Digitale Revolution: Bleibt das Lesen von Büchern auf der Strecke?
Die Computer-Revolution und die Diversifizierung digitaler Geräte bringen uns viel, sie haben jedoch auch einige Nachteile. Ihr Einfluss auf die Kinder bereitet Eltern und Lehrern Sorgen.
Christine Leșcu, 19.12.2018, 17:30
Schon im zarten Alter gewöhnen sich die Kleinen an die Fernbedienung, das Tablet oder den Laptop und verbringen viel Zeit vor den Bildschirmen — zum Nachteil von Spielen im Freien oder später, wenn sie im Schulalter ankommen, zum Nachteil von Lesen. Welche Auswirkungen hat die Nutzung von Bildschirmen bei Kindern? Diana Mocanu, Leiterin des Verlags Gama“ in Iaşi, der hauptsächlich Bildungsprojekte durchführt, fasst zusammen:
Nach europäischen Statistiken verbringen Kinder unter 5 Jahren etwa 3 Stunden pro Tag vor dem Bildschirm, was viel ist, zu viel sogar. Meines Erachtens muss ein Kleinkind seine Feinmotorik, sein Vokabular entwickeln, die Schaffung neuer neuronaler Verbindungen durch Interaktion mit realen Objekten, und nicht virtuell fördern. Aus diesem Grund muss ein 3-jähriges Kind von den Bildschirmen ferngehalten werden und einigen Regeln unterliegen. Mit dem Wachstum nimmt das Digitale in seinem Leben immer mehr Platz ein. Teenager müssen sogar ihre Computerkenntnisse entwickeln, denn das ist die Zukunft. Es ist jedoch ebenso wichtig, einen Geschmack für das Lesen zu entwickeln, und aus diesem Gesichtspunkt haben Eltern eine sehr wichtige Rolle zu spielen, da sie die richtigen Bücher bereitstellen und die Kinder zum Lesen anregen und motivieren können.“
Um das Lesen unter jungen Leuten zu fördern, startete der Gama Verlag in Iaşi die Kampagne Der Tag, an dem wir Zeit haben“ für Kinder und Eltern. Diana Mocanu dazu:
Die Kampagne begann mit Rundtischgesprächen. Eines davon fand auf der Buchmesse Gaudeamus in Bukarest, das andere in Iaşi statt. Für beide Rundtischgespräche haben wir Experten aus den Bereichen Bücher, Erziehung und Informatik eingeladen, um das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Wir wollten Eltern helfen, die mit diesem Problem konfrontiert werde, und versuchen, praktische Lösungen zu finden.“
Die Büchersammlungen, die von den Eltern gemeinsam mit den Kindern gelesen werden können, sind eine große Hilfe. Das Kind kann ohne viel Aufwand leichter lesen. Diana Mocanu:
Wenn wir das Buch mit dem Smartphone oder dem Tablet vergleichen, stellen wir fest, dass digitale Geräte attraktiver sind, mehr Spaß machen und weniger Aufwand erfordern. Das Lesen ist dagegen eine komplexe Tätigkeit, die Anstrengung über mehrere Jahre voraussetzt. Im Wettbewerb mit dem Bildschirm wird das Buch nicht gewinnen, solange sich das Kind mit dem Lesen schwer tut.“
Eine solche Kampagne ist jedoch nicht wirksam, wenn sie nicht gleichzeitig an die Eltern gerichtet ist, um sie zu erziehen — glaubt Dichter Robert Şerban, der an einem der unter dem Motto Der Tag, an dem wir Zeit haben“ organisierten Rundtischgespräche teilgenommen hat. Was antwortet er den Eltern, die besorgt sind, weil sie feststellen, dass ihre Kinder zu viel Zeit vor den Bildschirmen verbringen? Robert Şerban:
Eltern vergessen, in den Spiegel zu schauen. Sie vergessen, den Fernseher auszuschalten; sobald sie zuhause sind, vergessen sie, ihre Laptops und Tablets beiseite zu legen. Mit anderen Worten, fordern sie die Kinder auf, das zu tun, was sie nicht selbst tun können, sie fordern von den Kindern Dinge an, die für sie selbst unmöglich erscheinen. Jetzt wissen wir es nur zu gut: Kinder übernehmen die Verhaltensweisen, die sie bei ihren Eltern sehen, bei Erwachsenen, die ihnen als Vorbilder dienen. Freunde, die Kinder haben, fragen mich seit Jahren, was zu tun ist, welche Strategien sie anwenden sollen, um ihre Kinder zum Lesen zu veranlassen. Und meine Antwort lautet immer: ‚Und was machen Sie, wenn Sie nach Hause gehen?‘, ‚Was ich mache? Ich setze mich aufs Sofa und schalte den Fernseher ein.‘, ‚Also, was erwartest du dann von deinem Kind? Sieht er dich oder deine Frau bzw. deinen Mann etwas lesen?‘ Das ist die Erklärung. Diese Kampagnen sind wichtig, aber damit es nicht nur bei Theorie oder guten Ansätzen und Slogans bleibt, müssen solche Kampagnen auch die Eltern und nicht nur die Kinder ansprechen.“
Die Faszination des Internets und der elektronischen Spiele auf Kinder ist für Robert Șerban, selbst ein Elternteil, nicht unbekannt. Er weiß nur zu gut, dass digitale Geräte gute Lernmittel sein können, wenn sie entsprechend eingesetzt werden. Robert Șerban:
Wir benutzen diese nicht als Werkzeuge, sondern lassen uns von ihnen benutzen. Sie stehlen unsere ganze Zeit. Sie sind faszinierend, fabelhaft. Ich frage mich oft, was ich in den 70er–80er Jahren gemacht hätte, als ich noch ein Kind war, wenn ich solche Geräte in Reichweite gehabt hätte. Ich bin sicher, ich wäre genauso verführt worden wie meine Kinder jetzt. Ich habe einen 8-jährigen Jungen und ein 12-jähriges Mädchen. Auch ich muss mit den Werkzeugen kämpfen, zu denen sie Zugang haben. Ich versuche, sie zu schützen, und ich versuche zu verstehen, dass sie Werkzeuge sind, nicht mehr. Das Handy wird verwendet, um zu telefonieren, und nicht um den ganzen Tag am Bildschirm hängen zu bleiben. Wir sehen fern, wenn wir uns einen Film oder die Nachrichten anschauen wollen, wir wollen aber nicht süchtig werden. Das Lesen ist persönlichkeitsprägend. Egal, ob Sie einen Bildschirm, ein Blatt Papier oder ein Buch vor sich haben, es ist wichtig, dass Sie lesen. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Lesen uns beim Konzentrieren hilft, es entwickelt unser Nervensystem, es entwickelt das Gehirn und die Vorstellungskraft.“
Die Kampagne, die von dem Gama Verlag ins Leben gerufen wurde, endete mit einem Tag, an dem Eltern und Kinder elektronische Geräte — Computer, Tablets, Smartphones — beiseitegelegt und den Fernseher ausschaltet haben, um denjenigen, die sie lieben, näher zu kommen, in Begleitung eines Buches, eines Spiels oder bei einer Wanderung.