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Rumänien will Armut konsequenter bekämpfen

Das Paket richtet sich vor allem Kinder und Jugendliche, von denen 1,7 Millionen von Armut bedroht sind.

Rumänien will Armut konsequenter bekämpfen
Rumänien will Armut konsequenter bekämpfen

, 02.03.2016, 18:00

Die rumänische Regierung hat unlängst ein Ma‎ßnahmenpaket zusammengeschnürt, mit dem die Armut in Rumänien besser bekämpft werden soll. Insbesondere Minderjährige (von denen 1,7 Mio. von Armut bedroht sind) und Senioren sollen davon profitieren. Bei der Vorlage des Pakets mit 47 Ma‎ßnahmen detaillierte Premierminister Dacian Cioloş eine Reihe von Zielen:



Bei der Geburt gilt es, über die Unterstützung für die medizinische Untersuchung und Impfstoffe hinaus sicherzustellen, dass alle Kinder eine Identität bekommen. In manchen Fällen haben Familien keinen festen Wohnsitz, und daher gibt es Kinder, die ohne Identität bleiben und die vom Unterstützungssystem ausgeschlossen sind, und wir denken, hier ein paar Lösungen zu liefern. Nach Erreichen des Schulalters muss die Zahl der Schulabbrecher verringert werden. Für diejenigen, die die Schule verlassen und keine Chance auf einen Job haben, denken wir an einen proaktiven Ansatz vom Arbeitsamt, um Hilfsprogramme zu entwickeln, die diese jungen Menschen finden und ihnen helfen, im Berufsleben Fu‎ß zu fassen oder durch die Erweiterung des Programms „Schule im zweiten Anlauf“ ihre Ausbildung fortzusetzen.“



Die Aussagen des Premierministers sind eindeutig. Aber was bedeutet Armut genauer — abgesehen von Allgemeinplätzen wie Rumänien ist eines der ärmsten Länder in der EU“? Auf diese Frage zu antworten versucht seit etwa einem Jahr der Sozialmonitor“ der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rumänien. Dieses Projekt bündelt, analysiert und präsentiert auf verständliche Weise die sozialen und wirtschaftlichen statistischen Daten aus verschiedenen nationalen und europäischen Quellen. Sobald der Überblick steht, wird etwas klar, glaubt Victoria Stoiciu, Programmkoordinatorin für die Friedrich-Ebert-Stiftung: Einige dieser Daten sind irreführend. Zum Beispiel, dass die Arbeitslosigkeit in Rumänien eine der niedrigsten in der EU ist. Statistiken zur Arbeitslosigkeit, Beschäftigungsquote, aber auch über selbstständig Beschäftigte kaschieren in Wirklichkeit eine harte Realität. Victoria Stoiciu:



Die Beschäftigung in der EU wird mit Verweis auf diejenigen Kategorien von Personen gemessen, die eine abhängige oder unabhängige Beschäftigung haben. Zum Beispiel kann man auch selbständig beschäftigt sein. Nach dieser Definition gibt es in Rumänien einen relativ guten Anteil der Beschäftigungsquote, von etwas über 60%. Damit liegen wir im EU-Durchschnitt relativ gut, obwohl wir das Ziel der Agenda 2020 nicht erreicht haben. Aber was bemerken wir, wenn wir die Struktur dieser Bevölkerungsgruppe ansehen? Wir haben etwa 4,5 Millionen abhängig Beschäftigte. Davon abgesehen gelten fast 3 Millionen Menschen zur Hälfte als Selbständige, zur Hälfte aber auch als so genannte mithelfende Familienangehörige. Letztere arbeiten im eigenen Haushalt, aber sie haben kein Einkommen und werden am Ende des Monats nicht bezahlt. Das sind praktisch Arbeitslose, Menschen ohne Arbeitsplatz – statistisch gesehen gelten sie aber als beschäftigt. 90% der Selbstständigen arbeiten in der Landwirtschaft, wobei die Agrarwirtschaft wiederum eine Art Subsistenzbeschäftigung ist.“




Aber auch abhängig Beschäftigte sind nicht viel besser gestellt, sagt Stoiciu — das Bruttomindestgehalt in Rumänien beträgt 218 €, nur in Bulgarien ist es im EU-Vergleich etwas niedriger. Und das durchschnittliche Nettogehalt erreichte Ende 2015 knapp 470 Euro. Darüber hinaus stellen die so genannten Sozialtransfers — Arbeitslosengeld, Kindergeld, Renten, Sozialleistungen etc. – bis zu 16% des BIP. Der europäische Durchschnitt liegt bei über 20%, Rumänien stellt also einen neuen negativen Rekord auf — es ist das europäische Land, das am wenigsten für die Sozialfürsorge ausgibt. Was hält unter diesen Umständen Victoria Stoiciu vom aktuellen Anti-Armuts-Paket?



