Bildung im ländlichen Milieu: Programme gegen Schulabbruch
Zu den Baustellen des rumänischen Bildungssystems gehört u.a. die hohe Schulabbrecher-Quote. Seit Jahren gelingt es allerdings nicht, Strategien und Pläne, die einschließlich auf Regierungsebene erarbeitet wurden, in konkrete Ergebnisse umzumünzen.
Christine Leșcu, 01.11.2017, 17:30
EU-Statistiken belegen, dass die Schulabbrecherquote in Rumänien 2016 bei 18,5% lag und damit über den Vorjahreswerten lag. Schwerwiegend ist die Lage in ländlichen Gebieten, dort brechen wesentlich mehr Kinder die Schule ab als in den Städten. Das Gefälle zwischen Stadt und Land wurde auch von einer Studie der Stiftung World Vision Romania erfasst. Dabei sei es um mögliche Investitionsprojekte für die Bildung in ländlichen Gebieten gegangen, wie Gabriela Onofrei, Projektmanagerin bei der Stiftung, erklärt.
Die Angaben aus dem Bildungsministerium deuten auf einen Unterschied von 24 Prozentpunkten zwischen Stadt und Land hin, wenn es um die Partizipationsrate an Bildung geht. Eine von zehn Schulen aus den Dörfern und Gemeinden schafft es nicht, mit allen Grundschülern, die beim Schuleintritt dabei waren, die fünfte Klasse zu erreichen. Nach den ersten acht Klassen haben die Hälfte aller Schulen in ländlichen Gebieten Schulabgänger. Die meisten Schulabbrecher sind aber in den Gymnasien ab der 9. Klasse festzustellen. Nur ein gutes Viertel aller Gymnasien meldet keine derartigen Fälle. Mehr als 40% der Schulabgänger nach Abschluss der achten Klasse bleiben den heimatlichen Gemeinschaften auf dem Lande erhalten, wo sie im Haushalt mit anpacken.“
Leider ist das aber nicht das einzige schwerwiegende Problem für das Bildungssystem in ländlichen Gebieten. Die durchschnittliche Leistung bei der sogenannten Landesbewertung 2017, der Zulassungsprüfung nach der achten Klasse für das Gymnasium, lag auf dem Land um gut einen Notenpunkt unter dem Durchschnitt in der Stadt. Und das ist eigentlich auch genau die Stufe für die Verschärfung und Anhäufung der Probleme — das Ende des rumänischen Grundschulzyklus und der Beginn der Gymnasiumsstufe. Hier nehme die Schulabbrecherquote rapide zu, denn in ländlichen Gebieten gebe es viel weniger Gymnasien und die Schüler müssten lange Schulwege in Kauf nehmen, sagt Gabriela Onofrei von World Vision Romania.
Es ist sehr schwierig für ein Kind vom Lande, ein Gymnasium zu besuchen, die langen Strecken, die zurückgelegt werden müssen, spiegeln sich auch in unserer Studie wider. Mehr als 18% der Befragten haben angegeben, dass die Schule schwer zu erreichen ist, dass man von Zuhause etwa 90 Minuten dafür braucht. Und hier lassen sich auch beachtliche Leistungsunterschiede zwischen den Kindern feststellen. Wir haben auch einen Durchschnitt der Noten bei der Landesbewertung vorliegen und der Anteil der Schüler, die unter der Mindestnote 5 abgeschlossen haben, ist in ländlichen Gebieten dreimal so hoch als in der Stadt. Der Anteil der Leistungen über Note acht, was etwa einer Zwei in Deutschland entspricht, ist zwanzig Mal so hoch in der Stadt.“
Mit ihrem Programm Ich will in die Neunte“ will die Stiftung World Vision Schüler zur Fortsetzung ihrer Ausbildung ermutigen. Das Programm läuft bereits seit zehn Jahren, und in diesem Zeitraum haben gut 1300 Schüler jeweils ein monatliches Stipendium von einem Sponsor erhalten, um die Schule nicht abzubrechen. Ein weiteres Programm heißt in freier Übersetzung Brot und Morgenrot“ — dieses bietet Grundschülern eine warme Mahlzeit und Betreuung bei den Hausaufgaben.
Darüber hinaus gibt es in ländlichen Gebieten nicht genügend Lehrkräfte, viele Lehrer müssen pendeln. Und außerdem fällt ein großes Gefälle zwischen Land und Stadt auf, wenn es um Qualifikationen der Lehrer geht. Promovierte oder erfahrene Lehrkräfte mit Lehramtsdiplom ersten Grades arbeiten vor allem in städtischen Schulen, während auf dem Lande vorwiegend Referendare und unerfahrene Lehrer unterrichten. Auf der Suche nach einem allgemeinen Lagebild der Lehrkräfte in ländlichen Gebieten unterhielten wir uns mit Ema Barbă, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit beim Programm Teach for Romania“.
Statistisch werden 96% der Kinder, die auf dem Land zur Welt kommen, nie ein Hochschulstudium absolvieren. Bei den Roma-Kindern sind es sogar 99%. Gleichzeitig sind die Humanressourcen begrenzt, ich meine damit die Anzahl der Lehrkräfte in ländlichen Gebieten. Die Arbeitsplätze dort sind bei den Lehrkräften nicht besonders begehrt. Deshalb finden wir, dass es auch in dieser Hinsicht viele Lücken zu füllen gilt. Es müssen die Stellen in den ländlichen Schulen besetzt werden, so dass möglichst viele Kinder Zugang zu einer hochwertigen Ausbildung bekommen.“
Um dieses Ziel zu erreichen, bietet das Programm Teach for Romania“, das Teil des internationalen Netzwerks Teach for All“ ist, mehrere Maßnahmen an. Dadurch erhofft man sich, professionelle Lehrkräfte für die Schulen auf dem Land anzuwerben und zu integrieren. Die Vorauswahl und das spätere Programm hätten gezeigt, dass es recht viele Interessenten gibt, so Ema Barbă.
Wir haben momentan 66 Lehrkräfte in unserem Programm. Zwei Generationen von Absolventen waren zwei Jahre lang an den Maßnahmen des Programms beteiligt und sind heute auf diversen Ebenen der Zivilgesellschaft tätig. Derzeit sind wir in über 70 Schulen in 12 Landkreisen tätig. Im vergangenen Jahr haben sich mehr als 1000 Personen für eine Stelle im Lehramt von Teach for Romania beworben. Wir waren erfreut, zu sehen, dass so viele Menschen, die in vielen Bereichen arbeiten könnten, entschieden haben, im öffentlichen Bildungssystem zu unterrichten, und vor allem in benachteiligten Regionen.“
Das Programm umfasst vier Etappen, in den ersten zwei geht es um die Lehrerausbildung. Die dritte Etappe ist der eigentliche Unterricht über einen Zeitraum von zwei Jahren. Die letzte Etappe beginnt am Ende der zweijährigen Periode, wenn die Teach for Romania“–Lehrer die Möglichkeit haben, ihre Tätigkeit im Lehramt fortzusetzen oder in verwandte Arbeitsbereiche zu wechseln, die die Bildungsreform mitunterstützen.