Psychologie und Psychiatrie in Rumänien: Fachkonferenz legt Altlasten offen
Psychologie und Psychiatrie haben in Rumänien schon immer ein Schattendasein geführt. Das kommunistische Regime schaffte die Fakultäten für Psychologie vorübergehend ab und die psychiatrische Versorgung ist in Rumänien immer noch unzulänglich.
Monica Chiorpec, 12.08.2020, 17:30
Gesundheit ist ein Zustand vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens“, definiert die Weltgesundheitsorganisation. Körperliche Gesundheit und psychisches Wohlbefinden gehören also zusammen: Wer sich psychisch nicht wohlfühlt, ist weder richtig gesund noch leistungsfähig. Psychische Gesundheit ist eine unverzichtbare Grundlage, um im modernen Arbeitsleben zu bestehen und sich beruflich wie persönlich entwickeln zu können.
Global Shapers Bucharest Hub ist eine Gruppe enthusiastischer junger Menschen, die unter der Leitung des Weltwirtschaftsforums gemeinsam an Lösungen für lokale, regionale und globale Herausforderungen unserer Gesellschaft arbeiten. In Partnerschaft mit der Capital Medical Studentsʼ Society initiierten die Global Shapers eine Reihe von Gesprächen über das kontroverse Thema der psychischen Gesundheit. Ein erstes solches Treffen fand Anfang Februar an der Carol Davila“-Universität für Medizin und Pharmazie in Bukarest statt. Diana Loreta Păun, Präsidialberaterin im Ministerium für öffentliche Gesundheit, spricht über die Hauptprobleme der Psychiatrie in Rumänien:
Wir haben Probleme im Bereich der Ressourcen. In der Tat sind das die größten Probleme des Gesundheitssystems in Rumänien. Ich beziehe mich in erster Linie auf die Humanressourcen, auf die jungen Menschen, die nach Abschluss ihres Studiums das Land verlassen. Es besteht ein großes Defizit im Bereich der finanziellen Ressourcen und der Infrastruktur. Auch der Ansatz gegenüber den psychiatrischen Patienten ist begrenzt. Im Allgemeinen entscheiden wir nach der Diagnose über die medikamentöse Behandlung, aber ein richtiger Ansatz umfasst auch den Bereich der Sozialhilfe, der sozialen Reintegration, der Verhaltenstherapie und der Sozialpsychiatrie, Elemente, die in Rumänien leider nicht gut entwickelt sind.“
In einer jahrzehntelangen Geschichte des Totalitarismus hat die rumänische Psychiatrie Probleme der Herangehensweise und der Vision entwickelt, die noch immer das Leben einer beträchtlichen Anzahl von Patienten beeinflussen. Viele dieser Patienten bleiben aus den gleichen Gründen leider unerkannt. Weitere Details von Diana Loreta Păun:
Wir leiden immer noch unter Schwächen und Problemen, die uns die Jahre des Kommunismus auferlegt haben. Ich glaube, dass die Diskriminierung und die Stigmatisierung von Patienten mit psychischen Erkrankungen aus dieser Zeit stammt. Außerdem leben wir in einer Gesellschaft, in der wir zunehmend unter Stress stehen. Das bedeutet Anpassung, und wir passen uns oft nicht an. Wir entwickeln psychiatrische Störungen, wir entwickeln Depressionen, die zum Selbstmord führen können. All diese Dinge müssen berücksichtigt werden, um den besten Ansatz zu finden. Im täglichen Leben sind die Folgen der mangelnden Selbsterkennung bestimmter psychischen Störungen offensichtlich. Die Patienten gehen nicht zum Facharzt, sie vermeiden es, mit einem Psychologen oder mit einem Psychiater zu reden. Deshalb werden sie nicht diagnostiziert und erhalten keine Behandlung.“
Es gab jedoch bessere Zeiten für die rumänische Psychiatrie. Waren rumänische Fachärzte vor dem Zweiten Weltkrieg nahe daran, sich den westlichen Tendenzen anzuschließen, so blieben Ende der 1970er Jahre die Psychologie und die Psychiatrie in einem vom kommunistischen Regime aufgezwungenen Schatten. Darüber spricht der Psychologe Julien-Ferencz Kiss, Autor der Studie Geschichte der Psychoanalyse in Rumänien“:
