Cyberbullying unter Jugendlichen: Opferzahl besorgniserregend hoch
Jugendliche verbringen heutzutage immer mehr Zeit im Internet. Sie lesen Nachrichten, hören Musik, schauen sich Videos an und tauschen sich mit Ihresgleichen aus. Manchmal kann es aber auch zu Belästigungen und Mobbing kommen.
Christine Leșcu, 07.11.2018, 17:30
Studien zufolge weigert sich fast die Hälfte der jungen Internetnutzer, an Online-Gesprächen teilzunehmen — aus Angst, belästigt zu werden. Rumänien liegt an zweiter Stelle in der EU in puncto Anzahl der Frauen, die im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IT&C) arbeiten. Darüber hinaus griffen im Jahr 2017 81% der Mädchen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren aufs Internet täglich zu. Junge Männer im gleichen Alter griffen vergleichsweise in einem Prozentsatz von 82% aufs Internet zu. Doch sobald wir auf die Teilnahme junger Leute in Rumänien an verschiedenen Aussprachen im Internet Bezug nehmen, gehen die Prozentsätze stark zurück. Sie liegen deutlich unter dem EU-Durchschnitt: Lediglich 16% der jungen Frauen und 20% der jungen Männer zeigten sich interessiert, Erfahrungen und Ideen im Internet auszutauschen, nachdem sie einen Presseartikel oder einen Blogbeitrag gelesen hatten.
Der Mangel an Interesse kann einerseits dadurch erklärt werden, dass sich die jungen Europäer allgemein wenig für Politik interessieren und auch nicht besonders bereit sind, sich sozial zu engagieren. Allerdings zeigen die Umfragen, dass der scheinbare Mangel an Interesse auch andere Ursachen haben kann. 12% der 15-jährigen Mädchen innerhalb der EU wurden durch verschiedene Internetmitteilungen gemobbt und eingeschüchtert. Vergleichsweise erhielten nur 7% der Jungen ähnliche Mitteilungen.
Bitdefender Rumänien führte letztes Jahr eine ähnliche Umfrage in Rumänien durch. Die Ergebnisse zeigten, dass 4 von 5 Jugendlichen im Alter von bis zu 18 Jahren Ziel von Onlinebelästigungen gewesen seien. Fachleute vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) bemerkten eine Verknüpfung zwischen der Internetgewalt oder dem Cyberbullying und der Zurückhaltung junger Menschen, vor allem Mädchen, ihre Meinungen auszudrücken: 51% der Mädchen und 42% der Jungen weigern sich, an Internetdebatten teilzunehmen, nachdem sie Opfer von Cyberbullying waren. Mit mehr Einzelheiten dazu Blandine Mollard, EIGE-Expertin:
Es gibt klare Indikatoren, die darauf hinweisen, dass junge Frauen ihr Online-Verhalten entsprechend anpassen, nachdem sie Opfer von Onlinebelästigungen sind. Sie bringen sich in keinen Internetaussprachen mehr ein und nehmen an keinen Gesprächen mehr teil. Junge Männer passen ihr Verhalten auch entsprechend an, allerdings in einem geringeren Maße als die Mädchen. Junge Leute — Mädchen wie Jungs — verbringen viel Zeit im Internet. Sie lesen Nachrichten, bilden sich eine Meinung über die Welt und drücken verschiedene Meinungen aus. Junge Frauen machen jedoch weniger Gebrauch von der Möglichkeit, sich in diesem virtuellen Raum einzubringen. Sie bleiben viel mehr passiv und verpassen somit die Gelegenheit, diesen Raum durch ihre Meinungen zu formen. Andererseits haben wir es derzeit mit einer durchaus aktiven Jungengeneration zu tun. Die Jungs drücken ihre Meinungen viel mehr im Internet aus. Allerdings sind sie vielmehr untereinander vernetzt und tauschen sich nur wenig mit den Mädchen aus. Daher findet nur selten ein Meinungsaustausch zwischen Jungs und Mädchen statt.“
