Kontroverse Debatte: Hat das traditionelle Familienmodell ausgedient?
Sollten zwei Männer oder zwei Frauen in Rumänien heiraten dürfen? Was bedeutet die Familie und wie sollte eine Familie aussehen? Eine NGO ficht ein Verfassungsartikel an, weil sie ein Hintertürchen für die Homo-Ehe darin sieht.
Christine Leșcu, 15.06.2016, 17:45
Vor kurzem hat eine rumänische Koalition von Nichtregierungsorganisation, die den Namen Koalition für die Familie“ trägt, drei Millionen Unterschriften gesammelt, um eine Verfassungsänderung zu beantragen. Dabei geht es um den Artikel 48 der Verfassung. Dieser besagt, dass die Familie auf die frei eingewilligte Ehe zwischen den Ehegatten, auf die Gleichberechtigung dieser und auf das Recht und die Pflicht der Eltern, die Kinder großzuziehen und zu bilden, basiert. Die erwähnte Koalition möchte, dass zukünftig dieser Artikel vorsieht, dass die Ehe auf die frei eingewilligte Union zwischen einem Mann und einer Frau basiert. Für die Einreichung eines Verfassungsänderungsvorschlags wären nur 500 Tausend Unterschriften nötig gewesen. Wir haben Răzvan Vastea, den Vertreter der Koalition für die Familie, gefragt, wie es zu dieser Initiative kam.
Als die Verfassung verfasst wurde und zusammen mit ihr auch der Artikel 48, verstand man durch Ehegatten einen Mann und eine Frau. Die jüngsten Entwicklungen auf internationaler Ebene — zum Beispiel in Frankreich, wo die gleichgeschlechtige Ehe legalisiert wurde — haben uns dazu gebracht, den Artikel 48 für klärungsbedürftig und revidierbar zu halten, so dass es klar wird, dass die Ehegatten ein Mann und eine Frau sind, so wie es auch das Zivilgesetzbuch Rumäniens vorsieht.“
Wie erwartet führte die Initiative zu Kontroversen in der Gesellschaft. Sie wurde von der Rumänisch-Orthodoxen Kirche unterstützt. Zudem sind manche der Verbände der Koalition für die Familie religiös, also kann man den Vorstoß auch als dogmatisch sehen. Răzvan Vastea erläutert weiter:
Unsere Initiative beinhaltet auch einen Schutz-Faktor gegen eine Bewegung, die wir als unnatürlich empfinden, die gegen eine harmonievolle Entwicklung eines Volkes gerichtet ist. Als die Verfassung verabschiedet wurde, verstanden alle unter Ehegatten einen Mann und eine Frau. Keiner hat sich vorgestellt, dass in zehn Jahren es sich um zwei Männer oder zwei Frauen handeln könnte. Die Konsequenzen sind unserer Meinung nach gravierend, insbesondere was die Geburt und die Erziehung der Kinder anbelangt. Unsere Aktion ist demokratisch. Wir verletzten keine vorausgesetzten Rechte von homosexuellen Personen, weil die Gesetze Rumäniens eigentlich keine solchen Rechte vorsehen.“
Da bis jetzt keine Anträge auf gleichgeschlechtliche Ehen gestellt wurden, könnte die Aktion der Koalition für die Familie überflüssig scheinen. Das meint Oana Băluţă, Universitätslektorin an der Journalismus-Fakultät:
Meiner Meinung nach handelt es sich um eine vorbeugende Mobilisierung, die in Rumänien nicht nötig ist. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist im Zivilgesetzbuch nicht vorgesehen. Das Zivilgesetzbuch sieht vor, dass die Ehe die frei eingewilligte Union zwischen einem Mann und einer Frau ist. Jedwede andere Form des Zusammenlebens wird vom Zivilgesetzbuch nicht anerkannt. Zudem erkennt das rumänische Zivilgesetzbuch auch keine im Ausland geschlossenen gleichgeschlechtlichen Ehen an. Meiner Meinung nach war diese Aktion nicht notwendig, sie nährt nur den Hass gegenüber einer Minderheit.“
In der Auffassung der Koalition für die Familie können Kinder nur zusammen mit einem Vater und einer Mutter harmonievoll aufwachsen. Die traditionellen Werte der Familie müssten im Zentrum der Gesellschaft stehen, so die offiziellen Verlautbarungen der Organisation. Die Änderung der Mentalitäten führe aber in vielen Fällen zu anderen Rollenbildern, meint Oana Băluţă:
Wenn wir uns die Struktur der Familien in Rumänien anschauen, bemerken wir, dass manche aus einer alleinerziehenden Mutter und einem Kind, andere aus einem alleinerziehenden Vater und einem Kind gebildet sind. Es gibt Ein-Eltern-Familien, es gibt Familien, die aus Großeltern und Enkelkindern bestehen, weil die Eltern im Ausland arbeiten. Es gibt Familien, gebildet aus Tanten, Onkeln und Enkelkindern. Laut der Volkszählung von 2011 leben aus unterschiedlichen Gründen mehr als 800 Tausend Personen zusammen, ohne verheiratet zu sein. Es gibt Frauen und Männer, die zusammen leben, ohne zivilrechtlich verehelicht oder kirchlich getraut zu sein. Diese Initiative verletzt also auch die Rechte anderer Beziehungsarten, die wir berechtigterweise als Familien betrachten können. Auch in den Ein-Eltern-Familien gibt es Liebe, Verantwortung und Respekt. Die Frage ist: Leben wir in einer imaginären und restriktiven Welt oder in einer konkreten Realität?“
Sollte die Initiative zur Abänderung des Artikels 48 des rumänischen Grundgesetzes für verfassungskonform erachtet werden, ist das Parlament berufen, die Abhaltung eines Referendums zu beschließen. Erst dann würden alle rumänischen Bürger darüber entscheiden müssen, was sie für eine legitime Familie erachten. Bis dahin bleibt die Debatte darüber offen, was die Familie heutzutage bedeutet.