Lebensmittelverschwendung: Verschwommene Gesetzeslage, wenig Bildung
Die Nahrungsmittel sind knapp – darunter leiden nicht nur Menschen in Krisengebieten. Und dennoch werden in anderen Regionen dieser Welt Lebensmittel ganz einfach weggeschmissen. Inzwischen ist das Phänomen auch in Rumänien zur Realität geworden.
Christine Leșcu, 10.08.2016, 17:30
Laut Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) wird ein Drittel der weltweit produzierten Lebensmittel verschwendet. Die Menge entspricht dem dreifachen Nahrungsmittelbedarf des Planeten. Und die EU-Länder verschwenden über 89 Millionen Tonnen Lebensmittel, davon entfallen 2,5% auf Rumänien. Das geht zumindest aus Statistiken der FAO für den Zeitraum 2006-2012 hervor. Seitdem wurden in Rumänien keine Studien zur Lebensmittelverschwendung mehr durchgeführt, das heißt, man weiß zurzeit nicht genau, wieviel Nahrung und welche Arten von Lebensmittel in Rumänien in der Mülltonne landen. Außerdem wurde auch die FAO-Studie anhand von Schätzungen der Europäischen Kommission durchgeführt, wobei das skandinavische Modell als Grundlage diente.
Allerdings sind auch die vorliegenden Schätzungen besorgniserregend: Die größte Verschwendung findet in den Haushalten statt (ca. 49%), es folgen die Lebensmittelindustrie mit 37%, der Einzelhandel mit 7%, das Gaststättengewerbe mit 5% und die Landwirtschaft mit 2%. Jetzt wurde im Landwirtschaftsministerium eine Arbeitsgruppe mit der Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung beauftragt. Sie sollte eine nationale Strategie entwickeln, die bis heute allerdings noch nicht feststeht. Gleichzeitig gab es auch Initiativen des Parlaments auf dem Gebiet. Der Senat habe Ende des vergangenen Jahres einen Gesetzentwurf erarbeitet, wie Cosmin Zaharia, Chefredakteur der Umwelt-Onlinezeitschrift Green Report“, berichtet:
Es hat zwei Gesetzesinitiativen im Parlament gegeben. Die Initiative der Nationalen Union für den Fortschritt Rumäniens ist vom Senat gebilligt worden, sie verpflichtet die Supermärkte, Lebensmittel kurz vor Ablauf ihres Mindesthaltbarkeitsdatums an eine NGO zu spenden. Allerdings wird die Kostenfrage in diesen Entwürfen nicht berücksichtigt, es ist recht teuer für die Einzelhändler, das Essen zu transportieren und zu verteilen. Außerdem entstehen auch Lagerkosten, man kann die Nahrungsmittel nicht einfach vor einem Altersheim abladen.“
Bis der gesetzliche Rahmen endlich ausgearbeitet ist, gehen der Privatsektor und die Wohltätigkeitsvereine mit gutem Beispiel voran. Etwa der soziale Supermarkt SOMARO, in dem ermäßigte Lebensmittel und Nicht-Lebensmittel an bedürftige Kunden verkauft werden. Die Lebensmittel entsprechen allen Qualitätskriterien, stehen allerdings entweder vor Ablauf des Verfallsdatums oder sind ehemalige Saisonprodukte wie etwa die Schoko-Weihnachtsmänner. Den Supermarkt betreibt Simon Suitner, ein Österreicher, der seit sechs Jahren in Rumänien lebt.