Es ist ein gutes Paket, ich habe daran nichts auszusetzen. Aber ich möchte zwei Bemerkungen machen. Anfang letzten Jahres wurde für den Zeitraum 2015-2020 die Nationale Anti-Armutsstrategie verabschiedet, die der öffentlichen Debatte vorgelegt wurde und aus meiner Sicht OK war. Deshalb habe ich nicht verstanden, warum die derzeitige Regierung nicht versucht hat, daran anzuknüpfen, was vorher getan wurde. Ich habe zwar keine berechtigte Kritik an der alten Strategie gehört, aber sie haben jetzt etwas anderes als Ergänzung aufgebaut, was wiederum OK ist. Es ist diese Gewohnheit von Regierungen in Rumänien, an die Macht zu kommen und mit dem Schwamm über alles zu fahren, was die Vorgänger gemacht haben, so dass keine Kontinuität in der öffentlichen Politik besteht. Obwohl ich an der Substanz des aktuellen Pakets nicht auszusetzen finde und alle Ma‎ßnahmen zu Sozialleistungen sinnvoll sind, muss ích dennoch sagen, dass man das Übel an der Wurzel packen muss, um Armut zu beseitigen. Die Ursache des Problems ist der Mangel an Arbeitsplätzen.“




Das jüngst eingeführte Anti-Armuts-Paket enthält einige Beispiele für bewährte Praxis, z.B. Pilotprogramme von Nichtregierungsorganisationen, die jetzt in die nationale Gesetzgebung einflie‎ßen. Dazu gehört das Projekt Jedes Kind in den Kindergarten“, das vom Verein OvidiuRo“ entwickelt wurde und einen Sozialgutschein im Wert von 50 Lei für benachteiligte Familien vorsieht, deren Kinder im Kindergarten bleiben. Mit diesem Gutschein können Lebensmittel, Hygieneartikel, Bekleidung und Schuhe gekauft werden. Wie und seit wann Jedes Kind in den Kindergarten“ zu einem nationalen Programm wurde, erzählt Maria Gheorghiu, Geschäftsführerin der Stiftung OvidiuRo“:



Es ist ein Projekt, das wir als Pilotprogramm seit 2010 in Gemeinden in Rumänien umgesetzt haben, und im letzten Jahr dachten wir, dass wir die Lösung gefunden haben, um die armen Kinder in Rumänien zu unterstützen. Wir haben einen Gesetzesvorschlag eingebracht, um das Pilotprojekt in ein nationales Programm umzuwandeln. Im Oktober 2015 verabschiedete die Abgeordnetenkammer das Gesetz und dann haben wir mit der Regierung gearbeitet, um die aktuellen Anwendungsvorschriften zu schreiben. Diese wurden Anfang Januar fertiggestellt, dann ist unser Programm ins Paket zur Armutsbekämpfung aufgenommen worden. Die Grundidee ist, Kindern aus benachteiligten Familien Sozialgutscheine zu geben, wenn sie regelmä‎ßig in den Kindergarten gehen. Rund um diesen zentralen Mechanismus, setzen wir auch andere Ma‎ßnahmen um, wie die Bereitstellung von Kleidung und Schuhen sowie Schulmaterial. Die Ma‎ßnahmen im neuen Anti-Armuts-Paket ergänzen somit den Sozialgutschein um solche Leistungen.“




Bis zum 10. Februar haben die Kommunen eine Schätzung über die Anzahl der in Frage kommenden Kinder an die Steuerverwaltungen geschickt, die dann ihrerseits Mittel an die lokalen Haushalte übertragen haben.

(foto: Anqa / pixabay.com)
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