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Ländliche Entwicklung: Fortschritt oder Untergang der traditionellen Zivilisation?

Die EU-Politik zur ländlichen Entwicklung wurde laufend weiterbetrieben, um wachsende Lebensstandards herbeizuführen. Dennoch fürchten viele Rumänen, dass die Modernisierung den Untergang der traditionellen Zivilisation mit sich bringt.

Ländliche Entwicklung: Fortschritt oder Untergang der traditionellen Zivilisation?
Ländliche Entwicklung: Fortschritt oder Untergang der traditionellen Zivilisation?

, 06.01.2016, 18:20

Die rumänische Landwirtschaft trägt mit nur 4,6% zum Bruttoinlandsprodukt bei, trotz einer Beschäftigungsquote von 28% in diesem Sektor im Jahr 2014. Die landwirtschaftliche Produktivität ist dreimal geringer in Rumänien im Vergleich zum EU-Durchschnitt. Die Lebensmittelketten und die örtlichen Absatzmärkte sind schlecht entwickelt, wobei die Produktionskosten weitaus höher sind als der Preis, zu dem die Erzeugnisse verkauft werden. Aus diesem Grund ziehen viele tüchtige Landwirte in die Städte oder wandern in andere Länder aus. Im ländlichen Raum bleiben nur einsame, gebrechliche alte Menschen zurück. Die ärmsten unter ihnen leben von Sozialhilfe. Der Zugang zu Bildung ist auch eingeschränkt. In den Dörfern brechen dreimal mehr Kinder und Jugendliche die Schule frühzeitig ab im Vergleich zu den Städten. Die Subsistenz und Semisubsistenzbetriebe sind, rein technisch betrachtet, nicht ausreichend ausgestattet. Und sie sind weder marktorientiert noch bereit, genossenschaftliche Partnerschaften einzugehen, um besser zusammenarbeiten und sich auf dem Markt besser integrieren zu können. Das Leben auf dem Land bedeutet in Rumänien nach wie vor Armut.



In Bukarest fand vor kurzem eine Aussprache zum Thema Integrierte ländliche Entwicklung in Rumänien“ statt. Die Konferenz wurde von der Vertretung der Europäischen Kommission in Rumänien veranstaltet. Die gemeinschaftliche Institution nahm sich vor, eine nationale Dialogplattform zu schaffen, um die wichtigsten Möglichkeiten zur ländlichen Entwicklung in Rumänien zu identifizieren. Rumänien brauche eine nationale Strategie, um die ländliche Zivilisation zu beschützen, so Vizepremier Vasile Dâncu, Minister für Regionale Entwicklung und Öffentliche Verwaltung.



Ich wurde auf dem Land geboren und bin dort aufgewachsen. Nur 2% der Kinder, die auf dem Land zur Schule gehen, vervollkommnen derzeit ihre Ausbildung mit einem Hochschulstudium. Viele Ausländer weisen darauf hin, dass in Rumänien das Dorfleben langsam abstirbt, dass eine Zivilisation untergeht. Wir sind unfähig, uns selber zu organisieren und uns ohne auswärtige Hilfe zu entwickeln. Der EU-Beitritt hat dem rumänischen Landwirt einen tödlichen Schlag verpasst. Die europäische Agrarindustrie hat die hiesige herkömmliche Landwirtschaft wie sowjetische Panzer überrollt. Diejenigen, die zu Feiertagen zurück in ihre Heimat kehren, erkennen das. Es wurden Gesetze verabschiedet, damit die Supermärkte rumänische Erzeugnisse verkaufen. Dennoch werden diese Gesetze nicht beachtet. Die Prüfstellen gehen ihren Aufgaben nicht entsprechend nach. Ein Niederländer sagte mir einmal, in Rumänien gäbe es die letzte ländliche Zivilisation in Europa. Diese ländliche Zivilisation sollten wir in Schutz nehmen. Europa will uns helfen, doch wir bleiben stur…“




Achim Irimescu, Minister für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, sprach über die ländliche Entwicklung in Rumänien. Er stellte die Folgen einer vermutlichen Modernisierung der rumänischen Dörfer zur Debatte und fragte sich, ob dadurch die Traditionen und der einfache Lebensstil auf dem Land noch bewahrt werden oder vielmehr verloren gehen.



