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Hohes Alter, schwere Kleidung

Im Rumänischen gibt es ein Sprichwort: hohes Alter, schwere Kleidung. Und überhaupt haben es Senioren überall auf der Welt schwer, umso mehr in einem Land, in dem die Sozialhilfe immer knapper wird.

Hohes Alter, schwere Kleidung
Hohes Alter, schwere Kleidung

, 23.10.2013, 16:11

Wer sich vor einem Heim wie diesem hütet, begeht einen gro‎ßen Fehler. Als ich einigen Freunden von meinem Wohnort erzählte, sagten sie ‚Oh, mein Gott, du bist jetzt im Asyl?‘ Mann, das ist doch kein Nachtasyl, sondern ein Pflegeheim, das dir ein ruhiges Leben bietet. Aus diesem Grund gibt es noch alte Leute, die ziellos auf den Stra‎ßen herumirren. Aus Angst, weil sie sich schämen.“



Es ist mehr als ein Jahr vergangen, seitdem Teodora Drăguţ im Altenheim Nicolae Cajal der Stadt Bukarest wohnt. Sie hatte Glück, sagt sie, weil sie gute Menschen traf, mit gro‎ßem Herzen, die von der Situation der damals 85-Jährigen angetan waren: Sie lebte fast auf der Stra‎ße, in einer Bleibe für Familienlose; ihr einziges Hab und Gut bestand aus den Büchern und einer blonden Puppe, die sie bis heute noch pflegt, wie das Kind, das sie niemals hatte. Die Verwandtschaft besteht lediglich aus einem Neffen, dem Sohn ihrer Schwester, der nach dem Tod der Mutter die alte Tante aus dem Haus warf. Weil ihre Rente für die Heimgebühren nicht ausreichte und sie keine anderen Verwandten hatte, wurde Frau Drăguţ als Sozialfall eingestuft und fiel damit in den Verantwortungsbereich des Bürgermeisteramtes. Aber wieviele von den Rentern, die sich in ähnlich verzweifelten Situationen befinden, können in einem Heim unterkommen? Und vor allem: Wieviele von den Senioren Rumäniens akzeptieren es, die Tür ihrer Wohnung hinter sich zu schlie‎ßen und in eine unbekannte Umgebung zu ziehen, um die Einsamkeit mit Gleichgesinnten zu teilen?



Laut offiziellen Angaben der Direktion für Sozialhilfe des Arbeitsministeriums, gibt es zurzeit gut 200 öffentliche und private Altenheime. Auf der Warteliste stehen 2600 Antragsteller. Die meisten davon beziehen sich auf akute Pflegefälle, kranke und abhängige Menschen, die sich zudem in einer finanziell prekären Lage befinden. Und ein Platz im Heim kostet eben Geld. Um in eine solche Einrichtung ziehen zu können, muss der Rentner die gesamte Gebühr bezahlen, oder, wenn seine Rente zu niedrig ist, 60% der Summe. Für die restlichen 40% würde die Familie aufkommen. Der Staat sorgt sich nur um die Sozialfälle. Allerdings könnte es auch hier mit der Zeit kompliziert werden, da in Rumänien die Anzahl der Rentner in alarmierendem Tempo ansteigt und der Haushalt für die Sozialversicherungen unter der Last einzubrechen droht. Das bestätigt Carmen Manu, Leiterin der Sozialhilfe-Direktion des Arbeitsministeriums.



In allen ex-kommunistischen Staaten, die heute in der EU sind, wird die Sozialhilfe aus dem Staatshaushalt finanziert. Und deshalb versucht man, entweder Sonderfonds einzurichten, oder Versicherungen abzuschlie‎ßen. Denn all diese Dienstleistungen für die Senioren sind teuer. Und langfristig betrachtet, wenn man davon ausgeht, dass die Bevölkerung altert, und das in einem beschleunigten Tempo, werden uns die Finanzmittel ausgehen, und das nicht, weil eine bestimmte Person kein Geld mehr zahlen will. Der Topf wird irgendwann leer sein. Und die heutigen Familienstrukturen ähneln einem Sandwich: die Erwachsenen müssen sich sowohl um ihre Kinder, als auch um die Eltern kümmern.“



Und wenn die Erwachsenen überfordert sind, kann das Altenheim die Lösung darstellen. Weil aber die Wartelisten so lang sind und sich die Familie oft nicht leisten kann zu warten, wenden sich immer mehr Rumänen von Haus aus den privaten Alternativen zu. Zumal sie sich von diesen Einrichtungen erhoffen, dass sie nicht wie die öffentlichen Heime unter akutem Personalmangel leiden.



