Arbeitsmarkt in Schockstarre: Entmutigte Arbeitskräfte haben es besonders schwer
Die Pandemie verursacht eine breite Palette an negativen Folgen – wirtschaftliche Schäden und psychische Traumata sind dabei die am häufigsten genannten. Doch immer mehr wird über das Phänomen der sogenannten discouraged workers“ berichtet.
Christine Leșcu, 29.09.2021, 18:20
Auf gut deutsch werden discouraged workers“ als entmutigte Arbeitnehmer“ oder demotivierte Erwerbspersonen“ bezeichnet. Entmutigte Arbeitskräfte sind im Prinzip Arbeitslose, die auch keine Arbeit suchen, weil sie bei den Arbeitsämtern gar nicht registriert sind, und in den Statistiken werden sie auch als getrennte Kategorie im Vergleich zu den herkömmlichen Erwerbslosen erfasst, weiß der Wirtschaftsanalyst Cătălin Ghinăraru:
Ein klassischer Arbeitsloser ist nicht entmutigt. Er hat zwar keine Arbeit, sucht jedoch nach einer Anstellung, während ein entmutigter Arbeitnehmer sich gar nicht mehr nach einem Broterwerb umschaut, weil die betroffene Person der Auffassung ist, dass es für sie unter den derzeitigen Umständen überhaupt keine Arbeit mehr gibt oder dass der Arbeitsmarkt keine Chance mehr bietet, seine Erwartungen zu erfüllen. Diese Pandemie hat solche negative Phänomene verstärkt. Am Anfang war uns nicht klar, wie weit das gehen kann; alle glaubten, wir hätten es mit einem zeitlich begrenzten Schock auf dem Arbeitsmarkt zu tun. Doch das Jahr 2021 geht nun bald zu Ende, und die Situation ist alles andere als rosig. Arbeitsplätze in bestimmten Bereichen sind einfach von der Bildfläche verschwunden, viele Unternehmer mussten dichtmachen und konnten sich nicht mehr erholen — gerade in Bereichen, wo viele Arbeitskräfte benötigt wurden, wenn auch nicht hochqualifizierte. Es geht in erster Linie um den Einzelhandel und um den HoReCa-Bereich, also Hotels, Gastronomie und Cafés oder Catering, aber auch im Transportwesen gibt es erhebliche Schwierigkeiten. In diesen Bereichen sind viele Arbeitsplätze geschlossen worden, und so entstehen entmutigte Arbeitskräfte, die wissen, dass es für sie keine Arbeitsstellen mehr gibt.“
Dem Rumänischen Statistikinstitut (INS) zufolge hat sich die Zahl der entmutigten Erwerbspersonen allein in den letzten anderthalb Jahren beinahe verfünffacht — von ca. 30.000 im ersten Trimester 2020 auf heute 144.000. Erschwerend kommt hinzu, dass das Durchschnittsalter dieser Menschen zwischen 35 und 49 Jahren liegt — es ist also genau das Alterskontingent, das unter normalen Umständen im vollen Umfang beschäftigt sein müsste.
