Storytelling-Festival in Bukarest: Freude am Erzählen für Jung und Alt
In Bukarest fand unlängst das erste internationale Storytelling-Festival statt. Sämtliche Workshops und Veranstaltungen verliefen unter dem Motto Wir alle sind Geschichten!“.
Ana-Maria Cononovici, 27.10.2016, 17:30
In Bukarest fand vor kurzem das erste internationale Storytelling-Festival statt. Sämtliche Workshops und Veranstaltungen verliefen unter dem Motto Wir alle sind Geschichten!“. Erzählkunst-Workshops, Konferenzen zum Thema Kunst, Geschichtenerzählen, Märchenabende gepaart mit weiteren erzählenden Künsten“ — von Musik bis hin zu Poesie — das alles konnten die Teilnehmer am Festival genießen. Dazu kamen noch die Geschichtenlesungen und Lektüreabende. Es lasen die Erzähler, die auch in Kinderkrankenhäusern freiwillige Arbeit leisten und den dort untergebrachten Kindern Geschichten vorlesen. Adriana Ene ist die Veranstalterin des Festivals. Sie ging von dem Gedanken aus, dass wir alle eine Geschichte verkörpern, die es wert ist, erzählt zu werden. Dazu Adriana Ene:
Es war eine sehr schöne Geschichte — das erste Erzählkunstfestival in Bukarest. Wir sind Geschichten. Jeder von uns verkörpert eine Geschichte. Eigentlich sind wir ein Buch voller Geschichten. Am ersten Storytelling-Festival beteiligten sich Erzähler aus allen Ecken der Welt. Sie kamen aus Südkorea, Großbritannien, Marokko, Georgien, der Türkei und Rumänien. Das Programm war vollgepackt mit Veranstaltungen.“
Adriana Ene kam auf den Gedanken, ein Festival dieser Art in Bukarest zu organisieren, nachdem sie letztes Jahr am vierten Stotytelling-Festival in Arad teilnahm. Es war eine beeindruckende Erfahrung, die sie mit den Bukarestern teilen wollte:
Letztes Jahr war ich die einzige Erzählerin aus Rumänien, die sich am Storytelling-Festival in Arad beteiligte. Am Erzählkunstfestival in Arad nahmen unter anderem Erzähler aus Hawaii, Portugal, Dänemark und Thailand teil. Die Stimmung war herrlich, die Begegnung beeindruckend. Ich dachte mir, eine solche Veranstaltung müsse unbedingt auch in Bukarest stattfinden. Ein Jahr später gelang es uns, ein Erzählkunstfestival auch in der rumänischen Hauptstadt zu veranstalten. Es war das erste Mal, allerdings war es ein großer Erfolg. Daher werden wir das Erzählkunstfestival auch nächstes Jahr organisieren. Eine vorläufige Liste mit Erzählern für das kommende Jahr steht schon bereit: Wir wollen gerne John Mukeny, aus Kenia, Claude Delsoll aus Frankreich, Eric Wolf aus England einladen. Jeff Meyer ist ein wunderbarer Erzähler, er wird aus Hawaii eintreffen. Auch Alicia Dongjoo Bang aus Südkorea wollen wir wieder einladen. Wie gesagt, die Vorbereitungen für die zweite Ausgabe des Erzählkunstfestivals sind schon in vollem Gange.“
Die erzählten Geschichten vermitteln immer eine Botschaft. Themen wie Liebe, Armut, Güte, Hoffnung, Glück, Mut, Trauer, Freude wurden von den Erzählern in Geschichtensammlungen zusammengebracht. Die von ihnen gesammelten Geschichten widerspiegeln die Weisheit unserer Vorfahren, so unsere Gesprächspartnerin:
Wenn wir den Kindern eine Geschichte erzählen, sind wir uns dessen bewusst, dass die Geschichte eine Botschaft in sich birgt — meistens geht es um den Kampf zwischen Gut und Böse, um mutige Taten oder Vertrauen. Die bei einem Storytelling-Festival erzählten Geschichten sind allerdings verschieden. Sie werden von Menschen erzählt, die aus unterschiedlichen Ecken der Welt kommen, die schwer oder sogar nie erreichbar sind. Es werden also besondere Geschichten erzählt. Die für Kinder erzählten Geschichten setzen immer eine Interaktion voraus. Es werden Lieder aufgespielt, die Kinder werden aufgefordert, mitzusingen. Sie werden aufgefordert, Rätsel zu entschlüsseln, sich zu den Märchenfiguren zu äußern oder die Handlung fortzusetzen. Die Geschichten verknüpfen oft Elemente der zu übertragenden Botschaft mit Elementen, die durch die Interaktion mi der Hörerschaft entstehen. Selbstverständlich werden manche Geschichten lediglich erzählt, ohne weitere Wechselwirkungen. Dafür muss der Erzähler die Erzählkunst besonders gut beherrschen. Der interkulturelle Austausch ist ebenfalls sehr wichtig. Der Erzähler aus der Türkei war in einer typisch türkischen Volkstracht angezogen. Erst stellte er uns seine Volkstracht vor und nachher erzählte er die Geschichte. Tatiana Montic ist eine Journalistin aus Georgien. Sie teilte mit uns eine schöne journalistische Erfahrung. Es ging um eine Geschichte, die sich zu Weihnachten in Kiew ereignete, als sie dort für eine Reportage recherchierte. Andere Erzähler stellten die Bedeutung der Mutter im Leben eines Kindes zur Diskussion. Oder sie erzählten über Gutmütigkeit und Vergebung und wie wichtig sie für unser Wohlergehen seien. Die Geschichten waren sehr vielfältig, sie vermittelten aber immer eine Botschaft. Die Einführungsformel war immer ‚Es war einmal‘, ungeachtet der Sprache, in der sie erzählt wurden. Wenn eine Geschichte in einer Fremdsprache erzählt wird, so sprechen der Erzähler und der Übersetzer im Vorfeld miteinander, um eventuelle Missverständnisse auszuräumen.“
Wir wollten von Adriana Ene erfahren, ob sie eine Lieblingsgeschichte hat. Dazu die Veranstalterin des Erzählkunstfestivals:
Es gibt eine Geschichte, die ich besonders gern mag. Allerdings stammt sie nicht aus Rumänien. Es geht hauptsächlich um Weisheit und Vergebung. Die Geschichte gefiel mir sehr gut, weil sie an die wesentlichen menschlichen Werte erinnert, die im gegenwärtigen Alltagsdurcheinander manchmal in Vergessenheit geraten. Die Geschichte heißt »Die höchste Weisheit liegt darin, Fehler zu verzeihen«. Es ist eine asiatische Geschichte. Sie stammt aus der Region, in der die Menschen ihre Kamele durch kleine Dörfer bis hin nach Bagdad führen, um Handel zu treiben. Auf dem Weg können Dinge passieren, die einem das Leben komplett auf den Kopf stellen. Es ist eine Geschichte für Erwachsene genauso wie für Kinder. Ich hörte sie vor ein paar Jahren zum ersten Mal, als ich an einem Workshop für Storytelling im Ausland teilnahm. Ich hörte die Geschichte und erzählte sie dann meinerseits weiter. Sie wissen doch, was von Erzählern gesagt wird. Sie kämen zusammen, um Geschichten zu hören, die sie dann weitergeben. Selbstverständlich bereichert jeder Erzähler die Geschichte durch seine eigene Perspektive. Die Geschichte wird dann im eigenen Stil erzählt. Eine Geschichte hört sich niemals zweimal gleich an.“
Das Storytelling-Festival Wir alle sind Geschichten!“ ist zu Ende gegangen. Es war eine Reise zurück in eine Welt, die vermeintlich nur Kindern gehört. Es war eine fabelhafte Erfahrung, die die Veranstalter im kommenden Jahr wiederholen möchten. Oder wann immer auch Erwachsene die Zeit finden, eine Geschichte zu lesen und Freude daran zu haben.