Wir sammeln die Ware mit dem eigenen Fahrzeug und vermarkten die Produkte in den Spezialgeschäften an fast 700 Familien in Bukarest und etwa 250 Familien in Sibiu. Die Kunden dürfen nur anhand eines Ausweises hinein, der von dem Sozialamt der beiden Städte ausgestellt wird. Die Preise sind um 80-90% ermäßigt. Wir haben jedoch beschlossen, die Lebensmittel nicht zu verschenken, damit wir für das Auszahlen der Gehälter unserer Angestellten nicht zusätzliche Hilfe einfordern müssen. Zudem wissen unsere Kunden, dass sie nicht betteln, wenn sie zu uns kommen, sondern in ein Geschäft gehen, wo sie sich die notwendigen Sachen aussuchen und sich dafür ein wenig finanziell anstrengen müssen. Unsere Kunden stellen unterschiedlichste Sozialfälle dar, gemeinsam haben sie nur das monatliche Einkommen, das höchstens 500 Lei pro Familienmitglied betragen darf. Das ist der gesetzliche Höchstbetrag, aber unsere Kunden haben die Summe nie erreicht. Es gibt Fälle mit Familienmitgliedern mit Behinderungen, mit chronischen Krankheiten, mit ganz vielen Kindern.“
Die von dem sozialen Supermarkt SOMARO angebotene Ware wäre normalerweise in der Mülltonne gelandet. Um das zu vermeiden, arbeitet Suitner mit Herstellern und Händlern zusammen. Allerdings gehörten die großen Einzelhandelsketten nicht zu seinen Partnern, erklärt er.
Es ist leider schwierig, sich mit den Einzelhändlern über die Lebensmittelverschwendung zu unterhalten. Ohne jemandem jetzt nahetreten zu wollen, würde ich das österreichische Modell sozialer Supermärkte erwähnen. Dort treten immer wieder ethische Zwickmühlen auf: Wenn ich ein absolut brauchbares und konformes Produkt habe, das ich aber nicht mehr verkaufen kann, ist es dann ethisch vertretbar, das Produkt wegzuschmeißen, wenn ich weiß, dass viele Menschen sich nicht genügend Lebensmittel leisten können? Leider gibt es dieses Dilemma in Rumänien kaum.“
Und das obwohl ein rumänisches Gesetz den Unternehmen ermöglicht, Spenden an Wohltätigkeitsvereine von der Steuer abzusetzen, und das im Umfang von 20%. Jedoch warten die Firmen jedes Mal auf einen spezifischen Bescheid des Parlaments oder der Regierung in dieser Hinsicht.
Unterdessen werfen die Rumänen am häufigsten gekochte Lebensmittel weg (25%), es folgen Brot- und Backwaren (21%), Gemüse (19%) und Obst (16%). Hauptgründe der Verschwendung sind die kurze Haltbarkeit (26% der Fälle), falsch eingeschätzte Zutatenmengen für eine Mahlzeit (21%), und überschüssiges Einkaufen (14%). Angesichts der fehlenden Gesetze im Bereich könnte die Bildung als Präventionsmaßnahme dienen. Das sei aber nicht ausreichend, glaubt der Journalist Cosmin Zaharia.
Die Bevölkerung müsste auch in Sachen Etikettierung gebildet werden. Ich meine damit das Haltbarkeitsdatum, denn einige Produkte können auch nach dessen Ablauf konsumiert werden, etwa die pasteurisierten Produkte oder die Obst- und Gemüsekonserven. Kurz nach deren Verfall können diese Nahrungsmittel ohne Bedenken verzehrt werden. Aber man bildet die Bevölkerung umsonst, wenn man ihr keine Mittel zur Bekämpfung der Verschwendung anbietet. Das ist genauso wie mit der Abfallwirtschaft. Umsonst erklärt man den Erwachsenen und den Schülern, wie es um die Mülltrennung steht, wenn es keine konkreten Maßnahmen gibt. Der von Bürgern getrennte Müll wird von der Müllabfuhr auf einen Haufen geworfen.“
Unlängst haben sich bekannte Sternköche den Initiativen der NGOs gegen die Lebensmittelverschwendung angeschlossen. Sie gehen mit dem eigenen, guten Beispiel voran und zeigen den Menschen, wie man Gerichte zubereitet, ohne Lebensmittel wegzuwerfen.