EU-Gleichstellungsindex: Rumänien Schlusslicht im Kernbereich Gesundheit der Frauen
Am 10. Oktober wurde der aktualisierte Gleichstellungsindex der Europäischen Union in Brüssel vorgestellt. Deutlich wird: Seit 2005 hat sich in Gleichstellungsfragen nur wenig getan.
Christine Leșcu, 25.10.2017, 17:30
Laut dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen ist der Gesamtwert des Index für die EU seit 2005 um vier Punkte auf 66,2 von 100 gestiegen. Basierend auf diesem Index befassen wir uns im heutigen Sozialreport mit Gleichstellungsfragen im Gesundheitsbereich.
Fragt man sie nach ihrer Gesundheit und nach ihrem Wohlempfinden, so antworten 65,3% der rumänischen Frauen, dass es ihnen gut oder sogar sehr gut geht. Im Vergleich zu den Frauen sagen 74,8% der rumänischen Männer, sie seien mit ihrem Gesundheitszustand zufrieden oder sehr zufrieden. Laut weiteren Statistiken sind es aber die Frauen, die einen gesunden Lebensstil pflegen. Ein Beispiel: Nur 36,2% der rumänischen Männer haben erklärt, sie seien Nichtraucher und würden keinen Alkohol trinken; bei den Frauen waren es 73,4%. In Bezug auf gesunde Ernährung und Bewegung sieht es aber bei den Männern besser aus: 16% der befragten Männer essen regelmäßig Obst und Gemüse und treiben auch Sport, verglichen mit nur 7,4% bei den Frauen. Das sind nur einige der Angaben über die Gesundheit, die neulich vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE), einer Agentur der Europäischen Union mit Sitz in der litauischen Hauptstadt Vilnius, im Europäischen Index für Gleichstellungsfragen veröffentlicht wurden.
Der Index gibt einen Wert für die Leistung der Mitgliedstaaten und ihre Erfolge bei der Beseitigung von geschlechtsspezifischen Unterschieden an. Dieser Wert liegt zwischen eins und 100, wobei ein Wert von 100 den Optimalzustand darstellt. Der Index nimmt für die Bewertung nationaler gleichstellungspolitischer Strategien sechs Kernbereiche (Arbeit, Geld, Wissen, Macht, Zeit und Gesundheit) und zwei Satellitenbereiche (Gewalt gegen Frauen und sich überschneidende Ungleichheiten) in den Blick.
In puncto Gesundheit haben die festgestellten Ungleichheiten hervorgehoben, dass sowohl der Zugang zu medizinischen Dienstleistungen als auch die Ansicht über die Gesundheitspflege geschlechtsspezifisch sind. Wenn die Jungen schon in einem zarten Alter von ihrem Umfeld dazu ermuntert werden, zu rauchen und Alkohol zu trinken, beweist das eine gewisse Mentalität der Gesellschaft über die Rollen der Männer und der Frauen in der Gemeinschaft, meint Zuzana Madarova, Expertin beim Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen:
Die sozialen Gendernormen für Frauen in Bezug auf ihre Gesundheit unterscheiden sich von denen für Männer. Das Image einer modernen Frau stellt die Frauen stark unter Druck. Viele Frauen haben Jobs und werden für ihre Arbeit entlohnt, aber sie sind auch für Haushalt und Kinder verantwortlich. Wir müssen die Lage der Frauen in diesem Kontext betrachten. Ferner haben die Frauen viel weniger Zeit für soziale Aktivitäten, für Entspannung, Sport oder kulturelle Aktivitäten. Deshalb sollten wir auch die öffentliche Gesundheitspolitik aus einer Genderperspektive betrachten.“
