Arbeitsmarkt: Jugendarbeitslosigkeit auch unter Hochschulabsolventen verbreitet
Infolge der Wirtschaftskrise sind die Arbeitsmarktchancen für junge Menschen in Rumänien schlecht. Auch Hochschulabsolventen haben es schwer, einen Arbeitsplatz zu finden.
Christine Leșcu, 25.11.2015, 17:55
Ein negativer Effekt infolge der Wirtschaftskrise ist die Jugendarbeitslosigkeit. In vielen EU-Mitgliedsstaaten sind die Chancen der jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt ziemlich schlecht, und ein Hochschulabschluss ist keine Garantie gegen Arbeitslosigkeit. Laut einem Bericht des Statistischen Amtes der Europäischen Union (Eurostat) können mehr als ein Drittel der rumänischen Hochschulabsolventen zwischen 20 und 34 Jahren in den ersten drei Jahren nach dem Studienabschluss keinen Arbeitsplatz finden. Adelina Mihai ist Journalistin bei der rumänischen Fachzeitung Ziarul Financiar. Sie untersuchte die Eurostat-Statistiken, und machte einen Vergleich zwischen der Lage der frischen Hochschulabsolventen in Rumänien und in anderen EU-Ländern. Adelina Mihai:
Rumänien befindet sich gegen Ende der Liste, ist aber nicht das Schlusslicht der Europäischen Union, wie es bei anderen Statistiken der Fall war. In Bulgarien, Spanien, Kroatien, Italien und Griechenland haben es die jungen Hochschulabsolventen noch schwieriger — diese EU-Länder wurden von der Wirtschaftskrise hart getroffen.“
Die Jugendarbeitslosigkeit hat viele Ursachen, die nach und nach ans Licht kommen. Häufig haben die Arbeitgeber Erwartungen, die die jungen Menschen nicht erfüllen können. Camelia Slivneanu ist Human Resources Managerin bei einem Privatunternehmen und sagt uns, wie ein Hochschulabsolvent sich bei einem Vorstellungsgespräch präsentieren sollte:
Erstens beobachten wir die Gesamteinstellung des Kandidaten, von seiner Kleidung bis zu seinen Selbstkenntnis-Fähigkeiten. Sehr oft haben wir festgestellt, dass junge Menschen nicht wissen, wie sie ihre Fähigkeiten oder Pluspunkte ausnutzen sollten, mit denen sie die fehlende Berufserfahrung ersetzen könnten. Ferner sind wir daran interessiert, ob die jungen Bewerber bereit sind, ausreichend Geduld zum Erlernen eines Berufes aufzubringen.“
Nach dem Studienabschluss haben die jungen Absolventen meistens kein klares Berufsziel. Die Journalistin Adelina Mihai dazu:
Die Arbeitgeber fordern Kurse zur Berufs- und Karriereberatung für Schüler von der 8. bis zur 12. Klasse, so dass die Jugendlichen sich Bereiche aussuchen, in denen sie nach dem Schulabschluss einen sicheren Arbeitsplatz finden können. In diesem Zusammenhang kritisieren die Arbeitgeber die Neigung der Schüler, sich Hochschulstudiengänge wie Europastudien oder Europawissenschaften auszusuchen, obwohl der Arbeitsmarkt für Fremdsprachenabsolventen oder IT-Fachleute mehr zu bieten hat. Auf dem Lebenslauf eines jungen Kandidaten ohne Berufserfahrung ist das Volontariat ein Pluspunkt und wird von Arbeitgebern sehr gern gesehen. Bei den Kursen zur Berufs- und Karriereberatung organisieren Human-Resource-Experten Treffen mit Schülern der 8. und 12. Klasse, die kurz vor wichtigen Entscheidungen stehen. Die Schüler der 8. Klasse müssen sich für ein Gymnasium im Bereich Geisteswissenschaften oder Naturwissenschaften entscheiden, und die 12.-Klässler müssen sich im Klaren sein, welches Hochschulstudium zu ihren im Gymnasium entwickelten beruflichen Fähigkeiten und Interessen am besten passt.“
