UTOPICA: interaktives Ferienlager für benachteiligte Kinder
Benachteiligten Kindern, die in armen Randvierteln in Bukarest leben, wurde im Sommer die Gelegenheit geboten, an einem Ferienlager in der Stadt teilzunehmen. Dadurch kamen sie der Kunst näher, sie besuchten Museen und sahen Künstlern bei ihrer Arbeit zu.
Ana-Maria Cononovici, 14.11.2019, 17:30
Ursprünglich sollte ein Ferienlager für benachteiligte Kinder in Bukarest organisiert werden. Das war der Hintergedanke des Vorhabens. Die Kinder spielten miteinander, entdeckten verschiedene Museen, lernten Künstler kennen und kamen somit der Kunst näher. Sie schafften die perfekte Welt“. Denn das Projekt ging in der Tat von folgender Frage aus: Wie würde die perfekte Welt aussehen?“. Die Kinder nahmen die Herausforderung an und gestalteten die von ihnen vorgestellte ideale Welt. Ihre Kunstwerke und Ideen fungierten als Gerüst zum Aufbau einer interaktiven Ausstellung. Das Projekt UTOPICA #prinartă (#durch-die-Kunst) wurde von der Organisation Da’DeCe ins Leben gerufen. Ein Teil der Finanzierung kam aus öffentlicher Hand — das Projekt wurde nämlich durch die Behörde für den Nationalen Kulturfonds gefördert. Die Initiative startete mit einem städtischen Ferienlager, das vom 8. bis zum 12. Juli auf dem Anwesen Golescu Grant stattfand. Am Ferienlager nahmen 15 Kinder teil, gefördert durch das Bildungsprogramm Integriert durch Bildung für mehr Vielfalt“.
Iulia Iordan, Mitarbeiterin der gemeinnützigen Organisation Da’DeCe, erzählte uns über die Entwicklung des Projekts und wie es dazu kam, eine Ausstellung zu organisieren:
Unser Projekt heißt »Utopica prin artă« (Utopie durch Kunst). Es versteht sich als erster Schritt in einer längeren Kette von experimentalen Projekten, die das Interesse der Kinder für die Änderung der Gesellschaft, in der sie leben, zur Probe stellen sollen. Unsere Organisation entwirft Kulturprojekte für Kinder. Der Austragungsort ist in der Regel ein Museum. Dieses Projekt stellt allerdings eine Premiere dar. Im vergangenen Sommer organisierten wir ein urbanes Ferienlager für Kinder auf dem Golescu-Grant Anwesen. Dort kann derzeit unsere Ausstellung besichtigt werden. Die teilnehmenden Kinder stammten aus kulturell benachteiligten Verhältnissen, sie kamen aus dem Viertel Giuleşti-Sârbi. Wir arbeiteten mit ihnen zusammen mit weiteren Erziehern und Künstlern. Wir wollten nämlich ihr Interesse für Kultur, für künstlerische Räume und für eine ideale Welt prüfen. Die Resultate wurden in interaktive Kunstinstallationen innerhalb der Ausstellung übersetzt. Wie gesagt, es handelt sich um eine interaktive Ausstellung, also dürfen sie keine im klassischen Stil ausgestellten Werke erwarten. Es handelt sich vielmehr um eine Erfahrung, eine Route, auf der die Besucher den Hinweisen folgen. Um die Ausstellung zu besichtigen, muss eine erste Bedingung erfüllt werden — die Besucher reichen eine Beschwerde ein, die sie bis zum Schluss auch lösen müssen. Die Ausstellung will ein Raum des Nachdenkens sein — die Besucher werden angeregt, über die Welt nachzudenken, in der sie leben, an die Probleme und Schwierigkeiten zu denken, denen sie begegnen. Sie werden aufgefordert, diese mit Hilfe der Kunst umzugestalten, in dem Raum, den wir extra dafür konzipiert haben.“
Wir fragten Iulia Iordan, worüber sich die Kinder beklagt hätten:
Ihre Beschwerden betreffen hauptsächlich die Schule. Doch viele weisen auch auf die Umweltverschmutzung, auf die Abfälle hin. Sie beobachten mit großer Aufmerksamkeit die Welt, in der sie leben. Aufmerksamer als erwartet. Und sie schlagen auch interessante Lösungen vor. Sie haben einen progressiven Ansatz — meinen, wir sollten Schritt für Schritt vorgehen. Sie haben eine realistische Perspektive, sind gut in der Realität verankert. Es gab auch Klagen im Hinblick auf die zwischenmenschlichen Beziehungen. Manche Kinder beklagten die vielen Lügen, andere den Mangel an Liebe oder die Tatsache, dass sie niemanden hätten, mit dem sie sprechen könnten. Der Inhalt der Klagen ist sehr vielfältig. Wichtig ist allerdings, dass die Ausstellung nicht ausschließlich für Kinder gedacht ist, sie wendet sich gleichermaßen auch an Erwachsene. Ich wurde gefragt, worin der Unterschied zwischen den von Kindern und den von Erwachsenen eingereichten Klagen bestünde. Anscheinend haben wir es mit sehr reifen Kindern zu tun, die sich ähnliche Fragen stellen wie die Erwachsenen.“
Iulia Iordan erklärte uns auch, welche Unterschiede sie feststellte zwischen den benachteiligten Kindern und denen, die aus der mittleren Klasse stammen:
Es gibt Unterschiede — insbesondere in Bezug auf ihre Lebenserfahrung. Die gesellschaftlich benachteiligten Kinder kamen viel weniger mit der Kultur in Kontakt. Sie neigen vielmehr zu Aktivitäten, die in der Straße ausgetragen werden, unter freiem Himmel. Oder sie bevorzugen sportliche Aktivitäten. Doch Kinder sind Kinder, egal woher sie stammen. Und unsere Rolle als Erzieher ist, sie auch für Kultur zu interessieren. Dafür wenden wir alle möglichen Methoden — auch experimentelle — an. Wir arbeiteten zum Beispiel mit einigen Kindern in unserem Zentrum. Sie hatten aber niemals ein Museum oder die Werkstatt eines Künstlers besucht. Das wollten wir ändern und darum haben wir auch das Sommerferienlager organisiert. Die Kinder hatten die Gelegenheit, Museen zu besichtigen. Darüber hinaus gingen wir auch in die Werkstatt des Malers Ştefan Câlţia. Die Kinder waren sehr beeindruckt, sie hatten viel Spaß. Sie öffneten sich, stellten viele Fragen. Es war ein wunderbare Erfahrung, sowohl für uns als Beobachter, wie auch für die Kinder.“
Damit das Projekt ein breiteres Publikum erreicht, soll die Ausstellung zu einer Wanderausstellung umgestaltet werden. Dazu Iulia Iordan:
Die Ausstellung hat ein kleines Format und das aus gutem Grund. Wir wollen sie nämlich an möglichst vielen Orten zeigen. Einschließlich in Schulen, wo ein freier Klassenraum zur Verfügung gestellt werden kann. Darüber hinaus hoffen wir, dass die Ausstellung und die zusammenhängenden Ergebnisse danach untersucht werden. Die Ausstellung soll zum Gegenstand einer Studie werden. Sie bietet nämlich zahlreiche Informationen, die wir von unseren Besuchern erhielten. Die Besucher sind sehr beschäftigt während des Besuchs. Zu Beginn und am Ende kümmern sie sich um die Klage. Es folgt ein Teil, in dem über das ideale Haus erzählt werden soll. Die Kinder haben einige sehr schöne Werke im Ferienlager zu diesem Punkt geschaffen. Es gibt auch einen Raum, in dem die Besucher irgendetwas hinterlassen, das für sie das Gefühl der Geborgenheit des Heims erweckt. Und es gibt auch noch eine interaktive Station, die »Schule« heißt. Hier sprechen miteinander zwei Figuren, Utopica und Plictisita (die Utopie und die Langeweile). Sie unterhalten sich über die Geschichte der Schule sowie über die Schwierigkeiten des Schulsystems.“
Eine Ausstellung für Groß und Klein — eigentlich für alle, die eine Änderung in der rumänischen Gesellschaft anregen möchten.