Frauen in Rumänien – wenig zu sagen, viel zu arbeiten
Alle zwei Jahre veröffentlicht das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen, eine EU-Agentur mit Sitz in Vilnius, den Europäischen Gleichstellungsindex, eine Studie, die das Geschlechterverhältnis anhand verschiedener Indikatoren analysiert.
Christine Leșcu, 16.03.2022, 13:13
Im Jahr 2021 liegt Rumänien laut dieser Studie mit 54,5 von 100 Punkten auf Platz 25 von 27 Mitgliedstaaten und damit 13,5 Punkte unter dem EU-Durchschnitt. Oana Băluță, Publizistin und Dozentin an der Fakultät für Journalismus und Kommunikationswissenschaften der Universität Bukarest, legt dieses Ranking für RRI aus.
Im Laufe der Jahre ist Rumänien auf den letzten Plätzen dieser Rangliste geblieben. Für 2021 wurden die auffälligsten Ungleichheiten bei zwei der Indikatoren festgestellt. Der erste ist der Indikator „Leistung“, bei dem Rumänien 34,7 Punkte erreicht hat. Ein weiterer Indikator, der große Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern aufzeigt, ist „Zeit“. Der Europäische Gleichstellungsindex misst jan geschlechtsspezifische Unterschiede in verschiedenen Bereichen: Arbeit, Geld, Wissen, Zeit, Macht, Gesundheit, Gewalt und intersektionale Ungleichheiten. Abgesehen von diesen Zahlen für 2021 per se ist es wichtig, die Entwicklung zu sehen. Diese Daten zeigen nämlich, dass Rumänien im Vergleich zu den Veränderungen in anderen EU-Mitgliedstaaten viel langsamer vorankommt und die Kluft zwischen Rumänien und anderen EU-Ländern immer größer wird, sagt die Wissenschaftlerin.
Im Gender Equality Index bezieht sich der Indikator „Macht“ auf das Vermögen, politische und wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen. Hier muss Rumänien das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern am stärksten verbessern. Die Entscheidungen mit den größten wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen werden überwiegend von Männern getroffen, obwohl sie auch alle Frauen betreffen, meint Oana Băluță:
Der Bereich „Macht“ untersucht die Unterschiede in der Repräsentation in politischen und wirtschaftlichen Gremien. Wenn wir uns die Politik ansehen, stellen wir fest, dass die Vertretung von Frauen in der Regierung oder im Parlament oder auch in den Gemeinderäten und Kommunalverwaltungen äußerst gering ist. Das zu ändern liegt an den politischen Parteien, denn in der repräsentativen Demokratie, in der wir leben, sind die politischen Parteien die wichtigsten Plattformen, über die Menschen für politische Ämter kandidieren. Und die politischen Parteien stellen Hierarchien auf, mit Frauen und Männern auf den Wahllisten. Wir stellen fest, dass einerseits die Parteien als Kandidaten weit weniger Frauen nominieren, nicht einmal bis zu 30 %. Und wir sehen, dass Frauen viel weniger auf tatsächlich aussichtsreichen Plätzen landen, viel weniger als Männer. Es ist davon auszugehen, dass die politischen Parteien also das heutige Gleichgewicht der Geschlechter in der Politik akzeptieren“, kritisiert Băluță.
Ein Beispiel für wünschenswerte politische Entscheidungen oder öffentliche Maßnahmen, die das Gleichgewicht zwischen den Geschlechtern wiederherstellen könnten, sind solche, die darauf abzielen, Männern und Frauen gleichermaßen Verantwortung zu übertragen. So ist laut Gleichstellungsindex die Zahl der rumänischen Frauen, die auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt sind, viel niedriger als die der Männer. Die Ursachen für diese Situation werden von Oana Băluță wie folgt beschrieben:
Im Vergleich zu anderen EU-Ländern verbringen Frauen in Rumänien eine große Anzahl von Stunden mit Pflege- und Hausarbeit. Dass die Männer im Haushalt umgekehrt weniger Verantwortung tragen, hat auch ganz konkrete Folgen: von überfüllten Arbeitsplätzen und weniger Freizeit bis hin zu einem deutlich geringeren Anteil von Frauen an der erwerbstätigen Bevölkerung zwischen 2016 und 2020. In diesem Zeitraum haben wir die niedrigste Erwerbsbeteiligung von Frauen im Vergleich zu Männern in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten. Und die Hauptursache, die von den Frauen genannt wird, ist die Pflege von Erwachsenen, Menschen mit Behinderungen oder Kindern. Dies geht aus einer anderen Studie hervor, die im Dezember letzten Jahres veröffentlicht wurde und sich mit den wirtschaftlichen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in Rumänien befasst.“
Anders als in den Vorjahren enthielt der Gleichstellungsindex 2021 keine Daten über häusliche Gewalt, bemerkt die Forscherin Oana Băluță. Eine neulich durchgeführte Eurobarometer-Umfrage zeigt jedoch, dass 77% der Frauen in der Europäischen Union der Meinung sind, dass die COVID-19-Pandemie zu einer Zunahme der psychischen und physischen Gewalt gegen Frauen in ihrem Land geführt hat: Die Gewalt hat während der Pandemie zugenommen. Das wissen wir aus den von NGOs erhobenen Daten und aus den Erkenntnissen der Polizei. Nicht nur die Gewalt insgesamt hat zugenommen, sondern auch die Häufigkeit bestimmter Arten von Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt. Gleichzeitig zeigt die Art und Weise, wie staatliche Institutionen in Rumänien mit dem Thema Gewalt umgegangen sind, erneut, das sich die Pandemie vor dem Hintergrund struktureller Ungleichheiten auch im Bereich der Gewaltprävention und -bekämpfung entfaltet hat“, so abschließend die Dozentin für Journalismus und Kommunikationswissenschaften der Universität Bukarest.