Zahlreiche Mittel und Investitionen setzen einen Modernisierungsprozess in Gang. Dennoch setzt die Modernisierung eine Änderung des idyllischen Dorfbildes voraus. Zumindest des Dorfbildes, das bei mir hängen geblieben ist — ich erinnere mich, wie ich im Heuwagen am frühen Morgen nach Hause fuhr… ich habe noch den Heugeruch in der Nase. Demnach bin ich der Ansicht, dass das Allerwichtigste ist, eine Strategie für die ländlichen Regionen zu verabschieden. Das Problem ist, wir haben seit der Wende unzählige Strategien entwickelt. Doch entsprach keine unseren Erwartungen. Viel Geld würde die Effizienz sowie die Hochleistung fördern und die Wettbewerbsfähigkeit steigern. Doch zugleich könnte es einen gewissen Abstand zwischen uns und dem Traumdorf, dem Leben auf dem Land, so wie wir es uns vorstellen, schaffen. Wir entwickeln die Infrastruktur, damit Geländewagen und Traktoren besser fahren können. Dabei verschwinden die Pferde, die Pferdeschlitten im Winter und, allmählich, die Biodiversität. Es stimmt, jedermann wünscht sich ein besseres Leben. Damit werden wir uns aber vom Dorfbild verabschieden müssen, das bis jetzt vorherrschend war.“




Die Jugendlichen verlie‎ßen mit der Zeit das Dorf, sie zogen in die Stadt oder in andere Länder. Nur 7% aller Landwirte sind jung. Das Programm für ländliche Entwicklung für den Zeitraum 2013-2020 packt demnach das Problem an — junge Landwirte können bis zu 50.000 Euro in Form von nicht rückzahlbaren Fördermitteln erhalten. Bislang genossen diesen Vorteil etwa 10.000 junge Landwirte. Ab dieses Jahr soll ihre Zahl wachsen. Dazu Landwirtschaftsminister Achim Irimescu:



In meinem Dorf lebten 3000 Leute. Jetzt ist nur noch die Hälfte da geblieben. Die Fähigsten sind ins Ausland gegangen, um dort mehr Geld zu verdienen. Das Dorf stirbt langsam aus. Zum Glück ist die Lage nicht überall in Rumänien so schlimm. Ich habe meine Zweifel darüber, ob wir das Leben auf dem Land so erhalten können, wie wir es uns vorstellen. Wir haben viel in Projekte zur ländlichen Entwicklung investiert. Wir hatten 8 Milliarden zur Verfügung, dazu weitere 1,5 Milliarden durch das SAPARD-Programm. Wenn Sie durchs Land fahren, werden Sie viele Gebäude erblicken, die mit Fördermitteln gebaut wurden. Die meisten sind geschlossen. Da muss man sich fragen: Sind unsere Investitionen zielgerichtet und effizient? Da habe ich meine Zweifel. Ich frage mich, ob wir es schaffen werden, die Traditionen und die ländlichen Eigenheiten, die rumänische Identität zu bewahren und gleichzeitig das Dorf zu modernisieren. Wir wünschen uns nicht, dass unsere Landwirte in ihrer Trägheit verharren, dass sie auch in fünf Jahren immer noch den Ochsenkarren verwenden. Wir haben den nicht rückzahlbaren Förderbetrag auf 50.000 Euro erhöht, doch ich wei‎ß nicht, wie viele Jugendliche das Geld angemessen investieren werden. Ich glaube, die jungen Landwirte haben ihre Schwierigkeiten, die Zuwendungen einzusetzen.“




Das nationale Programm für ländliche Entwicklung fördert die Entwicklung des ländlichen Raums durch nicht rückzahlbare europäische Zuschüsse. In Rumänien wurden bislang drei 7-jährige Programme umgesetzt. Mehr als 85.000 Landwirte, Unternehmer und örtliche Behörden erhielten von der Europäischen Union im Rahmen des Nationalprogramms zur Entwicklung des ländlichen Raums 2007-2013 nicht rückzahlbare Mittel in Wert von rund 9 Milliarden Euro. Dazu wurden mehr als 4.600 integrierte Betriebe modernisiert oder neu gegründet. Über 5.500 Unternehmer gründeten ein eigenes Geschäft mit Hilfe europäischer Fördermittel. Mehr als 4.400 Projekte der örtlichen Behörden wurden zudem aus dem gleichen Fördertopf finanziert.



Dennoch hat Rumänien nicht das ganze Geld ausgeschöpft, das ihm die EU bereitgestellt hatte und wird nun etwa 800 Millionen Euro an die Europäische Kommission zurückzahlen müssen. Das neue Nationalprogramm für ländliche Entwicklung umfasst 14 Finanzierungsma‎ßnahmen. Im Fördertopf sind 9,363 Milliarden Euro — davon sind 8 Milliarden Euro europäische Fördermittel, wobei 1,347 Milliarden Euro den Eigenbeitrag der Länder darstellen.

(foto: Anqa / pixabay.com)
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