Gesundheitswesen: informelle Zahlungen immer noch verbreitet
Trotz der erheblichen Gehaltserhöhungen im Gesundheitswesen ist es in Rumänien immer noch gang und gäbe, dem Arzt und dem Pflegepersonal Geld oder Geschenke zuzustecken.
Christine Leșcu, 29.05.2019, 17:30
Informelle Zahlungen an Ärzte oder, wie man sie üblicherweise nennt, Bestechungsgelder oder Umschläge“ sind seit langem eine Geißel, die dem öffentlichen Gesundheitssystem schaden. Laut einer Meinungsumfrage aus dem Jahr 2013 gaben über 60% der Rumänen an, dass sie den Ärzten Geld oder Geschenke gegeben haben. Von ihnen entschieden sich 66% für die Belohnung von Gesundheitspersonal aus eigenen Stücken, während 31,4% aufgefordert wurden, solche Zahlungen zu leisten. Mehr als 57% der Befragten hielten es für notwendig, den Ärzten Geld zu geben, um eine qualitativ hochwertige Versorgung zu erhalten, während 42% von ihnen angaben, dass eine angemessene Versorgung nicht von vorherigen informellen Zahlungen abhängig sei.
Nur widerwillig und nach langem Zögern erkannten die Behörden diese bekannte und weit verbreitete Praxis schließlich an und erst vor wenigen Jahren begannen sie, offen darüber zu sprechen. Derzeit sendet das Gesundheitsministerium ein Feedbackformular an die Patienten, die öffentliche Krankenhäuser verlassen, und fragt sie unter anderem, ob sie zu Unrecht bezahlt wurden.
Ein kürzlich durchgeführtes unabhängiges Journalismus-Projekt namens Inclusive“ brachte die Gesundheitsministerin Sorina Pintea und Florin Chirculescu, Leiter der Thoraxchirurgie im Universitätsklinikum Bukarest, zusammen, um mit Studenten und ehemaligen und zukünftigen Patienten über Bestechung in Krankenhäusern zu sprechen. Die Gesundheitsministerin räumt ein, dass dieses Phänomen eine Tatsache ist, und glaubt, dass die Krankenhausmanager sich seiner Existenz bewusst sein müssen, wenn sie Maßnahmen dagegen ergreifen wollen. Sorina Pintea:
Der erste, der weiß, dass dies passiert, ist der Leiter eines Krankenhauses. Jeder spricht darüber, jeder weiß es, aber wenn man konkrete Fragen stellt, sagt niemand etwas. Zum Beispiel habe ich den neuesten Bericht gelesen, der auf Patienten-Feedbackformularen basiert. Eine der Fragen, die wir den Menschen stellen, wenn sie aus dem Krankenhaus gehen, ist: ‚Wurden Sie von Ärzten und Krankenschwestern um Geld oder Geschenke gebeten?‘ Wir erhielten 153 ‚Ja‘-SMS, gegenüber 4.265, die ‚Nein‘ sagten. Von den Personen, die das gleiche Formular online eingereicht haben, antworteten 400 mit Ja und 13.564 mit Nein. Eine weitere Frage war, ob sie bereit waren, die Bestechungsversuche an die Anti-Korruptionsabteilung des Ministeriums zu melden. Es gab 120 ehemalige Patienten, die ‚Ja‘ zurückgeschrieben haben, im Gegensatz zu 4.166, die abgelehnt haben, während wir auf der Website 358 positive und 13.359 negative Antworten erhielten.“
Was ist es, das die Menschen widerstrebend zugeben lässt, dass sie Ärzten die berüchtigten Umschläge geben? Es kann ein Gefühl der Komplizenschaft für eine illegale Handlung sein, oder vielleicht das Gefühl, dass es sich um etwas handelt, wofür wir keine Verantwortung tragen. Oder eher die Vorstellung, dass im rumänischen öffentlichen Gesundheitswesen Patienten und ihre Angehörigen in mehrfacher Hinsicht Opfer sind: Einerseits sind sie Opfer der Krankheit, die sie ins Krankenhaus bringt, andererseits sind sie Opfer eines Teufelskreises der Korruption, der während der kommunistischen Epoche begann, als Verbindungen und ausgeklügelte Überlebensstrategien die Voraussetzungen für ein kaum menschenwürdiges Leben waren, und der seitdem immer stärker geworden ist. Öffentliche Krankenhäuser, die in den meisten Fällen baufällig, unterausgestattet und kaum den minimalen Hygienestandards entsprechen, vertiefen nur das Gefühl der Unsicherheit und die Notwendigkeit, möglichen Risiken mit allen Mitteln zu begegnen.
