Krankenversicherungen: Staatliches und privates System erfasst nicht alle Bürger
In Rumänien ist das Gesundheitswesen größtenteils öffentlich. Wie sieht die Lage aber im Bereich der Privatkrankenversicherungen aus? Dazu erfahren Sie mehr im Sozialreport.
Christine Leșcu, 11.03.2015, 17:17
Auch wenn in den letzten Jahren viele private Kliniken und Arztpraxen und sogar Krankenhäuser gegründet wurden, erhalten diese ihre Finanzierung weiterhin meist über die öffentlichen Krankenkassen. Was heißt das? Es heißt, dass sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer einen gewissen Prozentsatz ihrer Einkommen in dieses System einspeisen. Das gesammelte Geld wird von der Nationalen Gesundheitskasse verwaltet. Der besagte Prozentsatz beträgt 5,2% für den Arbeitgeber und 5,5% für den Arbeitnehmer. Dadurch werden die Kosten für ein medizinisches Grundpaket und für ärztliche Notdienste vollständig getragen. Gleichzeitig können die Rumänen auch weitere medizinische Dienstleistungen beziehen, wenn sie auch in ein privates Versicherungssystem Beiträge einzahlen. Dennoch dürfen sie nicht auf das öffentliche System verzichten. Um zu erfahren, wie viele Rumänen eine private Gesundheitsversicherung in Anspruch nehmen, hat das Marktforschungsinstitut GFK Rumänien eine Studie zu diesem Thema erarbeitet. Ana Maria Drăgănică, Group Account Manager bei dieser Gesellschaft, teilte uns mit, dass die Mehrheit der Rumänen (93%) nur bei der staatlichen Gesundheitskasse versichert ist. Wie sieht die Lage im Privatbereich aus? Ana Maria Drăgănică hat Einzelheiten:
Die große Mehrheit der Bevölkerung nutzt die Dienste des öffentlichen Gesundheitssystems. Nur 2% der Befragten sagten, dass sie ein Abo für medizinische Dienstlesitungen in einer Privatklinik haben — dafür bezahlen sie entweder vollständig oder ihr Arbeitgeber kommt teilweise dafür auf. Weitere 2% haben gesagt, sie verfügen über eine Privatkrankenversicherung. Rund 4% der Rumänen wenden sich also an das private Gesundheitssystem.“
Fragt man eine durchschnittlich Versicherte, warum sie sich entschieden hat, nur staatlich versichert zu sein, erfährt man folgendes:
Weil das Pflicht ist. Wenn man mir die Wahl überlassen hätte, dann hätte ich mich für das Privatsystem entschieden. Aber nur wenn es ein »Entweder — Oder« gewesen wäre, nicht wie es jetzt ist: außer dem Beitrag zum öffentlichen System noch einen weiteren an das private zu zahlen. Ich hätte das Privatsystem ausgewählt, denn das Prozedere ist viel einfacher. Man kann anrufen, einen Termin vereinbaren. Darüber hinaus verfügen sie über viel modernere Praxen, mit neueren Technologien als im öffentlichen System.“
Laut den Kennern des rumänischen Gesundheitssystems kann man die Zurückhaltung der Patienten gegenüber einer privaten Krankenversicherung eher auf die Wirtschaft und auf die Vision über die Rolle des Staates darin zurückführen, meint der Arzt Gabriel Diaconu.