Statistiken erheben jedoch nur Zahlen, die interpretationssbedürftig sind, denn die jeweiligen Situationen und Hintergründe können recht unterschiedlich und einzigartig sein, sagt der Humanressourcen-Experte Petru Păcuraru:
Es gibt eine Fülle von Erklärungen für die Missstände auf dem Arbeitsmarkt. Einerseits haben wir es mit den Erwartungen der Arbeitgeber zu tun, die sich den Standard-Angestellten wünschen — also jung und mit bereits erworbenen Kompetenzen — und keine Geduld mehr haben mit älteren Arbeitnehmern, die möglicherweise beruflich umgeschult oder erneut angelernt werden müssen. Gerade diese Fixierung der Arbeitnehmer auf bestimmte Patterns führt zur Entmutigung und schafft diese neue Schicht der langzeitigen und hoffnungslosen Arbeitslosen. Andererseits gibt es auch viele liberale Berufe, wo man nicht unbedingt in einer Firma oder einem Unternehmen fest angestellt sein muss. Und es gibt natürlich auch die Grauzone mit Teilzeitjobs und freiberuflichen Beschäftigungen, also Angestellte und Freelancer zugleich. Ich kenne aber auch Fälle von ehemaligen Arbeitnehmern, die sich keine feste Anstellung mehr wünschen und daher entmutigt und demotiviert sind. Sie fühlen sich wie Ausgestoßene, und ich kann Ihnen bestätigen, dass diese Bevölkerungsschicht im Wachsen begriffen ist.“
Hinzu kommen Menschen, die lange Zeit in Unternehmen oder Institutionen mit einer rigiden Organisationskultur gearbeitet haben und einfach keine Lust mehr haben, in Jobs weiterzumachen, die den Arbeitnehmer ständig unter Druck setzen. Sie bleiben in einer Art Starre hängen und finden oft auch nicht die Kraft, eine berufliche Umschulung zu machen. Generell ist die von der Pandemie verursachte wirtschaftliche und soziale Unsicherheit nicht gerade ermutigend für einen radikalen Berufswechsel, sagt der Wirtschaftsanalyst Cătălin Ghinăraru:
Wenn man entmutigt ist, sucht man auch gar nicht mehr nach einer Arbeit, da man oft weiß, dass man keinen angemessenen Job finden kann, weil man auch die passende Qualifikation nicht mehr hat. Und Umschulungen haben ihre Grenzen, man kann nicht aufs Geratewohl irgendwelche Umschulungen machen, wenn man nicht weiß, wohin sich der Markt bewegt und was morgen gefragt ist. Die Entwicklungen sind recht ungewiss, und wenn die Zukunft unklar ist, wissen auch viele Arbeitnehmer nicht, woran sie sich orientieren sollen und welches Lebenskonzept am besten passt.“
Doch wie sollte der Staat diesen Menschen unter die Arme greifen? Experten in Humanressourcen wie Petru Păcuraru berufen sich auf die Erfahrungen in anderen Ländern, denn das Phänomen der entmutigten Arbeitnehmer ist durchaus ein globales:
In mehreren Ländern wurden diesbezüglich Unterstützungseinrichtungen gegründet, da gibt es eine Hotline und soziale Hilfemaßnahmen für entmutigte Arbeitnehmer. Ich denke, man sollte dieses Vorbild auch in Rumänien übernehmen, in Hilfezentren dieser Art würden Menschen in ähnlichen Situationen aufeinander zukommen und sich gegenseitig Mut einflößen, um kleine Schritte in die gewünschte Richtung zu unternehmen. Leider gibt es da momentan nichts, diese Menschen werden einfach sich selbst überlassen.“
Doch Hilfeleistung, sei es auch nur emotionale oder soziale Unterstützung, ist bei weitem nicht ausreichend; was man brauche, sei eine langfristige Wirtschaftsstrategie, meint der Ökonom Cătălin Ghinăraru:
Zurzeit ist es schwierig, zu eruieren, was getan werden muss. Ganz klar vor Augen haben müssen wir die Tatsache, dass bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten einfach verschwinden werden. Niemand soll glauben, dass alles wie früher wird. Die Welt hat sich verändert und wird sich auch weiterhin verändern. Der Schock der Pandemie hat einen Systemwechsel herbeigeführt. Um Arbeitskräfte weiterbilden oder umschulen zu können, müssen wir den Veränderungen Rechnung tragen und uns dessen bewusst sein, dass viele wachstumsträchtige Branchen durch die Einschränkungen und Lockdowns ziemlich beeinträchtigt sind. Wie wird die Welt nach der Pandemie aussehen? Das wissen wir noch nicht, und es ist davon auszugehen, dass das Problem der entmutigten Erwerbspersonen noch für einige Zeit bestehen wird.“
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