Psychologische Studie: Oberflächen- und Tiefenprofil der Rumänen im Vergleich
Zehn Jahre lang haben Forscher von der Babeş-Bolyai-Universität in Cluj/Klausenburg an der Eruierung eines psychologischen Profils der Rumänen gearbeitet. Die Ergebnisse sind teils überraschend.
Christine Leșcu, 22.04.2015, 17:51
In 2005 hat das amerikanische Wissenschafts-Magazin Science“ eine Vergleichsuntersuchung über 49 Kulturen der Welt veröffentlicht. Die Studie untersuchte, wie sich die unterschiedlichen Völker selbst wahrnehmen und wie diese in Realität sind. Die Rumänen wurden damals nicht unter die Lupe genommen. Das gab den Forschern von der Abteilung für klinische Psychologie und Psychotherapie von der Babeş-Bolyai-Universität in Cluj/Klausenburg den Ansporn, ihre eigene Untersuchung zu starten.
Es folgte eine ausführliche Untersuchung, die 10 Jahre lang dauerte. Dabei wurde die Methodologie, die bei der amerikanischen Studie eingesetzt wurde, benutzt. Rumänische Studien und weitere Tests, die speziell für diese Untersuchung entwickelt wurden, haben die Forscher auch benutzt. Das Ergebnis wurde dieses Jahr bekannt gegeben und stellt ein generelles psychologisches Profil der Rumänen dar. Die Studie hat sich unter anderem vorgenommen, zwei andere Studien, die 1907 und 1937 erschienen, zu ergänzen. 1907 war die Studie von Dumitru Drăghicescu und 1937 Die Psychologie des rumänischen Volkes“ von Constantin Rădulescu-Motru erschienen.
Die Schlussfolgerungen der vergangenen Untersuchungen wurden zum Großteil von der aktuellen Studie bestätigt. Interessant und überraschend sind die Unterschiede zwischen dem sogenannten Oberflächen-Profil“ der Rumänen und dem tiefen Profil“. Das erste bezieht sich auf das aktuelle Verhalten und Denken und das zweite auf die potentiellen Merkmale, die unter bestimmten Bedingungen zum Vorschein kommen könnten. Professor Daniel David von der Babes-Bolyai-Universität in Cluj spricht über diese Unterschiede:
Was das tiefe psychologische Profil anbelangt, das sich auf das Potential im Bereich der kognitiven Intelligenz, der Kreativität, des Lernstils, der emotionalen Intelligenz bezieht, haben wir erfahren, dass sich die Rumänen nicht von anderen Völkern im modernen Europa unterscheiden. Wenn wir uns aber das Oberflächen-Profil anschauen — unser eigentliches Handeln — bemerken wir, dass dieses Potential nicht völlig ausgenutzt wird. Wenn wir zum Beispiel unsere Ergebnisse bei unterschiedlichen Bildungs-Tests vergleichen, sehen wir, dass unsere Leistungen nicht allzu hoch sind. Wenn wir uns auch die Ergebnisse in der Kategorie Innovation anschauen, sehen wir, dass die Innovations-Indikatoren nicht groß sind, auch wenn das Kreativitäts-Potential vergleichbar mit dem der Amerikaner oder Briten ist. Es gibt eine große Kluft zwischen dem, was mir machen könnten, und dem, das wir gemacht haben.“
Ein weiteres Merkmal der Rumänen hebt auch die grundsätzlichen Unterschiede zwischen ihnen und anderen Völkern hervor. Daniel David dazu:
Ein großes Problem, das wir bewältigen müssen, ist das Misstrauen gegenüber anderen Menschen. Das Misstrauen gegenüber anderen Menschen ist im Falle der Rumänen stark. Das haben wir in einer anderen Studie, die bald zu Ende gehen wird, untersucht. In dieser haben wir die soziale Distanz in 53 Kulturen der Welt analysiert, wir haben zum Beispiel die Rumänen mit den Amerikanern und den Briten verglichen. Ein Amerikaner oder ein Brite akzeptiert den Fremden in seiner persönlichen Sphäre: Er betrachtet ihn von Anfang an, ohne ihn zu kennen, als Freund und schenkt ihm sein Vertrauen. Wenn die Rumänen einen Fremden treffen, kommt dieser zuerst in die soziale Sphäre. Er muss unser Vertrauen gewinnen, bevor er die persönliche Sphäre betreten darf.“
