Publikationsprojekt mit Jugendlichen: Teenies sind sehr mitteilungsbedürftig
Jugendliche werden heute oft als „Lesemuffel“ und „bildschirmsüchtig“ abgestempelt; außerdem würden sie „am Konsum ersticken“ und vom Nachhilfeunterricht „erschöpft“ sein. Ihren Eltern und Erziehern erscheinen sie als rätselhaft und verschlossen, weil die Erwachsenen keine Zeit oder keine Möglichkeit zu finden scheinen, um mit ihnen zu kommunizieren.
Christine Leșcu und Sorin Georgescu, 03.07.2024, 17:30
Doch ist dem auch so? Die Schriftstellerin Iulia Iordan nahm sich vor, im Rahmen eines von einer NGO und dem Seneca-Verlag initiierten Bildungsprojekts herauszufinden, wie die Jugendlichen von heute ticken. Ausgangspunkt war die berühmte Schrift „Briefe an Lucilius“ des römischen Dichters und Philosophen Seneca. Im Buch erteilt Seneca einem gewissen Lucilius Ratschläge, sein Leben im Sinne der stoischen Philosophie sinnvoll zu gestalten. Im Projekt des Seneca-Verlags wurden Jugendliche ermutigt, ihre Gedanken niederzuschreiben. Projektkoordinatorin Cristina Pârvu mit Einzelheiten:
„Am Anfang stand der Wunsch, Senecas Lehren in praktische Ratschläge für die Jugend von heute umzuwandeln, sozusagen einen Ratgeber für den Alltag zu erarbeiten. Wir arbeiteten dabei mit der Schriftstellerin Iulia Iordan und der Illustratorin Oana Ispir zusammen. Es handelt sich um einen Briefaustausch zwischen der Schriftstellerin Iulia Iordan und 18 Jugendlichen im Alter von 15 bis 17 Jahren. Die Jugendlichen schickten Iulia Iordan Briefe über ihre Sorgen, Ängste, Glücksmomente und existenziellen Fragen. Auf der Grundlage ihrer Briefe schrieb Iulia Iordan ihrerseits Antworten, die von den Lehren Senecas und den Briefen an seinen jüngeren Freund Lucilius inspiriert sind.“
„Philosophie als Taschenbuch“ bezeichnete der Seneca-Verlag das Projekt mit redaktioneller Beteiligung von Jugendlichen, doch die Texte, die anschließend in einem Sammelband mit dem Titel „Bleib bei dir“ veröffentlicht werden sollen, will die Autorin Iulia Iordan in Form von Gedichten verarbeiten. Bei den 18 teilnehmenden Jugendlichen handelt es sich um junge Menschen, mit denen die Autorin in anderen Bildungsprojekten zusammengearbeitet hat und die das Bedürfnis haben, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Denn die Jugendlichen brauchen jemanden, der ihnen zuhört und dem sie Geständnisse machen können, sagt die Autorin Iulia Iordan.
„Es ist sicherlich eine Form der Ermutigung, wie einer von ihnen in seinem Brief ausdrücklich sagt: ‚Wir haben dieses ständige Bedürfnis, uns Gehör zu verschaffen und Zuspruch von anderen zu erfahren.‘ In meinen Gesprächen mit jungen Menschen oder sogar mit immer jüngeren Kindern, die ich unabhängig von diesem Projekt führe, erkenne ich dieses Bedürfnis, sich mitzuteilen, und sie sagen mir oft, dass sie niemanden hätten, mit dem ich reden könnten, nicht einmal unter ihren Freunden. Andere schrieben: ‚Ich traue mich nicht, bestimmte Dinge zu sagen.‘ Und es ist sehr traurig und unfair, dass wir trotz der vielen Kommunikationsmittel, die uns heute zur Verfügung stehen, immer noch das Gefühl haben, nicht gehört und nicht verstanden zu werden. Deshalb war ich sehr froh, dass der Seneca-Verlag für dieses Projekt offen war, bei dem der ursprüngliche Vorschlag darin bestand, einige von Senecas Briefen an Lucilius in eine jugendfreundlichere Form der Poesie zu bringen. Letztendlich stimmte der Verlag jedoch zu, noch direkter vorzugehen und die Stimmen der Jugendlichen selbst in die Gedichte einzubeziehen, die schließlich aus dem Projekt hervorgehen werden.“
Doch was beschäftigt diese jungen Menschen und was haben die Teenager dieser Generation gemeinsam? „Die Ernsthaftigkeit, mit der sie sich Fragen stellen“, hat die Autorin Iulia Iordan beobachtet.
„Für mich war die Tatsache erhellend, dass sie einen klaren Verstand haben und sich der Antworten auf ihre Fragen sehr bewusst sind. Sie haben einen wirklich geübten Verstand und eine gewisse Leseerfahrung. Ich möchte daher einer möglichen Kritik an diesem Buch entgegenwirken, die in anderen Zusammenhängen an mich herangetragen wurde. Mir wurde etwa gesagt, dass wir uns bestimmte Jugendliche aus bildungsaffinen Milieus ausgesucht hätten und dass unser Projekt daher nicht repräsentativ sei, denn schließlich seien nicht alle Jugendliche so. Dem möchte ich widersprechen – doch, die Jugendlichen ähneln einander sehr, und es sind dieselben Fragen, die sie bewegen. Allerdings muss man ihnen die Gelegenheit bieten, diesen kritischen und klaren Verstand zu üben, und wir Erwachsenen sollten ihnen Bücher zur Verfügung stellen, und nicht nur darauf abzielen, sie in eine extrem formalisierte Bildung einzubinden, wie es leider in den rumänischen Schulen am häufigsten geschieht. Ich glaube, dass alle Jugendliche bewegende Geständnisse schreiben könnten, wenn sie ein paar kleine Werkzeuge parat hätten, die die Erwachsenen in ihrem Umfeld zur Verfügung stellen sollten. Jugendliche haben vieles gemeinsam. Die Freiheit, mit der sie sich ausdrücken, die Kühnheit, mit der sie sich äußern, den Mut, mit dem sie Fragen stellen, die sie anschließend selbst beantworten. Nach dem Lesen all dieser Briefe kann man nicht anders, als ihren jungen und offenen Geist zu bewundern.“
Doch welche sind konkret die Themen, die Jugendliche bewegen? Die Frage beantwortet zum Schluss unseres Sozialreports erneut die Autorin Iulia Iordan:
„Einige von ihnen schrieben über den Tod und wie sie damit umgehen. Einige andere schrieben über den Krieg, und ich fand diesen Ansatz in seiner Unschuld sehr reif, vor allem, weil die meisten Erwachsenen in meinem Umfeld bereits aufgehört haben, über das Thema Krieg zu sprechen, obwohl er immer noch unweit der Grenzen unseres Landes weiter tobt. Doch siehe da, diese Jugendlichen denken immer noch über diese Dinge nach. Andere haben über Liebe, Philosophie, Literatur, Mut oder Angst geschrieben. Die Themen sind sehr vielfältig.“