleistung und die Beurteilung der Ergebnisse der Schüler und Studenten.
Eine von den rumänischen Behörden in Zusammenarbeit mit der UNICEF und der OECD (der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) erarbeiteten Studie nimmt die Evaluation und die Prüfmethoden im Bildungssystem unter die Lupe. Laut dem derzeitig gültigen Bildungsgesetz legen die Schüler im voruniversitären Bildungswesen mehrere Prüfungen ab. Die von ihnen angeeigneten Kenntnisse werden erstmals in der 2. Klasse getestet. Danach müssen sie alle 2 Jahre einen Test zur Beurteilung ihrer Allgemeinkenntnisse schreiben, bis sie schließlich in der 8. Klasse eine Abschlussprüfung ablegen. Diese wichtige Prüfung ist unter anderem als Nationale Evaluation bekannt und gilt gleichzeitig als Zulassung ins Gymnasium. Die Nationale Evaluation ist die erste wichtige Schulprüfung im Leben der 14-15- jährigen Kinder. Und wie erwartet löst sie zahlreiche Auseinandersetzungen aus. Dazu Ioana Băltăreţu, Mitglied im Landesschülerrat:
Unser Landesschülerrat hat festgestellt, dass viel zu oft ein zu hoher Wert auf die Fächer gelegt wird, die Gegenstand der Nationalprüfung sind. In der jetzigen Form fördern diese Prüfungen viel mehr die Fähigkeit, auswendig zu lernen, als die Fähigkeit, selbst zu denken. Etwa 40% der 15-jährigen Schüler in Rumänien sind funktionale Analphabeten — so die Ergebnisse der jüngsten PISA-Studie. Obwohl sie lesen können, verstehen sie den Inhalt der Texte nicht. Denn in der Schule wurde vielmehr das Auswendiglernen gefördert.“
Kinder und Jugendliche werden regelmäßig während ihrer Schulzeit evaluiert. Sie wünschen sich aber, die Art und Weise, in der sie in der Schule ausgebildet und behandelt werden, selber zu bewerten. Dazu Ioana Băltăreţu:
Die Einbindung der Schüler im Prozess der internen Evaluation ist weiterhin mangelhaft. Die Schüler schicken zwar einen Vertreter in den Schulrat, in den Bewertungs- und Qualitätsausschuss und in den Ausschuss zur Bekämpfung der Gewalt. In den meisten Fällen kommen sie aber nicht dazu, ihre Meinung zu äußern. Vermutlich wird der Vertreter der Schüler gar nicht zur Aussprache eingeladen. Es sei unerlässlich, die derzeit gültigen Gesetze zu beachten. Den Schülervertretern sollten ihre Rechte anerkannt und gewährt werden. Die Prüfungen müssen unbedingt viel mehr als eine reine Formalität werden. Denn sie sind ein Mechanismus, der ein hochwertiges Bildungssystem stärken kann. Davon werden alle profitieren.“
Genau darauf weist auch die von der UNICEF in Zusammenarbeit mit der OECD erarbeiteten Studie Prüfungen und Evaluation im rumänischen Bildungssystem“ hin. Die Wirklichkeit, die in der Studie beschrieben wird, ist nicht gerade befriedigend. Im Vergleich zu 2012 haben die Schüler im Jahr 2015 zwar Fortschritte bei den PISA-Tests verzeichnet. Im Hinblick auf das Kapitel Wissenschaft“ erhielten aber 38,6% der 15-jährigen Kinder Ergebnisse unter dem Level 2, also unter dem bis zum Abschluss der obligatorischen Schulzeit zu erreichenden Grundlevel. Wird dieser Grundlevel nicht erreicht, so ist der Jugendliche unzureichend für eine Wissensgesellschaft vorbereitet. Im Zusammenhang mit all den Prüfungen und Tests stellt sich die Frage, wie den Schülern geholfen werden kann, so dass sie ihre schulische Leistung verbessern. Denn die Prüfungen sollen nicht nur ein Maß für den Stand der Kenntnisse der Schüler sein. Laut den Autoren der Studie bestünde die Lösung in der Flexibilität des Bildungssystems. Die Schule sollte nicht nur ein Ort für Hochleistungen sein, sondern auch einer der Inklusion. Ein Ort, an dem alle Schüler die notwendigen Fähigkeiten entwickeln und Kenntnisse erwerben können, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind. Diesbezüglich sei noch Raum für Verbesserungen, so Andreas Schleicher, Direktor bei der OECD.
Anfang 2000 gab es in Rumänien überhaupt keine unabhängige Behörde zur Bewertung der Schulen. Heute allerdings verfügt Rumänien über ein starkes Zentrum für Evaluation und Bewertung. Das Allerwichtigste ist jedoch, dass Rumänien eines der wenigen Länder in Europa ist, in dem Fortschritte verzeichnet werden. Die neu entwickelten Programme wurden an den Zielsetzungen des 21. Jahrhunderts angepasst. Demnach haben alle Jugendliche die Möglichkeit, ihre Kenntnisse zu vertiefen und Fähigkeiten und eine kritische Denkweise zu entwickeln, um sich erfolgreich an der Gesellschaft der Zukunft zu beteiligen. Doch ist die Theorie leichter als die Praxis. Denn ein Teil der Infrastruktur ist mangelhaft. Manche Lehrkräfte hinken ebenfalls den Bestrebungen im 21. Jahrhundert nach. Die Nationalprüfungen entscheiden immer noch über die Zukunft der Schüler. Doch sie basieren auf rigide akademische Kenntnisse. Die erste wichtige Prüfung dieser Art muss schon mit 14 abgelegt werden. Dieser Ansatz ist veraltet und nicht korrekt, unserer Ansicht nach.“
Der Bericht der UNICEF und der OECD macht eine klare Empfehlung: Die in den voruniversitären Schuljahren abgelegten Prüfungen sollen einen ausbildenden Charakter haben und keine Ranglisten schaffen — so Erziehungsminister Pavel Năstase.
Es ist wichtig, die Evaluation — sei es der Schüler, der Lehrkräfte oder der Schulen — aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Und zwar als eine Chance, Feedback zu bekommen. Als eine Möglichkeit, auf Basis von konkreten Ergebnissen, Maßnahmen zu treffen, die den Ausbildungsprozess verbessern können. Wir wünschen uns, dass die Lehrkräfte gut vorbereitet sind. Dementsprechend sollten die Lehrer während des Unterrichts, in der Klasse, und nicht wie heute nur durch Prüfungen und anderen schriftlichen Bewertungsmethoden evaluiert werden. Das gleiche gilt auch für die Schüler. Und somit könnte auch der Druck, dem die Schüler derzeit ausgesetzt werden, abnehmen. Diejenigen, die gewöhnlich Schwierigkeiten bei den klassischen Prüfungen haben, würden sich so auch behaupten können. Der Bericht der zwei internationalen Institutionen legt hohen Wert auf die formende Dimension der Evaluation. Denn die Evaluation soll letztendlich auf die Richtungen hinweisen, die noch verbesserungsbedürftig sind. Derzeit legen die Schüler Prüfungen ab, die Ergebnisse werden aber kaum verwertet.“
Das Bildungsministerium arbeitet bereits an mehreren Programmen für die Evaluation von Schülern und Lehrern. Diese sollen mit europäischen Mitteln gefördert werden.