In der Europäischen Union leben die Frauen im Durchschnitt 5 Jahre länger als die Männer, aber man sollte auch untersuchen, ob die Frauen, die laut Statistik etwas länger leben, sich auch einer besseren Gesundheit erfreuen. Der Zugang zu medizinischen Dienstleistungen, der in der EU allgemein gut ist, ist ein wichtiger Teil der Statistik. Zuzana Madarova dazu:
Wenn wir bestimmte soziale Gruppierungen betrachten, so können wir feststellen, dass die Behinderten es am schwierigsten haben, wenn es um medizinische Dienstleistungen geht. Ferner konfrontieren sich die Alleinerziehenden, vor allem die alleinerziehenden Mütter, mit den größten Genderungleichheiten in puncto Zugang zu medizinischen Dienstleistungen. Es gibt mehr als 9 Millionen Alleinerziehende in der EU, und 85% davon sind Frauen.“
Laut der EU-Statistik haben es die rumänischen Frauen am schlimmsten, wenn es um ihre Gesundheit geht. Im Europäischen Index für Gleichstellungsfragen erhielt Rumänien im Kernbereich Gesundheit 70,4 Punkte und wurde somit zum Schlusslicht Europas. Der EU-Durchschnitt liegt bei 87,4 Punkten. Rumänien belegt leider EU-weit den traurigen 1. Platz bei der Sterberate infolge von Gebärmutterkrebs; die Sterberate der Mütter bei der Entbindung ist auch sehr hoch, und sehr viele Rumäninnen sterben an Brustkrebs. Die Lage ist umso trauriger, da es sowohl gegen Gebärmutterkrebs als auch gegen Brustkrebs Präventionsmittel gibt. Gegen das HPV-Virus, das Gebärmutterkrebs verursacht, können die Mädchen geimpft werden, und das Brustkrebsrisiko wird um 30% vermindert, wenn die Mütter 12 Monate lang ihre Babys stillen. Durch Stillen werden sowohl die Kinder als auch die Mütter gesunder. Die Brustkrebs-Prävention sieht aber auch spezifische Maßnahmen vor. Ana Măiţă von dem Verband SAMAS zum Schutz der Mütter und Säuglinge, bringt weitere Details:
Das rumänische Gesundheitsministerium hat ein nationales Programm zur Brustkrebsprävention erarbeitet. Leider haben nicht alle rumänische Frauen Zugang zu diesem Programm — sei es, weil sie nicht darüber informiert wurden, sei es, dass sie die Bedeutung der spezifischen Untersuchungen nicht verstehen und mit ihren Hausärzten nicht darüber sprechen. Die öffentliche Gesundheitspolitik sollte besser orientiert werden, um die Gesundheit der Frauen zu schützen, von der Hervorhebung der Prävention und der Impfung bis zur Gesundheitserziehung in der Schule und in der Gemeinde. Besonders wichtig ist die Erziehung der Mädchen in puncto Fortpflanzung. In Wirklichkeit haben 20% der rumänischen Frauen, die ein Kind bekommen, den ersten Kontakt mit dem Frauenarzt bei der Entbindung. Viele schwangere Rumäninnen gehen zu keiner Schwangerschaftsuntersuchung, obwohl die regelmäßigen Untersuchungen während der Schwangerschaft per Gesetz garantiert und zum größten Teil kostenlos sind.“
Neben der mangelhaften Information und dem schweren Zugang zu medizinischen Dienstleistungen sind auch die sozialen Rollen von Männern und Frauen schwerwiegend, steht noch im jüngsten Europäischen Index für Gleichstellungsfragen. Ana Măiţă dazu:
Es ist wahr, dass in Rumänien die Last der Haushaltsarbeit von den Frauen getragen wird, und das ist einer der konkreten Gründe, warum die Frauen keine Zeit mehr haben, sich um die eigene Gesundheit zu kümmern. Deshalb werden die meisten Frauen, die an verschiedenen Krebsarten erkranken, leider in einer fortgeschrittenen Phase der Krankheit diagnostiziert. Viele Rumäninnen gehen zum Arzt im allerletzten Moment, wenn jede Hilfe zu spät kommt.“