10 Jahre nach EU-Beitritt: Rumänen immer noch überdurchschnittlich europaenthusiastisch
Der Enthusiasmus war beim EU-Beitritt in allen Ländern, die ab 2004 aufgenommen wurden, groß. Wie sieht es heute, zehn Jahre danach aus?
Christine Leșcu, 04.01.2017, 17:30
Wir haben das Jahr 2016 abgeschlossen, ein schwieriges Jahr, in dem die Union durch Terroranschläge aber auch durch die Ankündigung des Austritts Großbritanniens aus der Gemeinschaft erschüttert wurde. Laut einem jungen Eurobarometer vom Typ Parlameter“, der auf Antrag des Europaparlaments erarbeitet wurde, glauben 53% der Rumänen, dass die Zugehörigkeit zur Europäischen Union positiv für ihr Land ist. Es ist ein Anteil, der mit dem europäischen Durchschnitt übereinstimmt. Für Rumänien stellt das aber eine Senkung dar, vor dem Hintergrund, dass in Rumänien dieser Wert immer viel höher gelegen ist: bei ungefähr 70%-80%, bereits vor dem Beitritt. Das Ergebnis kommt zu einer Zeit, in der alle Europäer besorgt sind, und somit stellt es keine Überraschung dar, meint Bogdan Voicu, Soziologe beim Institut zur Erforschung der Lebensqualität im Rahmen der Rumänischen Akademie.
Es ist ein Anteil, der sich in die globale Senkungstendenz des Vertrauens in die übernationalen Institutionen einreiht. Dann müssen wir auch die Haltung Rumäniens in Betracht ziehen, die ein bisschen spezifisch ist. Rumänien ist der EU mit einem sehr hohen Vertrauenskapital beigetreten, mit dem großen Wunsch, dazu zu gehören, denn somit war die Zugehörigkeit zur zivilisierten Welt anerkannt. Wir versuchen einerseits, unsere Bedeutung als Rumänen zu definieren. Andererseits möchten wir als zivilisierte Weltbürger anerkannt werden.“
Während der zehn Jahre nach dem Beitritt hatten die Rumänen die Gelegenheit, mit den EU-Institutionen besser in Kontakt zu treten. Somit verstanden sie, dass deren Einfluss begrenzt ist und dass nach dem EU-Beitritt Rumänien zu keinem Schlaraffenland wird, wie sich die Euroabgeordnete Renate Weber, Mitglied des Ausschusses zur Beschäftigung der Arbeitskraft und Sozialfragen, ausgedrückt hat.
Ich würde aus den Einflussfaktoren auf die Antworten der Bürger die Debatten, die in den einzelnen Ländern stattgefunden haben, nicht ausschließen. Diese Umfrage tritt in einem Augenblick auf, in dem in Rumänien es recht viele Stimmen gibt, die der EU Vorwürfe machen. Diese beziehen sich auf die angewandten Richtlinien und darauf, dass Rumänien den Eindruck hat, es werde außerhalb des Entscheidungsfindungsprozesses gehalten. Die Nichtaufnahme Rumäniens in den Schengen-Raum beeinflusste ihrerseits das Gefühl des europäisch gesinnten Bürgers. Darüber hinaus betrachten die meisten Menschen Freizügigkeit als ein wichtiges Element und als klaren Faktor der europäischen Identität.“
Da fast jeder Rumäne Verwandte oder Freunde hat, die in anderen Mitgliedsstaaten arbeiten, ist die Mobilität der Arbeitskraft ein wertvolles Gut geworden. Wenn sie über die Vorteile befragt werden, die der Beitritt mit sich gebracht hat, antworten 44% der Rumänen Freizügigkeit“. Allgemein scheinen sie mehr als andere Europäer zu glauben, dass der EU-Beitritt ihrem Land Vorteile verschafft hat: Durchschnittlich meinen 60% der Europäer, dass die EU-Zugehörigkeit ihrem Land Vorteile gebracht hat, verglichen mit den Rumänen, die das in einem Anteil von 64% glauben. Grundsätzlich glauben 54% der Europäer, dass die EU sich in die falsche Richtung entwickle. Nur 25% sind der Meinung, dass die eingeschlagene Richtung gut ist. Auch aus diesem Gesichtspunkt gehören die Rumänen zu den optimistischen Europäern hinsichtlich der Perspektiven der EU. Denn 42% von ihnen denken, dass der Weg der Europäischen Union der richtige ist. Laut dem Soziologen Bogdan Voicu deuten diese Antworten weiterhin große Erwartungen der Rumänen von den Institutionen der EU an, besonders im Vergleich zu den nationalen Institutionen. Bogdan Voicu:
Diejenigen, die empfinden, dass sie höhere Kosten haben, werden eher skeptisch. Wenn wir uns allerdings auf die Lage Rumäniens beziehen, sehen wir ein Land, das seit einigen Jahren ein Wirtschaftswachstum verzeichnet, das sich auch in dem Lebensstandard widerspiegelt. Wenn man Wachstum verzeichnet, bewertet man die Entwicklungen in der Gesellschaft optimistischer. Darüber hinaus tendieren wir immer noch dazu, die anderen Europäer als weniger korrupt und besser organisiert als wir zu sehen. Folglich empfinden wir einen antizipierenden Optimismus, was heißt, irgendwann wird es auch uns gut gehen.“
Die großen Erwartungen den europäischen Anstalten gegenüber verglichen mit den Landesanstalten widerspiegeln sich auch in den Ergebnissen des Eurobarometers bezüglich der Gemeinschaftslegislative: 38% der Rumänen vertrauen dem Europaparlament, viel mehr als der europäische Durchschnitt von 25%. Außerdem glauben über 35% von ihnen, dass man ihre Stimme auf europäischer Ebene besser als auf nationaler Ebene hört. Die Europaabgeordnete Renate Weber kommentiert:
Es würde mich freuen, sagen zu können, dass wir diese Vertrauenswerte deshalb haben, weil die Leute mehr schätzen, was wir hier im Europäischen Parlament tun. Ich werde aber objektiv sein und sagen, dass aus meiner Sicht der Vertrauensmangel der Rumänen im Verhältnis zum nationalen Parlament so gravierend ist, dass sie auf andere Anstalten Bezug nehmen möchten. Unterdessen erhalten wir im Europäischen Parlament eine Menge Nachrichten per E-Mail oder per Post. Viele von uns Europaabgeordneten beantworten diese Fragen. Das ist für die rumänischen Bürger, die nicht einmal von den nationalen Institutionen Antworten erhalten, die verpflichtet sind, ihnen eine Antwort zu liefern, der Beweis einer normalen Verhaltensweise.“
Schlussfolgernd erfreut sich die EU laut dieser Parlameter-Umfrage weiterhin der Unterstützung ihrer Bürger, auch wenn der Enthusiasmus etwas zurückgegangen ist. Darüber hinaus vertraut laut dem Standard-Eurobarometer vom Herbst die Mehrheit der Rumänen der Europäischen Union (52% im Vergleich zum europäischen Durchschnitt von 36%). Allerdings glauben 66% der Europäer und 79% der Rumänen, dass die EU ein Ort der Stabilität in einer unruhigen Welt ist.