Darüber hinaus sind nur wenige Jugendliche bereit, zuzugeben, dass sie dem Cyberbullying zu Opfer gefallen sind und sich deshalb weigern, ihre Meinungen weiterhin offen auszudrücken. Laut dem Psychologen Nansi Lungu berücksichtigen die Studien nur die Jugendlichen, die offen zugegeben haben, dass sie online gemobbt wurden. Das Phänomen sei wahrscheinlich viel ausgebreiteter, als die Statistiken es zeigen. Die Angreifer sind in der Regel junge Leute im gleichen Alter wie das Opfer. Der ursprüngliche Angriff wird im Regelfall von einem Unbekannten ausgelöst. Am schlimmsten sei, dass ein Angriff einen anderen nach sich zieht. Das Opfer wird demnach einem Gruppen-Bullying ausgesetzt, erklärt der Psychologe Nansi Lungu. Die Auswirkungen können verheerend für das Opfer sein:
Der Jugendliche versteht in der Regel nicht, warum er angegriffen wird. Er kann mit der plötzlichen Hasswelle gegen ihn nichts anfangen. Die Auswirkungen können langwierig sein. Denn gerade in diesem Alter entwickeln sich die jungen Menschen psychisch. Angriffen dieser Art kann nicht vorgebeugt werden. Sie werden nämlich per Zufall ausgelöst. Und, wie gesagt, es entsteht eine Kettenreaktion. Die Angriffe vermehren sich und werden immer aggressiver.“
Die Hauptursachen für Onlinebelästigungen in Rumänien sind auf die Kleidung und auf das Aussehen zurückzuführen. 67% der Angriffe nehmen auf diese zwei Aspekte Bezug. Weitere Gründe des Cyberbullyings sind die Hobbys und die Alltagsbeschäftigungen der jungen Leute (30%), die finanzielle Lage der Familie, aus der die jungen Menschen stammen (13%), Schulergebnisse (12%) und sexuelle Ausrichtung (8%). Die Gründe für Cyberbullying fallen mit den Ursachen des klassischen Bullyings, im realen Leben, zusammen. Das Cyberbullying ist eigentlich nur eine Verlängerung dessen, was im wirklichen Leben passiert. Womöglich zugespitzt in einiger Hinsicht. Ein Beispiel hierfür sind die Schönheitsstandards, so Blandine Mollard:
Schönheitsstandards gibt es überall. Und es gab sie schon immer, sie kamen nicht mit dem Internet auf. In der Offline-Welt, auf der Straße, bei der Arbeit, sieht man jedoch eine Vielfalt von Menschen, verschiedene Körper und Kleidungsstils. In den sozialen Netzwerken kann es allerdings vorkommen, dass eine einzige Typologie vorherrscht. Und das kann sich auf einen negativ auswirken. Es handelt sich also um Intensität, um Ausmaß. Alles hängt von der Zeit ab, die die jungen Menschen im Internet verbringen.“
Onlinebelästigungen kann in Wirklichkeit nicht vorgebeugt werden. Der Vorgang ist nämlich unvorhersehbar und hängt häufig von den Umständen ab. Die Gründe, die vermutlich zum Cyberbullying führten, sind oft lediglich ein Vorwand zur Ausübung von Gewalttaten. Daher ist es wichtig, prompt darauf zu reagieren. Die Bildung spiele ebenfalls eine wesentliche Rolle dabei, so Nansi Lungu:
Die Angreifer werden in der Regel nicht durch Gegenargumente entmutigt, sondern viel mehr durch die Anzahl der Personen, die sich einschalten, um das Opfer zu verteidigen. Aus diesem Grund ist der Vorgang umso besorgniserregender. Denn wir können uns nicht mit einem besonderen sozialen Zusammenhalt rühmen. Die Kinder kennen kaum Vorbilder, die den Schwächsten verteidigen. Die Schule bringt ihnen zwar dieses Verhalten bei, allerdings nur förmlich. Innerhalb der Gesellschaft haben sie leider nicht die Gelegenheit, so etwas zu sehen. Oft verwandeln sich sogar die Opfer zu Angreifern, wenn der Zusammenhang passt. Solange wir die Verbreitung derartiger Aggressionen online und offline hinnehmen, wird es genug Menschen geben, die der Angreifer-Gruppe beitreten werden. Warum sie das tun? Sie spüren, dass sie auf dieser Weise stark sind und kein Opfer werden können. Die Einstellung der Zuschauer, der Zeugen sollte auch ausgebildet werden. Denn sie sollten viel häufiger eingreifen.“