Die persönliche Sphäre und die Familie sind für die Rumänen sehr wichtig. Deswegen beschäftigen sie sich auch weniger mit Begriffen wie Gemeinwohl“. Charakteristisch sei ein egoistischer Individualismus, der aber sich vom Individualismus als Grundstein der modernen westlichen Zivilisation unterscheidet, meint Professor Daniel David:
Der Individualismus ist ein Konzept, laut dem autonome Individuen sich freiwillig solidarisieren und dadurch großzügige und starke Gemeinden gründen. Individualismus ist nicht Egoismus. Es ist das grundlegende Prinzip der EU-Völker, mit den Ausnahmen Portugal, Griechenland, Bulgarien und Rumänien. Wenn wir aber über Rumänen sprechen und den Begriff des Individualismus benutzen, kann man in die Irre geführt werden. Unser Individualismus ist kein westlicher, sondern ein egoistischer, alleinherrschender, das bemerkte auch Rădulescu-Motru. Und das hilft uns nicht, uns zu solidarisieren, es hilft uns nicht, Vertrauen ineinander zu haben und folglich können wir keine starken Gemeinschaften gründen. Unser Kollektivismus schließt nicht die Nachbarn oder die Kollegen ein. Es beschränkt sich auf unsere Familie. Es gibt Vertrauen nur unter den Familienmitgliedern. Auch die Freunde müssen einen Vertrauenstest bestehen, um in den intimen Kreis akzeptiert zu werden. Die Familie gilt als Sicherheits- und Schutz-Element.“
Unter diesen Bedingungen fragt man sich, wo sich die Gastfreundlichkeit“, von der die Rumänen glauben, sie wäre eines ihrer Charakterzüge, wiederfindet. Wir betrachten uns selbst als gastfreundlich, zugleich geben wir aber zu, kein Vertrauen zu haben. Wie kann man sich das erklären? Daniel David erläutert:
Das Problem mit der Gastfreundlichkeit ist etwas komplizierter. Wir müssen wieder unterscheiden zwischen dem, was wir glauben, zu sein, und dem, was wir wirklich sind. Die Rumänen, wie auch andere Völker, benutzen ein selbstbewunderndes Klischee. Was das bedeutet? Die betrachten sich selbst als warmherzige und kompetente Personen. Aber ich wiederhole: Alle Völker denken das von sich. Wir bewerten uns selbst als eher freundlich, als vertrauenswürdig. Also wird das Problem des Vertrauens auch subjektiv, nicht nur objektiv bewertet. Das gleiche gilt für die Kompetenz. Die Kompetenz hat zwei Komponenten: Disziplin und Effizienz. Wir betrachten uns als effizient, aber als weniger diszipliniert.“
Um die berufliche Kompetenz der Rumänen zu messen, müssen wir die Einstellung zur Arbeit untersuchen. Auch hier kommen die Unterschiede zwischen dem Oberflächen- und dem Tiefen-Profil zum Vorschein, weiß Professor Daniel David.
Die Arbeit scheint für die Rumänen ein Mittel zur sozialen Emanzipation zu sein. Wenn die Arbeit das nötige Einkommen bringt und einem hilft, sozial aufzusteigen, sich zu emanzipieren, dann sind die Rumänen sehr beharrlich und fleißig. Wenn aber das Einkommen niedrig ist und dem Menschen nicht hilft, weiter zu kommen, dann kommt dieser Spruch: ‚Ich arbeite, wie ich bezahlt werde, es geht doch auch so‘. In der Provinz, wo die Einkommen klein sind, wird man unfleißig. Wenn aber derselbe Rumäne, der in der Heimat nicht fleißig war, ins Ausland geht und einen gut bezahlten Job bekommt und das Geld ihm hilft, sich sozial zu emanzipieren, wird er zu einem sehr fleißigen Gesellen.“
Mit anderen Worten können das Tiefen-Profil eines Volkes und das damit verbundene Potential nur dann ans Licht kommen, wenn die sozialen Institutionen die notwendigen Bedingungen dafür schaffen.