Arbeitsmarkt: Kündigungswelle mischt Arbeitsverhältnisse auf
Das Jahr 2021 hat – mitten in der Pandemie – ein ungewöhnliches wie unerwartetes Phänomen auf den Arbeitsmarkt gebracht: die sogenannte Große Kündigungswelle“.
Christine Leșcu, 20.04.2022, 14:39
Die ursprünglich in den USA auftretende Entwicklung wurde dort als Great Resignation“, Big Quit“ oder Great Reshuffle“ bezeichnet und gilt nun als globale Erscheinung. Mit einer unlängst durchgeführten Umfrage wurde diese Entwicklung auch in Rumänien belegt. Die Einzelheiten kennt Raluca Dumitra, Kommunikationsbeauftragte einer Online-Plattform für Job-Vermittlung:
Arbeitssuchende sind immer weniger kompromissbereit. Anfang des Jahres haben wir eine Umfrage unter Angestellten auf der Suche nach einem neuen Job durchgeführt, und das Ergebnis war überraschend: 21 % der Angestellten würden ihren Job quittieren, selbst wenn sie keinen Plan B parat haben. Dies sollte Arbeitgeber aufhorchen lassen, umso mehr die pandemiebedingten Beschränkungen im öffentlichen Leben seit dem 9. März aufgehoben wurden. Ich lege das Ergebnis der Umfrage folgendermaßen aus: Die Arbeitgeber wünschen sich, dass immer mehr Angestellte zur Büroarbeit zurückkehren, während die Arbeitnehmer die gewonnene Flexibilität beibehalten wollen. Ich denke, dieser Anspruch auf Flexibilität wird konstant bleiben, und Arbeitgeber wären gut beraten, dem Rechnung zu tragen, denn ein zu starkes Beharren auf Büroarbeit könnte nach hinten losgehen und so manche Arbeitnehmer zum Kündigen bewegen. Hinzu kommt, dass viele rumänische Arbeitnehmer extrem optimistisch hinsichtlich ihrer Zukunft sind — rund 75 % der Befragten glauben, dass sie einen neuen Job in weniger als drei Monaten finden könnten. Und das korreliert mit den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt — in den meisten Wirtschaftsbranchen und Industriezweigen gibt es ein großes Defizit an qualifizierter Arbeitskraft. Was letztendlich tatsächlich heißt, dass hochqualifizierte Menschen zurzeit in weniger als drei Monaten einen besseren Arbeitsplatz finden könnten.“
Petru Păcuraru, Geschäftsführer einer Firma, die in Human-Resources-Training spezialisiert ist, bestätigt diesen Trend und meint, auch die Ursachen zu kennen:
Ein Grund für diese Entwicklung scheint auch die Tatsache zu sein, dass das Jahr 2020 viele Ungewissheiten und dadurch auch Zögern mit sich brachte. Die Arbeitsmigration war gleich Null, Kündigungen und Jobwechsel waren kaum vorhanden, so dass die neue Dynamik ab 2021 eine Kompensation für die Stagnation im Jahr 2020 brachte. Ein weiterer Grund für diesen Wandel ist auch die Rückkehr zur Büroarbeit, die viele Unternehmen vorschreiben. Und ein Teil der Angestellten will die gewonnenen Vorteile der Arbeit im Homeoffice nicht einfach so einbüßen — Flexibilität und die Möglichkeit zur Heimarbeit sind die neuen Kriterien für einen guten Job geworden. Und ich würde auch noch einen dritten Grund für diesen Trend anführen. In Krisenzeiten sind einige Menschen auch zunehmend risikobereit. Das heißt, sie setzen nicht mehr allein auf den Kompromiss eines sicheren Jobs, sondern finden auch den Mut, etwas Wichtigerem in ihrem Leben Vorrang zu geben.“
Der Human-Resources-Experte Petru Păcuraru relativiert zugleich seine Auslegungen und gibt zu, dass kündigungswillige Arbeitnehmer eher zu den Privilegierten oberhalb des Durchschnitts gehören, die einen relativ gesicherten finanziellen und beruflichen Status genießen:
Wenn wir uns die Alterskohorten oder die Einkommensklassen anschauen, sind es sicherlich eher die Arbeitnehmer im Alter von über 30 oder 35 Jahren, zudem mit einer überdurchschnittlichen Ausbildung, die den Schritt ins Ungewisse wagen. Denn eine Kündigung bringt nicht immer gleich einen neuen und besseren Job. Und ich würde hier als Beispiel Angestellte nennen, die in besonders dynamischen und stressbeladenen Bereichen arbeiten, die oft zum Burnout führen. Und in solchen Fällen quittiert man seinen Job nicht allein aus dem Wunsch heraus, einen neuen und besseren Arbeitsplatz zu finden, sondern schlicht aus Überlebensinstinkt.“
Die PR-Expertin Raluca Dimitra bestätigt diese Ansicht. Die planlose Kündigung sei nicht so sehr ein unüberlegter Schritt oder Ausdruck eines überbordenden Optimismus — die aktuellen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt würden vielmehr den Mutigen entgegenkommen:
Schauen wir uns allein die Zahlen für den letzten Monat an: Auf unserer Plattform haben wir über 38.000 neue Stellenausschreibungen — und das gerade nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine! Im Vergleich zum vorangegangenen Monat entspricht das einer Zunahme um 13 %, also selbst in schwierigen Zeiten schauen sich die Menschen nach neuen Jobs um. Wir haben monatlich rund 900.000 Anwärter auf unserer Plattform, was bedeutet, dass immer noch viele Menschen kündigen, um einen besseren Arbeitsplatz zu finden. Im Vergleich zum Vorjahr sind die absoluten Zahlen allerdings etwas im Sinken begriffen, doch das war durchaus zu erwarten, denn 2021 war hinsichtlich der Arbeitssuche ein rekordverdächtiges Jahr. Sicherlich hatten damals die Arbeitgeber noch die Vormachtstellung, doch 8 von 10 Angestellten sagten gleichzeitig, dass ihre oberste Priorität ein Jobwechsel noch im Laufe des Jahres sei. Das taten viele auch, und man sieht auch dieses Jahr, dass die Suche nach neuen Jobs immer noch voll im Trend ist.“
Die Nachfrage nach neuen Angestellten variiert in den unterschiedlichen Wirtschaftszweigen und Berufsbranchen. Besonders gefragt sind Arbeitnehmer in Bereichen wie Einzelhandel, Verkehrswesen, Hotelgewerbe und Gastronomie sowie in Call Centern und in der IT-Branche. Die Jobvermittlungsexpertin Raluca Dumitra ist der Auffassung, dass die Dynamik auf dem rumänischen Arbeitsmarkt weiterhin lebhaft bleibt — trotz der weltweiten Pandemie und des Kriegs in der benachbarten Ukraine:
Wir können uns sicherlich nicht mit den USA vergleichen, es kann daher nicht die Rede von einer Great Resignation, also einer großen Kündigungswelle sein — dafür haben wir hier eine unterschiedliche Kultur und andere Mentalitäten. Trotzdem ist es auch hierzulande nicht von der Hand zu weisen: Immer mehr Arbeitnehmer in Rumänien werden sich dessen bewusst, dass es selbst in Pandemie- oder Kriegszeiten recht viele Jobs gibt. Das trägt wiederum zu mehr Selbstbewusstsein bei, auch wenn man nicht immer einen Plan B hat. Der Arbeitsmarkt wird dynamisch bleiben, und für die nahe Zukunft prognostiziere ich eine Zunahme der Kündigungen.“