Kulturkonsumbarometer: kulturelle Teilhabe fördert auch Demokratieverständnis
In Rumänien war der Kulturkonsum im Jahr 2022 immer noch unter dem Niveau vor der Pandemie. Eine Erhebung bringt weitere paradoxe und beunruhigende Entwicklungen an den Tag.
Christine Leșcu, 06.12.2023, 15:05
2023 wurde das sogenannte Kulturkonsumbarometer 18 Jahre alt. Das Nationale Institut für Kulturforschung und -bildung (INCFC) führt diese wichtige Erhebung jährlich durch. Allerdings wurden während der Pandemiezeit die Erhebungen ausgesetzt, weil die meisten kulturellen Einrichtungen teilweise geschlossen waren und die Daten somit irrelevant gewesen wären. Im Jahr 2022 war es wieder soweit, und der kürzlich erschienene Kulturkonsumbarometer für 2022 macht deutlich, dass nach dem Rückgang der kulturellen Aktivitäten in den Jahren 2020 und 2021 noch keine Wiederankurbelung des Kulturbetriebs stattgefunden hat.
Im Zeitraum der Pandemie mit Beginn im Jahr 2019 bis nach nach Aufhebung der Einschränkungen im Jahr 2022 hat der Kulturkonsum einen dramatischen Rückgang erfahren. Abgenommen haben im öffentlichen Kulturkonsum beispielsweise: der Besuch von Theateraufführungen von 29 % der Gesamtbevölkerung im Jahr 2019 zu 20 % im Jahr 2022, Kinobesuche von 35 % im Jahr 2019 zu 26 % im Jahr 2022, der Besuch von Museen, Ausstellungen oder Kunstgalerien von 38 % im Jahr 2019 zu 30 % im Jahr 2022. Lediglich der Besuch historischer Denkmäler oder archäologischer Stätten stieg um 14 %, wobei solche Bildungsausflüge in der Regel im Schnitt auch nur einmal im Jahr stattfinden. Weitere Einzelheiten der Studie kennt Carmen Croitoru, Leiterin des auftraggebenden Instituts:
Wir haben festgestellt, dass sich die Trends fortsetzen. Wir sind zwar etwas besser dran als 2021, es gibt also einen Aufwärtstrend, doch sind wir immer noch nicht auf dem Niveau des Kulturlebens von 2019. Es gibt offensichtlich eine überwiegende Tendenz zum Kulturkonsum im Internet in privaten Räumlichkeiten. Menschen, die den Kulturkonsum in den eigenen vier Wänden für sich entdeckt haben, tun sich schwer, diese Gewohnheit aufzugeben, weil der Besuch kultureller Veranstaltungen in der Öffentlichkeit ein Verlassen der Komfortzone und damit eine Herausforderung der eigenen Bequemlichkeit bedeuten würde. Erfreulicherweise gibt es aber einen entgegengesetzten Trend in der Altersgruppe der 18- bis 35-Jährigen, d.h., die jungen Menschen sind aktiver und gehen öfters aus, weil sie auch diese Art der kulturvermittelnden Sozialisation brauchen. Generell gibt es jedoch leider stark zurückgehende Zahlen, wenn es um den Kulturkonsum geht. Erfreulicherweise gibt es wiederum einen anhaltend steigenden Trend bei der Besichtigung von Stätten des nationalen Kulturerbes. Das heißt letzten Endes, dass die Bedeutung des Kulturerbes im öffentlichen Bewusstsein in Rumänien zugenommen hat.“
Von 2019 bis 2022 hat der Konsum kultureller Produkte im Internet deutlich zugenommen — dabei handelt es sich insbesondere um Filme auf Streaming-Diensten oder das Hören von Musik auf verschiedenen digitalen Plattformen. Auch das Lesen und der Kauf von Büchern im Internet haben zugenommen, obwohl die Rumänen insgesamt immer noch sehr wenig lesen. Neuere Daten des Nationalen Instituts für Statistik (INS) vom Herbst dieses Jahres ergaben, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung Rumäniens in den letzten 12 Monaten keine Bücher gelesen hat, wobei die Hauptgründe Zeitmangel (35 %) und mangelndes Interesse am Lesen von Büchern generell (32 %) waren.
