Hilfe für Kinder mit Lernstörungen
Dyslexie oder Legasthenie – die Lese- und Rechtschreibschwäche ist die am meisten verbreitete Lernstörung. Betroffene Kinder brauchen dabei – ebenso wie ihre Eltern – Unterstützung durch Fachkräfte.
Christine Leșcu, 01.02.2017, 17:38
Diese Vermutung ist uns wohl allen bekannt: Aus dem eigenen Schulleben oder aus dem Berufs- oder Elternleben, vielleicht kennen wir sie einfach nur vom Hörensagen — lernschwache Kinder sind faul. Oder passen nicht richtig auf. Oder haben kein Interesse. Das ist der traditionelle Ansatz“. Seitdem aber die spezifischen Lernstörungen klar definiert und diagnostiziert wurden, beginnt sich dieser Ansatz auch in Rumänien zu verändern.
Eine der bekanntesten Lernstörungen ist die Dyslexie oder Legasthenie. Die als Lese- und Rechtschreibschwäche definierte Störung, die auch mit Problemen beim Rechnen einhergehen kann, gilt als unheilbar. Die Betroffenen könnten nur darauf hoffen, dass sie durch ständiges Üben ihre Situation verbessern. Die Sprachwissenschaftlerin Roxana Din hat sich als Therapeutin für legasthenische Kinder spezialisiert. Sie beschreibt die Ausdrucksformen der Störung bei Kleinkindern.
Sie benutzen die rechte Gehirnhälfte mehr als die linke. Das führt dazu, dass sie sich z.B. nicht wie typische Kinder das Lesen aneignen. Die ersten Anzeichen erkennt man wenn die Kleinen Schreiben und Lesen lernen, das heißt in den ersten Grundschulklassen. Sie lesen die Buchstaben verkehrt. Aus mit einem . Viele von ihnen haben auch eine mangelhafte Aufmerksamkeitsspanne. Es gibt auch Theorien, wonach Dyslexiker auch Gedächtnisdefizite und deshalb auch in der Mathematik Probleme haben.“
Die Dyslexie wird allerdings nicht von einer geistigen Behinderung begleitet. Im Gegenteil, viele Dyslexiker sind besonders kreativ und überdurchschnittlich intelligent. Aus diesem Grund ist eine Frühdiagnose in den ersten Kindergarten- oder Schuljahren empfehlenswert, eben damit die Kinder nicht nur die Erscheinungen bekämpfen, sondern auch ihr Potential nutzen können. Mirela Niţu, Mutter eines Fünftklässlers, bei dem bereits in der zweiten Klasse die Dyslexie-Diagnose gestellt wurde, ließ uns an ihrer Erfahrung teilhaben.
In der zweiten Klasse hat uns die Lehrerin empfohlen, einen Logopäden aufzusuchen, und dort haben wir praktisch die Therapie für die Dysgraphie begonnen, denn er verwechselte die Buchstaben beim Schreiben. Er hatte keine Probleme beim Sprechen, und bis dahin haben wir deshalb nichts vermutet. Bei den verschiedenen Wettbewerben im Kindergarten und in der Schule hatte er immer die besten Ergebnisse. Erst in der zweiten Klasse, als es mit längeren Diktaten und komplizierteren Hausaufgaben losging, haben wir gemerkt, dass bestimmte Fehler vermehrt auftraten.“
Nach der Diagnose folgte die Therapie, die langsam Früchte trug, sagte Mirela Niţu.
Er tendiert immer noch mehr zum Spielen und will schwierigere Situationen vermeiden, etwa die Hausaufgaben. Er macht immer noch Fehler, wenn er müde ist oder sich nicht ausreichend konzentriert. Dennoch hat er gute Noten, weil er in der Schule gut aufpasst und sich am Unterricht beteiligt, es gibt keine Probleme mit der schulischen Situation im Allgemeinen. Aber Fehler beim Schreiben wird er wahrscheinlich auch in der Zukunft machen.“
Mirelas Junge macht einmal in der Woche individuelle Therapie und ein weiteres Mal Gruppentherapie mit anderen dyslexischen Kindern. Für ihn und seine Eltern bedeute es, sich ständig anzustrengen, aber gleichzeitig lohnt es sich, behauptet Mirela Niţu.
