In rumänischen Krankenhäusern grassieren Infektionen
Gepanschte und deshalb unwirksame Desinfektionsmittel kommen nicht gegen gefährliche Erreger an. Deshalb leiden und sterben Patienten an Infektionen, die sich in Krankenhäusern zugezogen haben.
Christine Leșcu, 22.06.2016, 18:28
Die Ermittlungen eines Teams um den eigentlich auf Sport spezialisierten Journalisten Catalin Tolontan haben gravierende Missstände im rumänischen Gesundheitssystem offenbart – jahrelang sind Desinfektionsstoffe von dem Pharmaproduzenten Hexipharma gepanscht worden. Die mit ganz anderen Mitteln geführte Strafermittlung brachte ein echtes korruptes Netz ans Licht. Die Unwirksamkeit der Desinfektionsmittel lieferte aber auch Antworten auf ein Rätsel, das den Gesundheitsexperten seit geraumer Zeit Kopfzerbrechen bereitete – die hohe Anzahl der Krankenhausinfektionen, oder – im Fachjargon – Nosokomialinfektionen.
Längst fragten sich Patientenverbände und Familien, warum Kranke in einer Klinik so oft nicht nur ihr Leiden nicht auskurieren, sondern mit zusätzlichen Problemen entlassen werden – oder sogar sterben, obwohl die Krankheit nicht lebensgefährlich war. Das passierte ganz akut auch vielen Opfern der Brandkatastrophe im Klub Colectiv im Herbst letzten Jahres – ausländische Ärzte staunten über die Infektionen, die die Patienten aus Rumänien mitbrachten. Bei vielen hatte sich der Gesundheitszustand stabilisiert, doch starben sie an Infektionen, die sie sich im Krankenhaus zugezogen hatten. Aber das Problem ist viel älter, klagt Vasile Barbu, Chef der nationalen Patientenvereinigung in Rumänien. Seit neun Jahren sagen wir, dass Prävention und Kontrolle der Nosokomialinfektionen hochproblematisch sind und ignoriert werden. Auch von offizieller Stelle wurde uns gesagt, dass Krankenhausinfektionen überall vorkommen, auch in den USA oder Deutschland. Das haben wir akzeptiert, weil Bakterien nun einmal zur Natur gehören, aber das Problem muss in Krankenhäusern in den Griff bekommen werden. Wir haben es bei allen Ministern zum Thema gemacht, sagt Vasile Barbu von der Patientenvereinigung.
Erst nach Ausbruch des Skandals in den Medien haben die Behörden Kontrollen veranlasst. Und sie bestätigten, dass verdünnte und deshalb nur eingeschränkt wirksame Desinfektionsmittel an rund 50 Krankenhäusern eingesetzt wurden. Nach Unterlagen, die das Gesundheitsministerium im Laufe der Zeit ans Parlament geschickt hat, sind allein in den letzten 5 Jahren über 57 Tausend Infektionsfälle dokumentiert worden. Seit 2013 ist die Häufigkeit gestiegen, besonders Gesundheitseinrichtungen in Bukarest sind betroffen. Die Probleme scheinen teilweise unter den Teppich gekehrt worden zu sein. Auch die Gesellschaft für Mikrobiologie räumt ein, dass Vorfälle oft einfach nicht gemeldet werden – Rumänien hat auf dem Papier weniger als ein Prozent Nosokomialquote, während andere Länder eine realistischere Zahl von rund fünf Prozent angeben. Diese Aussage erfolgte beim Start des strategischen Plans zur Vorbeugung und Bekämpfung von Krankenhausinfektionen. Reine Augenwischerei, kritisiert Vasile Barbu von der Patientenvereinigung: “Es gibt im Moment in Rumänien Vorschriften. Es gibt einen Konsultativausschuss für Epidemiologie beim Gesundheitsministerium und Arztverbände, die Maßnahmen vorgeschlagen haben. Aber die Zusammenwirkung dieser Akteure ist miserabel, rügt Barbu.
Seine Familie selbst ist Opfer dieser Zustände geworden, erzählt er. Seine Frau, von Beruf Rechtsanwältin, war Mitbegründerin der Patientenvereinigung. Nach einer Operation steckte sie sie sich auf der Intensivstation an und starb schließlich nach Komplikationen. Geschichten wie diese gibt es viele – Otilia ist Mutter eines heute 15jährigen Jungen, der seit Jahren mit den Folgen einer Infektion kämpft.
Der Albtraum begann schon in der Geburtsklinik. Mein Junge holte sich ein Virus ein, das sich im Magen festsetzte und ihm große Probleme mit der Ernährung bereitete. Dann wurde er gegen Masern geimpft und reagierte darauf mit sehr hohem Fieber. Ich habe einen Krankenwagen gerufen und mich leider überzeugen lassen, mit dem Kind in einem Krankenhaus zu bleiben. Dort bekam er starke Antibiotika, die seine Magenschleimhaut zerstörten und sie für eine neue Infektion anfällig machten, erzählt die Frau.
Die Ursache – eine Staphilokokkeninfektion – wurde ihr verheimlicht. Niemand klärte sie auf, weder in der Geburtsklinik, noch bei der zweiten Erkrankung.
Bei der zweiten Erkrankung war er 11 Monate alt und ich habe beantragt, dass er in ein anderes Krankenhaus verlegt wird. In der Krankenakte sah ich dabei, dass er sich im Krankenhaus an einer Bakterie infizierte. In der Geburtsklinik hat keiner etwas gesagt. Ich habe selbst Tests veranlasst um zu sehen, warum das Kind nichts zu sich nimmt, aber es gab keine konkrete Information. Beim zweiten Mal haben sie mir gesagt, dass die Antibiotika die Bakterie im Magen zerstört hat. Im dritten Krankenhaus landeten wir bei einem sehr guten Arzt, der das Kind sofort auf ein desinfiziertes Zimmer legte. Wäre das von Anfang an so passiert, wäre uns alles erspart geblieben, meint Otilia.
Der Gesundheitsminister stürzte über den Medienskandal im Zusammenhang mit den Desinfeketionsmitteln. In Vlad Voiculescu, den neuen Minister, legen viele ihre Hoffnungen. Um die Engpässe im Gesundheitssystem zu überbrücken, hatte Voiculescu vor Jahren als einfache Privatperson in eigener Regie ein informelles Netz zur Versorgung von Krebspatienten mit Arzneien gegründet – und damit Menschenleben gerettet. Er will jetzt für klare Verhältnisse auch in Sachen Nosokomialinfektionen sorgen.