Psychologen-Couch für Filmemacher: Internationales Psychoanalyse-Filmfestival in Bukarest
Kurzfilme, Spielfilme, Klassiker, Kinderfilme, die bei internationalen Festivals ausgezeichnet und in Rumänien durch Sonderprojektionen vorgestellt wurden, waren das Angebot des Internationalen Psychoanalyse-Filmfestes.
Ana-Maria Cononovici, 21.12.2017, 17:30
Das Festival wird seit 2012 in Rumänien unter der Leitung der Filmkritikerin Irina-Margareta Nistor organsiert. Wir fragten sie, woher die Idee, ein derartiges Filmfest zu organisieren, und wie sich diese Idee entwickelt hat:
Die Idee kam aus London, wo es seit vielen Jahren organisiert wird. Das Festival findet jedes zweite Jahr statt. Andrea Sabbadini, Direktor des European Psychoanalytic Film Festival London, meinte, wir werden nachholen, weil wir das Fest jährlich organisieren. In Großbritannien startete es vor 16 Jahren. Anfangs beteiligten sich nur Psychoanalytiker, ein paar Filmkritiker und wenige Filmregisseure. Man analysiert einen Spiel- oder Dokumentarfilm. Ich habe die Form ein bisschen verändert, in dem Sinne, dass wir Publikum im Saal haben. Das Publikum kann Fragen stellen, und wir versuchen, etwas mehr zu erfahren. In den meisten Fällen stimmt das, was der Regisseur ausdrücken will, gar nicht überein mit dem, was der Psychoanalytiker im selben Streifen sieht. Das scheint mir besonders interessant.“
Irina Margareta Nistor sagte weiter, die Organisatoren haben außer den Regisseuren, Filmproduzenten und Psychoanalytikern auch Menschen eingeladen, die einiges über die Bereiche, in die wir geführt werden, zu sagen haben. Irina-Margareta Nistor dazu:
Jedes Mal wird jemand eingeladen, der eine direkte Beziehung hat zu dem, was im Film passiert. Zum Beispiel »The Mountain Between us« unter der Regie von Hany Abu-Assa spielt im Gebirge ab. Beim Erklimmen der Berge kann wann immer ein Unglück passieren. Deshalb haben wir Ticu Lăcătuş, der auf dem Everest war, eingeladen. »Frau im Mond« ist ein Stummfilm von Fritz Lang aus dem Jahr 1929. Wir haben [den Kosmonauten] Dumitru Prunariu eingeladen, um uns zu erzählen, wie es im Weltall ist. Das ist unsere Arbeitsweise.“
Über das Feedback der Psychoanalytiker sagte uns Irina-Margareta Nistor folgendes:
Das Feedback der Psychoanalytiker kann sich viel von dem, was sich der Regisseur gewünscht hat, unterscheiden. Zum Beispiel: »Chuck Norris versus Kommunismus«, ein Film von Ilinca Călugăreanu. Er handelt über ein Rumänien der achtziger Jahre, als die Videokassetten eine Flucht aus der Realität darstellten. Ich machte damals die Filmsynchronisation, obwohl ich eigentlich gegen die Synchronisation bin. Ich dachte, ich wäre eine Art Marry Poppins, ich konnte mit den Kindern zu Hause bleiben und wir konnten uns Zeichentrickfilme ansehen. Die Psychoanalytiker interpretieren das ganz anders. Ilinca hat den Film auch nicht so interpretiert, dass es um eine mütterliche Stimme gehe, die etwas erzählt. Egal welcher Generation der Zuschauer angehört, denkt er, dass man ihm Geschichten erzählt. Dabei waren es nicht meine Filme, ich machte nur die Synchronisation. Weil sie in der Muttersprache gesprochen wurden, neigte die Psychoanalyse zur Beleuchtung der mütterlichen Natur. Die Unterschiede sind groß. Die Regisseurin hingegen wollte zeigen, wie man sich durch Filme einer Diktatur entziehen kann.“
Das Publikum wolle die Feinheiten der Filme verstehen, sagte unsere Gesprächspartnerin weiter:
Das Publikum stellt sehr viele Fragen. Manchmal sogar unerwartete Fragen, und das ist sehr bedeutend. Beide Gäste können darauf antworten. Das Publikum wünscht Einzelheiten. Der Film »L’amant double« unter der Regie von François Ozon hat ein offenes Ende. Ich habe den Arzt Cristian Andrei eingeladen. Das Publikum wollte wissen, wie der Film, seiner Meinung nach, ende. Der Gast hat durch eine Frage geantwortet. Was glaubt ihr? Woran denkt ihr? Es ist eine andere Art, mit einem Publikum zu sprechen, dem 50 Jahre lang die Psychoanalyse untersagt war. Ein weiteres Beispiel könnte der deutsche Kinderfilm »Der kleine Vampir« in der Regie von Richard Claus und Karsten Kiilerich sein. Vor dem Film habe ich den Kindern gesagt, dass es schön sei, zu grüßen, wenn ich grüße, zu lächeln, wenn ich lächele. Nach dem Film habe ich ihnen gesagt, Vampire zu zeichnen. Alle Vampire lächelten. Ich meine, wir haben gewonnen!“
Doch das siebte Psychoanalyse-Filmfestival barg auch Überraschungen. Irina-Margareta Nistor:
Ich werde bei der Vintage-Abteilung präsent sein. Ich werde nicht zurück in die zwanziger Jahre kehren, sondern zu einem Film mit Dustin Hoffman und der berühmten Mrs. Robinson, mit Anne Bancroft, »The Graduate«, einem amerikanischen Spielfilm aus dem Jahr 1967 in der Regie von Mike Nichols, also zur »Reifeprüfung«. Ich glaube, dass wir die Reifeprüfung bestanden haben.“