Trotz der Minuspunkte, die während der Vorstellungsgespräche festgestellt werden, sind die Arbeitgeber nicht immer mit den Eurostat-Statistiken einverstanden. Dazu die Human-Resources-Managerin Camelia Slivneanu:
Von 6 bis 7 Hochschulabsolventen, die wir als mögliche Kandidaten für eine Arbeitsstelle in Betracht ziehen, werden mindestens 3 von uns eingestellt. Das bedeutet, dass etwa 50% der jungen Menschen, die sich für eine Stelle bei unserer Firma bewerben, von uns eingestellt werden. Soweit ich von anderen Kollegen im Human-Resources-Management informiert bin, haben auch andere Unternehmen Hochschulabsolventen oder Studenten als Kandidaten, und das Prozent der Bewerber, die schließlich eine Arbeitsstelle bekommen, erreicht sogar 65%. Wir bleiben in enger Verbindung mit den Hochschulen, wir gehen regelmäßig hin, um unser Unternehmen zu präsentieren. Infolge der Gespräche haben wir festgestellt, dass, wenn es um Studenten im letzten Studienjahr oder um Masteranden geht, die Prozentzahl der Einstellungen bis auf 70% steigt.“
Um die Chancen der jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt korrekt darzustellen, müssen aber noch die Tatsache erwähnt werden, dass die wirtschaftliche Aktivität Rumäniens vor allem in Bukarest und in den Großstädten stattfindet. Camelia Slivneanu:
Es besteht ein großer Unterschied zwischen den Einstellungschancen der Kandidaten aus den Großstädten im Vergleich zu denen aus ländlichen Regionen. Immer mehr Absolventen, die auf dem Land wohnen, ziehen in die Großstädte um. Da müssen wir auch zugeben, dass Bukarest für die meisten Absolventen besonders interessant ist. Auch der Westen Rumäniens ist sehr attraktiv, weil immer mehr ausländische Investoren dorthin gekommen sind und vor allem Callcenter (Kundenberatungszentren) eröffnet haben.“
Die Eurostat-Statistik bezieht sich auf das Einstellen von jungen Hochschulabsolventen auf Arbeitsstellen, die ihrem Hochschulabschluss entsprechen. Das Fehlen solcher Arbeitsstellen führt zu Unzufriedenheit bei den Kandidaten, die auch über den sog. Teufelskreis“ der Hochschulabsolventen klagen. Wenn es um frischgebackene Hochschulabsolventen geht, bemängeln die Arbeitgeber das Fehlen der Berufserfahrung. Offensichtlich kann man aber als Student an der Uni die erwünschte Berufserfahrung nicht sammeln; diese gewinnt man nur durch praktische Tätigkeit auf einer Arbeitsstelle, die aber ein junger Kandidat eben wegen fehlender Berufserfahrung nicht bekommen kann. Die Existenz dieses Teufelskreises wird auch von Human-Resources-Experten bestätigt. Camelia Slivneanu dazu:
Die Schuld für diesen Teufelskreis teilen sich die Arbeitgeber bzw. die Human-Resources-Manager einerseits und die Bewerber, die möglichen Kandidaten andererseits. Ein Human-Resources-Manager sollte einen Bewerber ohne jegliche Berufserfahrung nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen, bei dem es sich um eine Arbeitsstelle mit Berufserfahrung handelt. Und wiederum sollte sich ein frischer Hochschulabsolvent nicht um eine Arbeitsstelle bewerben, wenn Berufserfahrung als Einstellungsbedingung gilt. Wenn man diese Faktoren nicht berücksichtigt, werden wir uns im Teufelskreis drehen und weiterhin zwei frustrierte Parteien haben, nämlich die genervten Arbeitgeber und die jungen Absolventen, die mit der Zeit ihre Motivation verlieren könnten.“