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Kinder rumänischer Gastarbeiter bleiben oft traumatisiert im Land zurück

Seit Beginn der 2000er Jahre strömen immer mehr Rumänen auf den europäischen Arbeitsmarkt; ihre Kinder bleiben in der Obhut von Großeltern oder entfernten Verwandten zurück. Die Kinder der Gastarbeiter leiden an den Folgen der Trennung.

Kinder rumänischer Gastarbeiter bleiben oft traumatisiert im Land zurück
Kinder rumänischer Gastarbeiter bleiben oft traumatisiert im Land zurück

, 29.07.2015, 17:45

Soziologen und Psychologen in Rumänien betreten relatives Neuland — eine signifikante Anzahl von Kindern wächst seit Jahren ohne ein Elternteil, im Extremfall ohne beide Eltern auf. Diesen so genannten Elternentzug empfinden viele Kinder als traumatisch — für Lehrer und Erzieher sind die Folgen der fehlenden Elternliebe und –Gewalt mit freiem Auge sichtbar. Mit dieser Konstellation befasst sich seit einiger Zeit auch der Soziologe Florian Niţu. Die Statistik zeigt eindeutig, dass bei solchen Kindern eine Verschlechterung der schulischen Leistung und ein Rückgang des Interesses am Unterricht eintreten. Wir sehen eine stärkere Neigung zu Alkohol-, Zigaretten- und Rauschgiftkonsum. Und das Risiko des Einstiegs in Bandenkriminalität ist auch höher.“



Wie der Soziologe weiter erläutert, ist die stärkste Auswirkung aber auf psychologischer Ebene festzustellen — ein richtiges Syndrom des fehlenden Elternteils” oder auch der fehlenden Eltern“ stellt sich ein. Das führt bei den betroffenen Kindern zu mangelndem Selbstvertrauen, Schuldgefühlen und starken Angstgefühlen.



Nicht alle zurück im Land gebliebenen Kinder rumänischer Gastarbeiter haben diese Probleme, aber alle sind verwundbar. Um den Umfang des Phänomens zu ermitteln, führte die Stiftung für eine Offene Gesellschaft vor Jahren eine Untersuchung durch — und kam zu Ergebnissen, die mit den amtlichen Daten überhaupt nicht übereinstimmen, berichtet Victoria Cojocariu von der Open Society Foundation. Wir haben in 2007 eine erste eigene Studie gemacht, denn die offiziellen Angaben waren schwer nachvollziehbar — die Jugendämter gingen seit 2004 von etwa 80.000 Fällen aus. Wir wussten aber, dass die Zahl der Gastarbeiter stark schwankend war. Wie sich Victoria Cojocariu erinnert, kam die Untersuchung auf eklatant unterschiedliche Zahlen — 350.000 Kinder waren betroffen, mehr als das Vierfache der von den Jugendämtern festgehaltenen Fälle. Allerdings hatten die Ämter Probleme, die genauen Zahlen zu erfassen, weil sie keine vernünftige Dateninfrastruktur hatten, sagt Cojocariu. Aber auch heute noch hält der Staat fest an dieser Zahl — laut Statistik lebten in 2014 rund 80.000 Kinder rumänischer Gastarbeiter getrennt von einem oder beiden Elternteilen.



Mit einigen der Betroffenen führte der Soziologe Florian Niţu im Rahmen eines von der Europäischen Union getragenen und vom Rumänischen Frauenförderungsverein umgesetzten Projekts eingehende Gespräche. Er musste feststellen, dass Eltern und Kinder gleicherma‎ßen die Trennung als einen Bruch empfinden, den aber jeder auf seine eigene Weise verarbeitet: Es gibt verschiedene Wege, mit diesem Trauma umzugehen — auf beiden Seiten. Ich habe Kinder getroffen, die stark unter der Trennung litten, andere wiederum wurden sehr gut damit fertig”, sagt Niţu. Dennoch sagt er, dass die negativen Folgen der Trennung nicht absolutisiert werden sollten, da der Umgang mit der neuen Lebenssituation vom Alter und anderen Faktoren abhängt. Nicht zuletzt spielt auch die Reaktion der Eltern selbst eine wichtige Rolle — und das von der EU finanzierte Projekte zielte genau darauf ab, den Eltern ihre Fehler bei der Gestaltung der Beziehung zu den Kindern bewusst zu machen, erklärt Florian Niţu. Ein grundsätzlicher Fehler ist anscheinend, dass Eltern die Verantwortung für die eigene Entscheidung auf das Kind übertragen. Die Eltern sagen dem betrübten Kind zum Beispiel: Wir gehen ja für dich arbeiten — und das Kind versteht dieses für dich“ als wegen dir“. Das wird dann zur Belastung für das Kind“, stellt Soziologe Florian Niţu klar. Wenn die Eltern hinzufügen, dass sie es in der neuen Heimat schwer haben — und das passiert oft -, wird das Kind mit einer Doppelschuld belastet — Mutter und Vater müssen wegen mir ausreisen und es geht ihnen dort auch noch schlecht. Wenn die Mutter alleine ins Ausland geht, endet die Ehe sehr oft — statistisch betrachtet in 50% der Fälle – in Scheidung. Dann entstehen beim Kind zusätzliche Gefühle der Schuld an der Trennung der Eltern.



Zu den Fehlern der Eltern gehört au‎ßerdem, dass sie den telefonischen Kontakt zu den Kindern und zur Schule abrei‎ßen lassen und ihre Kinder haltlos mit Geschenken überschütten. Experten raten deshalb, so oft wie möglich mit dem Kind zu sprechen. Und ein ständiger Kontakt zu den Erziehern ist ebenfalls extrem wichtig — auch weil in den letzten Jahren eine neue Begleiterscheinung festzustellen ist, wie Victoria Cojocariu von der Open Society Foundation wei‎ß: Die Wirtschaftskrise hat bestimmte Veränderungen in der Situation der Kinder angesto‎ßen. Auch weiterhin bleiben Kinder zurück bei Verwandten oder Bekannten, aber wir sehen jetzt eine immer höhere Zahl von Kindern, die aus dem Ausland heimkehren. Das Bildungsministerium hat das vor anderthalb Jahren signalisiert: Dutzende oder Hunderte Kinder, die bisher am neuen Wohnort der Eltern im Ausland in die Schule gegangen sind, kommen jetzt zurück, weil ihre Eltern sich nicht mehr um sie kümmern können — und sie müssen dann im rumänischen System wieder eingeschult werden. Genaue Daten haben wir aber nicht”, klagt Victoria Cojocariu.



Obwohl die meisten Kinder sich bis zuletzt mit der Trennung abfinden, kam es zuweilen zu extremen Reaktionen — in Einzelfällen auch zum Selbstmord der Kinder. Handlungsbedarf besteht deshalb in zweifacher Hinsicht — zum einen sind klare, aktuelle Daten erforderlich, zum anderen muss an allen Fronten Aufklärungsarbeit geleistet werden.

(foto: Anqa / pixabay.com)
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