In Rumänien ist das Gesundheitssystem monopolartig. Das bedeutet, dass der Gesundheitsversicherungsmarkt aufgrund der Gesetzeslage von dem Staat dominiert wird. Es gibt zumindest theoretisch keine Einschränkungen für die Privatversicherungen. Dennoch ist die Durchdringungsrate der Privatversicherer niedrig. Diese wurde von dem Angebot des rumänischen Staates limitiert. Laut diesem sei das Gesundheitswesen eine seiner Verpflichtungen und die betreffenden Dienstleitungen muss man kostenlos beziehen. Mit anderen Worten investiert der Sozialstaat und verteilt ein Vermögen, das er aus den Beiträgen der Bürger einsammelt.“
Außer der freien Entscheidung oder den finanziellen Engpässen, wodurch sich viele Rumänen nicht leisten können, zwei Arten von Gesundheitsversicherungen zu bezahlen, gibt es auch eine gewisse Wahrnehmung der Kostenunterschiede zwischen den beiden Systemen. Auf die Frage, ob eine Privatversicherung mehr als die öffentliche Versicherung kosten würde, sagt Ana Maria Drăgănică von GFK Rumänien, sie habe keine detaillierten Nachrechnungen erstellt, glaubt aber: Das Privatsystem scheint teuerer als das öffentliche zu sein.“
Was die Kosten angeht, da sind die Dinge ein bisschen komplizierter. Hier tauchen die sogenannten informellen Kosten auf — Geld oder Geschenke, wodurch sich der Patient vergewissert, dass ihn der Arzt richtig versorgt, was auch mit der Mentalität des rumänischen Patienten zu erklären sei, meint der Arzt Gabriel Diaconu:
Man geht zum Arzt nur dann, wenn es notwendig ist, nicht vorsorglich für die Gesundheit. Die Notwendigkeit heißt unerträgliche Schmerzen, die man mit der von Freunden oder dem Apotheker empfohlenen Behandlung nicht mehr lindern kann. Dabei handelt es sich um die prekäre Erziehung des rumänischen Gesundheitsverbrauchers. Dieser kann nicht proaktiv über seine Gesundheit nachdenken. Die informelle Zahlung an den Arzt für eine Blinddarmoperation und die anderen Kosten, die durch die Arbeitsunfähigkeit entstehen, führen zu einem viel größeren Betrag als jener, den man einem Privatversicherer zahlen müsste. Hinzu kommt ein weiterer Faktor: die Nähe. Auf dem Lande hatten die Menschen früher ein gewisses Netzwerk. Dieses beinhaltete den Arzt in der Dorfpraxis, den Familienarzt, den Arzt im Kreiskrankenhaus, den sie kannten. Doch die Lage hat sich wegen der Ärztemigration verändert.“
Darüber hinaus lässt die GFK-Studie einen Aspekt unberücksichtigt. Viele Rumänen wenden sich an private Arztpraxen und zahlen gleich an der Kasse, nicht durch ein Abo oder durch eine Versicherung. Gabriel Diaconu:
Menschen die eine Privatklinik besuchen, gehen dorthin wie zum Privatdienst-Supermarkt. Wenn jemand z.B. eine Niereninfektion hat, geht er direkt zur Privatklinik, nachdem er sich im Internet erkundigt hat, ohne vorherige Arztempfehlung. Im öffentlichen System gibt es ein Verfahren: Der Familienarzt muss den Patienten zum Facharzt weiterleiten.“
Es gibt auch eine weitere Kategorie von Patienten. Ana-Maria Drăgănică, Group Account Manager bei GFK Rumänien spricht über diese.
Über 15% der Befragen zwischen 18 und 34 Jahren verfügen über gar keine Versicherung. Sie befinden sich in einer besonders empfindlichen Lage und ihre Existenz sollte für beide Gesundheitssysteme ein Anstoß zum Überdenken dieser Situation sein.“
Sind diese Menschen zugleich diejenigen, die selbst an der Kasse für die privaten medizinischen Dienste zahlen? Der Arzt Gabriel Diaconu glaubt das nicht.
Ich denke nicht, denn bei diesen Leuten stellt man auch eine hohe Arbeitslosenquote fest, eine große Armut, eine hohe Erkrankungs- und Sterberate. Für diese Menschen hat keines der beiden System eine Lösung gefunden.“
Die unterschiedlichen sozialen Visionen der rumänischen Regierungen, die an der Macht waren, führten zu unterschiedlichen Reformen des Gesundheitssystems, doch dieses wartet noch auf eine endgültige Form.