Bildungssystem: Qualität braucht Investitionen
In Rumänien setzt man sich immer intensiver mit der Qualität des Bildungssystems auseinander, vor allem innerhalb der Zivilgesellschaft.
Christine Leșcu, 10.12.2014, 17:45
In Rumänien setzt man sich immer intensiver mit der Qualität des Bildungssystems auseinander, vor allem innerhalb der Zivilgesellschaft. Vor diesem Hintergrund hat die Stiftung World Vision România“ eine Untersuchung durchgeführt, und zwar über die Art und Weise, in der die Schule von Eltern und Kindern wahrgenommen wird.
Die Studie zur Qualität der Bildung wurde in 157 Schulen in ländlichen und benachteiligten Gebieten aus sechs Landkreisen durchgeführt. Deren Schlussfolgerungen bestätigen teilweise die informellen Debatten der Gesellschaften. Zum Beispiel sind die Schulen auf dem Lande entgegen gängiger Meinung zu 90% mit Fachlaboratorien ausgestattet, allerdings sind sie nur zu 10% ausgelastet. Erwartungsgemäß wird das Informatik-Labor am häufigsten genutzt. Zudem arbeitet nur einer von zwei Schülern am PC, nur ein gutes Drittel aller Schüler hat Internet-Zugang. Andererseits hob die Studie auch positive Aspekte hervor. Etwa die Tatsache, dass es genügend Klassenräume gibt. In sehr vielen Schulen wird in einer einzigen Schicht unterrichtet, Nachmittagsunterricht gibt es nur in wenigen Ausnahmen.
Die Autoren der Studie stellten ferner einen Widerspruch hinsichtlich der Beteiligung der Eltern am Bildungsvorgang fest: Obwohl die Schule in ländlichen Gebieten als extrem wichtige Institution wahrgenommen wird und die Bevölkerung mit dem Schulalltag generell zufrieden ist, wissen die Eltern oft nicht genau, was in den Schulen passiert. Das erklärt der Vorsitzende der Rumänischen Agentur für Qualitätssicherung in der voruniversitären Bildung, Şerban Iosifescu. Er leitete die Forschungsarbeit und kennt weitere Details der Studie.
Wir haben weiter festgestellt, dass jeder Schüler regelmäßig Hausaufgaben in mindestens drei Fächern täglich zu machen hat. 80% der Schüler behaupten, dass mehr als die Hälfte einer Schulstunde für die Ausführungen des Lehrers verbraucht wird. Zwei der lernfördernden Faktoren erhielten die niedrigsten Bewertungen: die Umsetzung der Kenntnisse in reellen Alltagssituationen und die Möglichkeit, Zusammenhänge zwischen den Kenntnissen herzustellen. In jeder Schule gibt es mindestens einen Lehrer, der Verbindungen zwischen den Lehrfächern herstellt, generell ist es nur einer, und nicht alle, so wie es sein sollte. Was wir als positiv bewerten konnten: Die Lehrkräfte bieten den Schülern Unterstützung und Feedback an. Außerdem fanden wir heraus, dass sich die Art und Weise, in der die Bewertung der Schüler stattfindet, ebenfalls verbessert hat. Die Ergebnisse der Bewertung werden für Korrekturmaßnahmen verwendet, allerdings weniger für die Identifizierung der Ursachen schwacher Lernleistungen oder für die Steigerung der Motivation beim Lernen.“
All diese Informationen sind laut Şerban Iosifescu ausreichend, um den Autoren der World Vision“-Studien zu bestimmten Schlussfolgerungen zu verhelfen:
Die Tätigkeit der Lehrkräfte ist eher auf den Unterricht an sich ausgerichtet und weniger darauf, dass sich die Schüler gewisse Kenntnisse aneignen. Die Autonomie der Schüler ist relativ eingeschränkt, der Bildungsprozess wird noch als Übermittlung von Informationen definiert, dabei hat die Bewertung überwiegend den kognitiven und weniger den verhaltensbezogenen Teil in ihrem Mittelpunkt.“
Jenseits der Tatsache, dass sie nicht genau wissen, was mit ihren Kindern während des Unterrichts geschieht, gibt einer von drei Eltern an, dass sie bei der Festlegung der Wahlfächer nicht zu Rate gezogen werden. Dieselbe Antwort gab auch knapp die Hälfte aller Schüler. Neben den Hausaufgaben, der Bewertung und dem Aneignen von Kenntnissen stellen die Schulabgänger eines der größten Probleme dar. Viele Schüler verlassen die Schule oder bleiben dem Unterricht fern, weil sie entweder für den Unterhalt ihrer Familie sorgen müssen, oder weil sie andere persönliche Probleme haben, für deren Behebung die Schule nicht vorbereitet ist, erklärt Şerban Iosifescu.