Als ihre neunzigjährige Gro‎ßmutter einen Hirnschlag erlitt, musste Alexandra sich selbst eingestehen, dass sie sie nicht mehr alleine pflegen kann. Das auch weil in derselben Wohnung auch Alexandras sechsjährige Tochter lebte. Weil sie den Bedingungen in den öffentlichen Heimen nicht vertrauen konnte, entschied sie sich für eine private Einrichtung, und das auch weil:



Ich bin hierhergekommen und es hat mir gefallen, weil es wie ein Hotel aussieht. Ich hatte Angst, es würde wie ein Asyl ausschauen, was auch meine Gro‎ßmutter erschreckt hätte. Nachdem sie aber hier angekommen war, atmete sie auf und sagte ‚Gut, dass es nicht wie im Krankenhaus ist‘. Weil sie sich genau das Bild vorgestellt hatte: ein Asyl mit jenen wei‎ßen Eisenbetten, bedeckt von Matten, die nach Krankenhaus riechen.“



Alexandra findet die Heimkosten von umgerechnet ca. 450 Euro als angemessen, weil ihre Gro‎ßmutter den Komfort genie‎ßen kann, den ein älterer Mensch braucht. Und genau das hatte sich die in Bukarest geborene Architektin Mariana Melinger gewünscht: Nachdem sie lange Zeit in Israel gelebt hatte, wollte sie mit der Eröffnung des Zentrums Moșia Bunicilor (deutsch: das Anwesen der Gro‎ßeltern) den Senioren ein Leben wie zu Hause in einer Vier-Sterne-Bleibe bei Bukarest ermöglichen. Und trotzdem ist es oft nicht der Preis, der die Rumänen von der Einweisung in ein solches Heim zurückschreckt, berichtet Melinger:



Wir sind in unserer Denkweise rückständig. Wir glauben, dass wenn wir unsere Eltern oder Gro‎ßeltern in ein solches Zentrum einliefern, wir sie auch verlassen. Wir wollen ja oftmals hier bessere Bedingungen als zu Hause schaffen.“



Entgegen allen Vorurteilen setzen auch die staatlichen Heime alles daran, um ihren Bewohnern anständige Lebensbedingungen zu bieten, sowie eine Reihe von Aktivitäten, damit sie von den Problemen des Alters und der Einsamkeit abgelenkt werden:



Sie haben hier einen Club, wo sie sich an verschiedensten Aktivitäten beteiligen, sie unterhalten sich, schauen fern und erlernen die Glasmalerei. Wir haben zwei Bichons, einen Papagei, ein Aquarium…Wir unternehmen mit den Bewohnern Ausflüge zu den Klöstern, verbringen dort einen ganzen Tag, grillen mit ihnen und sie fühlen sich wie früher in der Familie. Im Sommer fahren wir mit ihnen zwei Wochen nach Moeciu de Sus, in eine Pension. Wir fahren in einem Reisebus, gemeinsam mit dem Pflegepersonal dorthin.“



Obwohl Cătălin Maxim, der Leiter des staatlichen Heimes Casa Max im dritten Bezirk Bukarests, stolz auf die vorgeschlagenen Aktivitäten ist, glaubt Frau Olga, dass sie nicht ausreichend sind. Sie lebt seit sieben Jahren im Heim, seitdem sie ihren Ehemann und ihr Haus verloren hat.



Die Anpassung fiel mir recht schwer. Ich fand meinen Platz nicht. Ich fühle mich jetzt recht gut, aber ich kann diesen Ort nicht als mein Zuhause nennen. Es ist wie in einer Familie, aber dennoch…ohne Worte.“



Und in der Tat sind Worte überflüssig für viele der Menschen, die am Ende ihres Weges angelangt sind, einsam und ohne Unterstützung. Und dennoch ist es ein Wunsch, der bleibt, erzählt die Psychologin Mirela Fiţa von dem Altenheim Nicolae Cajal:



Sie wollen gesund bleiben, sie wollen nicht bettlägerig werden. Sie wollen möglichst aktiv und gesund sein.“



Solange sich die Senioren nicht als verlassen und unnützlich fühlen, können sie sich auf wundersame Weise aus mitleidserregenden Menschen in gro‎ßartige Gro‎ßeltern verwandeln.



Audiobeitrag:

Foto: geralt / pixabay.com
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