Bis Anfang der 1940er Jahre gab es in Rumänien eine sehr starke Tradition der psychologischen Studien. Der Beweis dafür ist, dass in Bukarest der internationale Kongress der Psychologie organisiert werden sollte, aber er fand wegen des Krieges nicht mehr statt. Es war aber das erste Mal, dass ein Land außerhalb des Westblocks vorschlug, den Kongress zu organisieren. Selbstverständlich sprechen wir über Psychologie im Allgemeinen, nicht über Psychoanalyse. Die Psychoanalyse hat in Rumänien keine Wurzeln geschlagen. Und was nach 1948 geschah, führte sogar zum Ablehnen, zur Leugnung der Psychologie. Es gab eine Zeit, in der man in Rumänien Psychologie nicht mehr studieren konnte. Im Jahr 1977 wurden die psychologischen Fakultäten abgeschafft, und der Beruf des Psychologen wurde aus dem Berufsverzeichnis gestrichen.“
Leyla Safta-Zecheria, Soziologin an der West-Universität in Timişoara (Temeswar), hat das Problem der Einrichtungen mit psychologischem Profil aus verschiedenen Epochen Rumäniens untersucht. Leider scheinen sich die prekäre Situation und die negative Wahrnehmung des psychiatrischen Medizinsystems bis jetzt nicht wesentlich verbessert zu haben:
Trotz der fortschrittlichen Idee, die von Prof. Dr. Alexandru Obregia und von Prof. Dr. Constantin Ion Parhon nach dem Ersten Weltkrieg eingerichteten Infrastruktureinheiten für Psychiatrie zu modernisieren, gab es doch keine Verbesserung in diesem Bereich. Prof. Dr. Constantin Ion Parhon notierte in den 1920er Jahren, dass in Socola (einer psychiatrischen Einrichtung in der Nähe von Iaşi, im Nordosten Rumäniens) die hygienischen Bedingungen jämmerlich waren und dass es Probleme mit der Ernährung der Patienten gab, die nur ein Minimum an Nahrung erhielten. Das waren alte Probleme, die im Laufe der Geschichte immer wieder auftauchten und nie richtig gelöst wurden. Jedes politische System, auch das kommunistische, hat sich vorgenommen, die Situation zu verbessern. Das kommunistische Regime hat zum Beispiel das System der Psychiatrieanstalten ausgedehnt. In den 1940er und 1950er Jahren wurden große Psychiatrieanstalten eingerichtet, wo sehr viele Patienten versorgt wurden. Es folgte dann die Erweiterung der allgemeinen Krankenhäuser durch psychiatrische Abteilungen und in den 1970er Jahren gab es zum ersten Mal Gemeinschaftsdienste mit Labors für psychische Gesundheit. In den 1990er Jahren gab es mehrere Berichte, die zeigten, dass es Einrichtungen gab, wo psychiatrische Patienten ihrer Freiheit und der grundlegenden Lebensbedingungen beraubt wurden. Ähnliche Situationen gibt es heute noch.“
Die aktuellen Weltstatistiken zur psychischen Gesundheit sind alarmierend. Medizinische Systeme aus aller Welt stehen vor einer beispiellosen Herausforderung, und Rumänien muss eine medizinische Tradition wiederherstellen, die im Laufe der Geschichte viel zu oft schwierige Zeiten erlebt hatte. Ştefan Bandol ist der Präsident der Vereinigung ARIPI (FLÜGEL“) für Patienten mit psychiatrischen Problemen und erklärt die Bedeutung dieses Bereichs:
Es ist ein großes Problem, mit dem sich alle Menschen überall auf der Welt konfrontieren. Es geht um Diskriminierung und Stigmatisierung. Statistiken der Weltgesundheitsorganisation zeigen, dass in den 1990er Jahren 25% der Weltbevölkerung mindestens einmal im Leben eine psychologische oder psychiatrische Beratung benötigten. In den 2000er Jahren stieg dieser Prozentsatz auf 33%, und nach 2010 besagen die neuesten Statistiken, dass in Zukunft 50% der Bevölkerung des Planeten mindestens einmal im Leben psychiatrische Fachberatung benötigen werden. Wenn man bedenkt, dass jeder von uns ein Familienmitglied, einen Freund oder einen Kollegen mit psychologischen oder psychiatrischen Problemen hat, so ist praktisch die gesamte Bevölkerung des Planeten direkt oder indirekt von diesem Phänomen betroffen.“
Das Symposium Romania’s Troubled History with Mental Health“ (Rumäniens problematische Geschichte mit der psychischen Gesundheit“), das am 6. Februar stattgefunden hat, war Teil des Projekts Shaping Conversations: Mental Health“ (Gespräche gestalten: psychische Gesundheit“). Mit diesem Projekt stellt der Global Shapers Bucharest Hub wichtige Themen im Bereich der psychischen Gesundheit in den Vordergrund. Weitere Veranstaltungen gibt es am 5. März — The Reality of Mental Health“ (Die Realität der psychischen Gesundheit“) — und am 9. April — Digital Revolution Meets Mental Health“ (Digitale Revolution und psychische Gesundheit“).