Besorgniserregend sind die fehlenden Betreuungs- und Beratungsdienstleistungen, viele Schüler sagen, sie hätten niemals derartige Dienstleistungen beansprucht. Es gibt sehr viele unbegründete Fehlzeiten, die den Eltern und Schülern bekannt sind. Hauptursache sind die Probleme der entsprechenden Familien und nicht etwa eine Unzufriedenheit über die Schule. Ein Großteil der Schüler und Eltern sind der Ansicht, dass man einen Schulabschluss machen muss, allerdings ist der Anteil derjenigen, die angeben, den Schulunterricht abbrechen zu wollen, sehr hoch. Es sind insgesamt 35%, also zweimal so hoch wie der Landesdurchschnitt. Die Schulabgängerquote steht in starkem Zusammenhang mit dem Bildungsniveau und den Einkommen der Familie.“
Ferner gibt es einen Zusammenhang mit der Arbeit, die manche Kinder im eigenen Haushalt verrichten müssen. Laut der World-Vision-Studie trifft das auf eines von zehn Kindern zu. Der vorzeitige Schulabgang hat ohnehin nicht nur Auswirkungen auf persönlicher Ebene, sondern auch für die Wirtschaft. Das ergab eine UNICEF-Studie zum Thema Kosten der unzureichenden Investitionen in das rumänische Bildungssystem“. Luminiţa Costache, Expertin bei der Organisation, erklärt, welchen Preis man konkret für einen Schulabgänger zahlen muss:
Die lebenslangen Kosten für einen vorzeitigen Schulabgang liegen zwischen 100.000 und 1,1 Millionen Euro pro Person. Diese Zahlen sind in unterschiedlichen Landesstudien wiederzufinden, sie treffen nicht nur auf Rumänien zu. Die allgemeinen Kosten eines vorzeitigen Schulabgangs in Rumänien entsprechen 0,9% des Bruttoinlandsproduktes. Auf individueller Ebene reduziert jede zusätzlich absolvierte Jahrgangsstufe das Arbeitslosigkeitsrisiko um 8,2%.“
Da Rumänien derzeit der Bildung einen geringen Anteil am Bruttoinlandsprodukt zugesteht, sind die langfristigen Folgen für die Wirtschaft nicht gerade positiv. Ursprünglich hatte man sich im sogenannten Nationalen Pakt für die Bildung“ verpflichtet, 6% des Bruttoinlandsproduktes für das Bildungssystem auszugeben, erklärt Luminiţa Costache von der UNICEF:
Wir haben versucht, Szenarien nach unterschiedlichen Mustern auszuarbeiten: Was würde passieren, wenn Rumänien nach wie vor dieselben Summen in die Bildung investiert, und was, wenn das Investitionsniveau bis auf 6% des Bruttoinlandsproduktes ansteigen würde. Bislang werden aus dem Haushalt 4% für die Bildung ausgegeben, hier sind aber auch die privaten Ausgaben inbegriffen, nicht nur die Haushaltsmittel. Wenn wir dieses Niveau beibehalten, werden die Ziele der Europa-2020-Strategie nicht erreicht werden. Das zweite Szenario untersucht einen Anstieg der Mittel für die Bildung bis auf 6% bis 2025. Die Europa-2020-Ziele würden so erreicht, die Ergebnisse der PISA-Studie würden den Durchschnitt der OECD-Länder ausgleichen, und ein zusätzlich absolviertes Schuljahr würde ein Wachstum des BIP um 2,7 – 2.95% für einen Zeitraum von 10 Jahren verursachen. Mit anderen Worten wird Rumänien zwischen 12 und 17 Milliarden Euro in den kommenden zehn Jahren verlieren, wenn es seine Investitionen in die Bildung nicht erhöht.“
Indirekt schlagen also die Autoren der zwei Studien eine klare Linie vor: eine tiefgründige Veränderung der Finanzierung des Bildungssystems und der Beziehung zwischen Schule, Eltern und Schüler.