Es ist in der Tat eine zusätzliche Anstrengung sowohl für das Kind als auch für die Eltern, ich meine damit die ständigen Fahrten zu den Aktivitäten und der Therapie. Zudem dauert das Erledigen der Hausaufgaben länger als bei anderen Kindern. Wir müssen ständig zusätzlich arbeiten. Man muss sich immer neue Lernmethoden ausdenken. Als Elternteil muss man viel Geduld aufbringen und das Kind stets unterstützen. Wir hoffen, dass es gut wird und er sein maximales Potential erreicht und dann ein Erwachsener nach seinen Vorstellungen wird.“
Vor allem am Selbstvertrauen der Kinder müsse hartnäckig gearbeitet werden, denn wenn andere einen irgendwie abstempeln, würde dies tiefe Spuren hinterlassen, erklärt die Sprachtherapeutin Roxana Din.
Oftmals müssen wir am Selbstvertrauen arbeiten weil sie oft als faul gelten und so als Stigmatisierte leben müssen. Manchmal werden sie auch von den Schulkameraden so betrachtet. Demzufolge müssen dyslexische Kinder ermutigt werden und sich verstanden und angehört fühlen.“
Roxana Din und Mirela Niţu sind sich im EDULER-Center begegnet, eines der wenigen Einrichtungen des Landes, die auf Therapie für dyslexische Kinder spezialisiert ist. Bei der Eröffnung des Zentrums im vergangenen Jahr hatte Leiterin Cristiana Ionescu feststellen müssen, dass es in Rumänien selbst keine Experten auf dem Gebiet gab.
Wir haben begonnen bei den Experten in Norwegen und Großbritannien anzufragen. Alle haben uns geantwortet, dass sie uns gerne die theoretischen Prinzipien zeigen, dass das Ganze aber für die rumänische Sprache angepasst werden muss. Nach einem einjährigen Projekt haben wir am 7. April 2016 unser erstes Center eröffnet und seitdem arbeiten wir an den Lern- und Therapiekits in rumänischer Sprache. Auch die Mathematik-Sets für Kinder mit Dysgraphie und Dyskalkulie. Wir versuchen ein Team aufzustellen, dem Eltern, Kinder und Therapeuten sowie die Lehrkräfte angehören sollen. Wir haben uns überlegt, Experten der klinischen Linguistik einzuladen, sowie Logopäden und Psychotherapeuten. Die Suche war intensiv, es war schwierig, und das nicht nur, weil wir erfahrene Kenner der Dyslexie anwerben wollten, sondern auch Leute gesucht haben, die sich nicht vor bahnbrechenden Projekten fürchten.“
Zurzeit kommen etwa 20 Kinder täglich zum EDULIER-Center. Leiterin Cristiana Ionescu erklärt den täglichen Ablauf.
Sie machen entweder Bildungstherapie und tiergestützte Therapie oder arbeiten im Digitalraum, wo sie an einer interaktiven Digitaltafel lernen, sich selbst zu bewerten und zu korrigieren. Wir legen ebenso viel Wert auf die Psychotherapie. Je früher wir das Kind evaluieren, je aufmerksamer wir auf die Signale sind, die unser Kind sendet, desto besser können wir ihm helfen. So wird das Gefälle zwischen ihm und den anderen Kindern schneller abgebaut.“
Das EDULIER-Center ist ferner auch eine Begegnungsstätte für Eltern dyslexischer Kinder, die im Rahmen von Begleitgruppen ihre Erfahrung teilen können.