In Rumänien sind Arbeit und Bildung entkoppelt
In der heutigen Berufswelt lernen Beschäftigte eigentlich nie aus – sie müssen sich besonders vor dem Hintergrund der Digitalisierung zeitlebens fortbilden. Aber das funktioniert nicht so, wie es sollte.
Christine Leșcu, 19.10.2016, 17:57
Digitale Kompetenzen zählen heutzutage bei der Jobsuche genauso wie das eigentliche Fachwissen, das der Mitarbeiter mitbringen muss. Die Statistik der EU sieht diesbezüglich nicht besonders rosig aus. 40% der Europäer haben nicht ausreichende digitale Kompetenzen, nur 11% der Erwachsenen haben sich beruflich in Maßnahmen unter dem Stichwort lebenslanges Lernen fortbilden lassen. In Rumänien ist die Situation noch dramatischer: 74% der Menschen im Alter zwischen 16 und 74 Jahren haben keine digitalen Grundfähigkeiten und nur einer von Hundert Erwachsenen hat an beruflichen Fortbildungen teilgenommen. Die Gewerkschaften sind sich darüber bewusst – eine zu schwache Rückkoppelung bestehe zwischen schulischen Aubsildungsinhalten und Anforderungen am Arbeitsmarkt, sagt Bogdan Hossu, Chef der Dachgewerkschaft Cartel Alfa”. Wir stellen fest, dass das Interesse an Digitalkompetenzen unter den jungen Menschen, die eine akademische Ausbildung anstreben, sehr gering ist. Das zeigt uns, dass sie an der Schule nicht ausreichend Informationen über den Arbeitsmarkt vermittelt bekommen und nicht wissen, was auf sie zukommt. Das rumänische Schulwesen ist in dieser Hinsicht nicht wirksam. Wir empfehlen deshalb eine Zusammenarbeit mit dem Arbeitsmarkt, die über Arbeitgeber und Gewerkschaften laufen müsste. Und die berufliche Erwachsenenforbildung ist nach wie vor ein gravierendes Problem“, so der Gewerkschafter.
Eine solche Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Schule und Berufswelt sieht auch Arbeitsminister Dragoş Pâslaru als notwendig: „Noch wird hier ein silo-ähnliche Politik gemacht. Anders gesagt: das Bildungswesen gilt als verantwortlich für die Ausbildung und die Regulierung der Qualifikationen. Über die zuständige Behörde gibt es nach wie vor Zuordnungsstreit zwischen dem Bildungsministerium und dem Arbeitsministerium – das ist absurd. Seit etwa einem Monat diskutiere ich mit dem Bildungsminister darüber, er ist in dieser Frage der Zusammenarbeit der beiden Stellen sehr aufgeschlossen. Wir müssen aber auch hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen Staat und Privatsektor sowie zwischen zentraler und örtlicher Ebene viel nachholen,“ sagt der Minister.
Ein mögliches Kooperationsthema ist die so genannte duale Ausbildung, bei der Arbeitgeber sich in der beruflichen Ausbildung engagieren. Margareta Ivan berät den Bildungsminister in dieser Frage: Dieses duale Modell, das in diesem Jahr sehr intensiv diskutiert wurde, beschäftigt unser Haus ganz vordergründig. Wir werden bald mehrere Rechtsetzungsinitiativen auf den Weg bringen, um ein praxisnäheres System mit mehr Mitwirkung der Arbeitgebeber zu gestalten“, sagt Margareta Ivan.
Zum Lehrprogramm für die 5. bis zur 8. Klasse gehören inzwischen Informatikkurse, denn dafür muss von Anfang an Sorge getragen werden. Schließlich gehören IT-Kompetenzen heute zu den Kernfähigkeiten in der überwiegenden Mehrheit der Berufe, meint Raluca Predoi, Managerin in einem multinationalen Konzern. „Es ist eine der wichtigsten technischen Kompetenzen, die wir abfragen. Schon im Bewerbungsverfahren wird online kommuniziert und Informationstechnologie kommt später in allen Situationen des beruflichen Alltags vor – von Kommunikation bis Berichterstattung. Aber diese Fähigkeiten werden nach unserer Auffassung nicht gut genug in der Schule vermittelt. Dort wird beispielsweise zwar vorgetragen, wie man eine Datei in Microsoft Excel erstellt, aber die Kandidaten enstprechen nicht unseren Anforderungen – und diese sind wirklich nicht zu hoch“.
Zumindest klappt die Abstimmung mit dem Bildungssystem aber halbwegs, meint die Managerin. Mein Unternehmen ist sowohl am Hochschulwesen interessiert, als auch an der beruflichen Ausbildung, weil wir in Rumänien auch produzieren. In beiden Fällen haben wir mit den Universitäten und den Fachschulen gut gearbeitet und Partnerschaften abgeschlossen. Es gibt einen Dialog auch mit den staatlichen Behörden, aber er ist nicht vollständig ausgereift,” sagt Raluca Predoi.
Die Europäische Kommission hat inzwischen eine neue Agenda eingeführt, um die Vermittlung von Kompetenzen zu verbessern – Ziel ist es, nahe am Arbeitsmarkt zu handeln und die Beschäftigung zu fördern.