Rumäniens Pfandsystem hebt ab
Mit RetuRo soll die lange Zeit ignorierte Kreislaufwirtschaft angekurbelt werden, versprechen Behörden und Getränkeindustrie. Bei Kleinhändlern und Konsumenten hält sich die Begeisterung hingegen in Grenzen.
Roxana Vasile, 22.05.2024, 10:53
Rumänien ist in Europa Schlusslicht beim Recycling. Da die EU alle Mitgliedstaaten aufgefordert hat, bis 2025 eine Quote von 55 % zu erreichen und Rumänien hofft, die Situation zumindest teilweise zu verbessern, ist Ende letzten Jahres das Pfand-Rücknahmesystem RetuRo eingeführt worden – das derzeit größte nationale Projekt der Kreislaufwirtschaft.
Jeder Kunde zahlt beim Kauf eines Getränks in einer Glas-, Plastik- oder Metallverpackung mit einem Volumen von bis zu 3 Litern ein Pfand von 0,5 Lei (etwa 10 Eurocent) – mit einigen Ausnahmen. Der Behälter kann an jeder vom Einzelhandel eingerichteten Rückgabestelle abgegeben werden und der Verbraucher bekommt das Pfand entweder in bar oder in Form eines Gutscheins zurück. Die Behörden wollen jährlich etwa 7 Milliarden Verpackungen vom Markt nehmen und nach dem Zählen, Sortieren und Verdichten an Recyclingunternehmen verkaufen.
Das System gilt daher als einer der wichtigsten Hebel zur Erreichung der von der Europäischen Union gesetzten Sammel- und Recyclingziele. Seine Umsetzung dürfte sich auch deutlich positiv auf das Recyclingverhalten der Rumänen auswirken, die in dieser Hinsicht nicht gerade diszipliniert sind. Mihaela Frăsineanu von der Kanzlei des Premierministers spricht von einem wahren Reigensystem: „Die Hora ist ein traditioneller moldauischer Reigentanz, aber auch ein Symbol für den Kreis, das auch auf dem RetuRo-Logo zu finden ist. Es ist einfach das Symbol des größten Kreislaufwirtschaftsprojekts in Rumänien, an dem mehr als 19 Millionen Menschen beteiligt sind. Und es ist das Symbol für die Verantwortung gegenüber der Umwelt. Wir machen Rumänien sauberer und das ist ein äußerst wichtiger Schritt nach vorn. Es gibt auch Dinge, die wir nicht auf Anhieb sehen, und zwar die Auswirkung auf personelle- und finanzielle Ressourceneffizienz, auf die Verringerung unseres CO2-Fußabdrucks. Es geht um einen verantwortungsvollen Umgang mit Finanzen, mit der Gesellschaft und der Wirtschaft.“
Am 13. Mai eröffnete RetuRO in Otopeni in der Nähe von Bukarest sein viertes regionales Zähl- und Sortierzentrum für Pfandverpackungen. Weitere drei stehen in den Landeskreisen Cluj, Brașov und Timiș. Auf einer Fläche von 10.000 Quadratmetern und mit modernsten Geräten ausgestattet, verfügt das neue Zentrum über eine jährliche Zählkapazität von rund 900 Millionen Verpackungen und eine doppelt so große Sortier- und Verarbeitungskapazität nach Materialart (PET, Metall, Glas) – 1,8 Milliarden Verpackungen.
Das Rücknahmesystem sei immer dynamischer, die Rumänen geben immer mehr Verpackungen zurück und eine immer stärkere Beteiligung der Verbraucher sei zu spüren – in den nächsten drei Monaten planen wir die Eröffnung weiterer Zähl- und Sortierzentren in den Kreisen Dolj, Bacău und Prahova“, sagt Gemma Webb, CEO und Vorsitzende des Verwaltungsrats von RetuRO.
Vom Nachhaltigkeitsverband der Hersteller von Erfrischungsgetränken fügt Alice Nichita hinzu: „Nur sehr wenige bestehende Pfandsysteme haben bereits ihr viertes Zentrum in Betrieb genommen, und wir haben es in weniger als sechs Monaten seit dem Start des Systems geschafft. Ich glaube nicht, dass es ein anderes System gibt, das über 10 Sammel- und Sortierzentren verfügt, wie es RetuRo in seinem ersten Betriebsjahr anstrebt. Es ist ein ehrgeiziges Projekt, das alle Erfolgschancen hat. Solche Projekte sind keine Sprints oder Testläufe, sie sind Dinge, die man vom ersten Tag an effizient aufbauen muss und bei denen man nicht auf Prinzipien verzichten darf. Und wir sind stolz darauf, dass wir Anfragen von Kollegen aus anderen Ländern erhalten, insbesondere aus Westeuropa, die von uns lernen und vor Ort sehen wollen, welche Schritte und Lektionen wir während dieses Projekts verinnerlicht haben.”
Die Republik Moldau ist eines der Länder, die daran interessiert sind, diese bewährte rumänische Praxis zu übernehmen, verdeutlicht Sergiu Lazarenco, Umweltminister des Nachbarlandes: „Unser Ziel ist es, das Pfandsystem bis 2027 einzuführen. Wir wissen, dass die Umsetzung mit beträchtlichen Herausforderungen verbunden ist, aber es ist sicher, dass die Bürger so verantwortungsbewusster werden, die Umwelt sauberer wird, die Kreislaufwirtschaft wächst, dass wir neue Möglichkeiten für die wirtschaftliche Entwicklung und vor allem neue Arbeitsplätze schaffen werden. Ich freue mich sehr darüber, dass Bürger in beiden Ländern immer bewusster und besorgter mit Umweltfragen umgehen. Deshalb sind wir weiterhin entschlossen, komplizierte, aber notwendige umweltpolitische Maßnahmen und Aktionen in Angriff zu nehmen. Wir können Umweltreformen nicht länger hinauszögern, denn in Umweltprojekte investieren heißt, in die Zukunft zu investieren!“
Im Moment haben sich noch nicht alle Händler in Rumänien im System angemeldet. Andere wollen bereits aussteigen und machen einen langsamen Übergang geltend. Manchmal funktionieren die Recycling-Automaten in den Geschäften nicht, sind voll oder lesen die Strichcodes der Verpackungen nicht. Kleine Geschäfte in der Nachbarschaft haben keinen ausreichenden Lagerraum für leere PET-Behälter, Dosen oder Flaschen, während sie auf die Abholung warten. Einige Kunden sind unglücklich darüber, dass sie die Gutscheine, die sie erhalten, nicht in jedem beliebigen Geschäft einlösen können, sondern nur in der Kette, in der sie recycelt haben. Doch trotz der Probleme ist das System seit seinem Start im November 2023 stetig gewachsen. Allein im April wurden 160 Millionen Verpackungen gesammelt, und die Behörden haben sich zum Ziel gesetzt, die 200-Millionen-Marke in einem einzigen Monat zu knacken. Das bedeutet, dass mit Hilfe von 19 Millionen Bürgern ebenso viele Getränkekartons weniger auf Mülldeponien, in Flussbetten und Wäldern landen.