Das Kulturkonsum-Barometer bestätigt diesen Trend und zeigt, dass das Lesen von Büchern in Papierformat von 2019 bis 2022 um 9 % zurückging, während der Konsum von e-Books, Artikeln und anderen Medien in digitalem Format um 11 % zunahm. Außerdem zeigen die Untersuchungen des Instituts für Kulturforschung und -bildung bestimmte sozial-ökonomische Barrieren auf, die den Konsum von Kultur im öffentlichen Raum erschweren oder schlicht verhindern. Zu diesen Hindernissen gehört auch die fehlende Straßeninfrastruktur: Wenn die Menschen viele Kilometer zu Fuß zurücklegen oder infrastrukturell mangelhafte öffentliche Verkehrsmittel benutzen müssen, um ein Theater, ein Kino oder eine Buchhandlung zu erreichen, verzichten sie ganz auf Kultur. Anda Becuț-Marinescu, Leiterin der Forschungsabteilung des auftraggebenden Instituts für die Erforschung der Kulturteilhabe, spricht im folgenden über diese Hindernisse, die ihrer Meinung nach nur durch angemessene Maßnahmen der öffentlichen Politik beseitigt werden könnten.
Geografische Barrieren beziehen sich auf den Mangel an Infrastruktur in bestimmten Gebieten. Es handelt sich erstens um die Unterscheidung zwischen Stadt und Land, die in unseren Barometern ständig unter die Lupe genommen wird. Diese Hindernisse tauchen nicht nur im Stadt-Land-Gefälle auf, sondern auch im Städte-Ranking: kleine Städte gegenüber großen Städten, die auch Universitätszentren sind. Es gibt Landkreise, die nicht einmal über elementare Infrastruktur verfügen. Und sicherlich gibt es auch finanzielle Hindernisse. Die Rede ist hier von sozialen Schichten mit bescheidenen Einkommen, für die der Kauf eines Buchs einfach unerschwinglich ist. Man kann sie als gefährdete Sozialschichten betrachten, und junge Menschen aus benachteiligten Familien sind eine solche gefährdete Gruppe. Und dann sind da noch die kulturellen Bildungsbarrieren, die mit der Einstellung und der Wahrnehmung einhergehen. Dabei geht es um die Kompetenz, künstlerische Botschaften entschlüsseln zu können. Menschen, die seit ihrer Kindheit nie mit Kultur in Berührung gekommen sind, werden im Laufe ihres Lebens ohne direkte Intervention von Kultureinrichtungen diese Fähigkeit nie entwickeln.“
Während der Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Kulturverständnis seit langem bekannt ist, beleuchtet das Kulturkonsumbarometer 2022 auch die Beziehung zwischen kultureller Teilhabe, bürgerschaftlichem Engagement und dem Verständnis für demokratische Mechanismen. Carmen Croitoru, Leiterin des Instituts für Kulturforschung und -bildung, erläutert zum Schluss unseres Features die Zusammenhänge:
Je höher die Werte des kulturellen Konsums sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Menschen an einer freien Gesellschaft teilhaben und ihre Rechte, aber auch ihre Pflichten gegenüber der Gesellschaft verstehen. Zugehörigkeit, Identität, Toleranz, Vertrauen, Integration, staatsbürgerliche Anliegen und Freiheit sind die Themen, zu denen das Forschungsteam Fragen formuliert hat, und die Antworten sind recht interessant, aber meist paradox und beunruhigend. Wenn wir zum Beispiel über Vertrauen sprechen, geht es um die Tatsache, dass das Vertrauen in Informationen, die über soziale Medien verbreitet werden, sehr gering ist, obwohl der Prozentsatz derer, die auf sozialen Medien aktiv sind, höher ist als bei allen anderen. Die Menschen vertrauen nicht mehr dem, was im Fernsehen, im Radio und in Printmedien veröffentlicht wird, doch das ist die Folge einer bestimmten Art und Weise, mit Nachrichten umzugehen.
Kultur bedeutet auch Respekt für den Bürger und vor der Freiheit des Bürgers, seine kulturellen Rechte wahrzunehmen. Aus unserem Kulturkonsum-Barometer geht deutlich hervor, wie viel Vertrauen wir den mündigen Bürgern schenken und welchen kulturellen Horizont ihnen dieser Staat zumisst. Die Rede ist von der jetzigen Generation im Durchschnittsalter, die das Ergebnis einer 20- oder 25-jährigen Ignoranz gegenüber kultureller Bildung ist. Und vielleicht sollten wir dann wenigstens etwas für die nächste Generation tun, für die jetzt noch jungen Menschen, damit sie sich der kulturellen Teilhabe selbst ermächtigen können.“