Aber vielleicht ist die vorherrschende Emotion in solchen Situationen die Angst. Und wiederum führt Angst zu weiteren irrationalen Reaktionen. Schließlich: Nach der Behandlung und wenn alles gut endet, haben die Menschen das Gefühl, dass sie ihre Dankbarkeit gegenüber den Ärzten ausdrücken müssen. Diese Mischung aus Angst, Unsicherheit, die durch ein minderwertiges Gesundheitssystem hervorgerufen wird, und dem Wunsch, etwas Dankbarkeit auszudrücken, fördert das Ganze.
Aber wie werden die Dinge auf der anderen Seite wahrgenommen? Was empfinden Ärzte, wenn ihnen etwas zugesteckt wird? Lange Zeit haben die wenigen, die offen darüber sprachen, alles auf die niedrigen Gehälter zurückgeführt. Was nicht mehr der Fall ist, da die Gehälter im Gesundheitswesen in den letzten Jahren deutlich erhöht wurden. Und trotzdem wechselt das Geld immer noch den Besitzer in den Krankenhäusern. Der Chirurg Florin Chirculescu gibt zu, dass er oft Geld akzeptiert hat, obwohl er seine Dienste nie davon abhängig gemacht hat:
Das passierte, als ich 2100 Lei im Monat verdiente, und das war das einzige Einkommen in der Familie. Und ich habe 80 Stunden die Woche gearbeitet. Also freute ich mich über die Gehaltserhöhungen, über jede Gehaltserhöhung, die Ärzte bekamen, denn jede von ihnen brachte mich der Freiheit näher, ‚Nein‘ zu sagen, wenn mir jemand etwas zustecken wollte, und zu glauben, was ich sage. Ich muss zugeben, dass ich solche informellen Zahlungen manchmal abgelehnt habe, obwohl ich sie gewünscht und gebraucht hätte. Es ist schwer, die ganze Zeit im Krankenhaus zu verbringen und von 2.100 Lei zu leben.“
Obwohl er zugibt, dass er sich bei der Entgegennahme des Geldes schämte, sagt der Arzt Florin Chirculescu, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte, besonders wenn die Gefahr bestand, den Spender“ zu verärgern:
Mir ging es nicht gut. Ich glaube, meine Ohren brannten, das ist es, was ich fühlte. Nun, da ich die finanzielle Unabhängigkeit habe, die es mir erlaubt, dies mit anderen Augen zu sehen, geschieht etwas anderes: Die Menschen scheinen enttäuscht, wenn man sie ablehnt. Wenn man ihr Geld nicht nimmt, denken die Leute, dass es daran liegt, dass die Dinge für den betreffenden Patienten nicht gut laufen. Und wenn dies in Anwesenheit des Patienten geschieht, ist es noch schlimmer. Ich mache keine Ausreden, es ist nur eine Tatsache.“
Deshalb, so Chirculescu, sei es die Pflicht des Gesundheitspersonals, die Beziehung zu den Patienten in einem ethischen Rahmen zu definieren:
Wenn ein Mensch krank ist, verliert er viel von seiner Freiheit, viel von seinem Vertrauen in sich selbst und in den Rest der Welt. Wenn sie zum Arzt kommen, entsteht ein Machtverhältnis, bei dem sich der Arzt in einer Machtposition befindet. Wenn ein Arzt in dieser Situation davon profitiert — und ich meine nicht unbedingt Geld, sondern auch Ego und Eitelkeit –, dann ist dieser Arzt ein Schwein.“
Selbst wenn die Gehälter im Gesundheitswesen gestiegen sind, ist das Geben und Nehmen von informellen Zahlungen in Krankenhäusern nach wie vor eine Praxis, die nicht so leicht auszumerzen sein wird, glaubt Gesundheitsministerin Sorina Pintea:
Ich glaube, dieses Phänomen wird nicht so schnell verschwinden. Wenn wir diese Art von Botschaft vermitteln, dass ‚in diesem Krankenhaus Bestechung nicht akzeptiert wird‘, kann sie sich schließlich in den Köpfen der Menschen verankern. Aber es wird eine Weile dauern. Auch die Veröffentlichung der Gehälter von Ärzten kann helfen. Die Menschen wissen, dass die Gehälter erhöht wurden, aber sie wissen nicht genau, wie viel sie verdienen. Krankenhäuser müssen Nettoeinkommen auf ihrer Homepage ausweisen, nicht nach einzelnen Namen, sondern nach Position und Qualifikation.“
Die Beendigung der Korruption im öffentlichen Gesundheitswesen hängt auch davon ab, ob sowohl Patienten als auch Ärzte zur Einsicht gelangen, auf die unehrenhaften Umschläge“ zurückzugreifen.