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Zur Geschichte des Freidenkertums und Antiklerikalismus in Rumänien

Trotz begrenzten Einflusses in der Gesellschaft wurden auch in Rumänien ab der zweiten Hälfte des 19. Jh. in radikal-liberalen und sozialistischen Kreisen atheistische und antiklerikale Ideen verbreitet.

Zur Geschichte des Freidenkertums und Antiklerikalismus in Rumänien
Zur Geschichte des Freidenkertums und Antiklerikalismus in Rumänien

, 10.04.2017, 18:32

Auch wenn die beiden Begriffe nicht synonym sind, haben sich der Freigeist und die Kirchenfeindlichkeit öfters überlappt. Die Anfechtung der Autorität des Klerus wurde in der Geschichte von Reformbewegungen der Religionen und sogar von dem Bestreiten der Existenz Gottes begleitet. Der Freigeist und die moderne Kirchenfeindlichkeit haben ihren Ursprung im 18. Jahrhundert, als die Aufklärung die Vernunft ins Zentrum des menschlichen Handelns setzte. Die Eingrenzung der Macht und des Einflusses der Kirche im Staat und in der Gesellschaft war eines der zentralen Anliegen des Rationalismus.



In Rumänien ist der Freigeist und der moderne Antiklerikalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert in den radikal-liberalen und den sozialistischen Kreisen erschienen. Der Darwinismus und der Materialismus bildeten die theoretische Grundlage für soziale Reformatoren wie die Ärzte Constantin Thiron und Victor Babeş und der Philosoph Vasile Conta. Marius Rotar, Forscher an der Universität 1. Dezember 1918“ in Alba Iulia, meint, die Freidenker hätten den harten Kern der Kirchenfeindlichkeit und des Laizismus in Rumänien gebildet:



Die wichtigsten Vertreter des Antiklerikalismus bei uns, aber auch in Europa und den USA, waren die Freidenker, eine kulturelle, politische und philosophische atheistische Bewegung, die versuchte, die Menschen von Vorurteilen und religiösen und wissenschaftlichen Fehlinterpretationen zu befreien. Hauptziel war dabei die Trennung von Kirche und Staat, was in Frankreich im Jahr 1905 und in Portugal im Jahr 1911 auch geschieht. Es gibt ein paar wichtige Vertreter wie Robert G. Ingersoll in den USA und Charles Bradlaugh in Gro‎ßbritannien. 1880 wurde der Internationale Freidenkerbund gegründet. Wie handelt aber die Kirchenfeindlichkeit? Auf individueller Ebene handelt es sich dabei um die Annahme einer nichtreligiösen Identität, die in drei Formen gestaltet wird. Eine Form ist der säkulare Eid, ein Problem, das hierzulande erst 1936 gelöst wurde. Die zweite ist die Zivilehe und die dritte, meiner Meinung nach auch die wichtigste, ist die säkulare Beerdigung, d.h. ohne Priester und Totenmesse.“




Der Freigeist und die Kirchenfeindlichkeit sind in Rumänien erst später, gegen Ende des 19. Jahrhunderts erschienen. Marius Rotar erläutert weiter:



Es gibt ein paar wichtige Vertreter des Antiklerikalismus und der wichtigste ist Ende des 19. Jahrhunderts Gheorghe Panu. In seiner Zeitung »Lupta« (»Der Kampf«) kritisiert er stark die Rumänisch-Orthodoxe Kirche. In der berühmten Anthologie des Atheismus in Rumänien gilt er al Vorreiter des rumänischen Atheismus. Nichtdestotrotz wurde er bei seinem Tod 1910 im Beisein eines Priesters bestattet. Im Gegensatz zu ihm äu‎ßerte Thiron 1905 seinen Wunsch säkular bestattet zu werden, was 1924 auch geschah.“




Die rumänischen Freidenker äu‎ßerten ihre Überzeugungen in der Presse. Nicht selten benutzten sie dabei Kraftausdrücke, was ihre Äu‎ßerungen oft in die Nähe der Beleidigungen rückte. Die wesentlichen Prinzipien ihrer programmatischen Schriften waren die Abkehr der Bürger von der Religion und die Trennung von Moral und Religion. Öffentliche Stellungnahmen und Äu‎ßerungen von Sozialisten wie Ştefan Gheorghiu, I. C. Frimu, Constantin Dobrogeanu-Gherea, Panait Istrati, die au‎ßerdem weltlich bestattet werden wollten, sollten als Beispiel für andere dienen. Der Historiker Marius Rotar über die Medienwirksamkeit der Freidenker:



1913 veröffentlichte Thiron in der linken Zeitung »Dimineaţa« folgende Zeilen: ›Glückwunsch den zwei jungen Leuten, die nur eine Zivilehe abschlie‎ßen wollten. Herzlichen Glückwunsch, dass ihr den Mut hattet, den Blödsinn des Christentums und des Judentums, der Bibel mit seinen Evangelien und des Talmuds loszuwerden und der Ausbeutung durch den christlichen und mosaischen Klerus ein Ende zu setzen.‹ Die Rumänische-Orthodoxe Kirche reagierte prompt mit einer Äu‎ßerung, in der es u.a. hie‎ß: ›Findet sich niemand, der ihn sich vorknöpft und ordentlich durchrüttelt für die Unverfrorenheit, die Mehrheit des rumänischen Volkes zu beleidigen, die seine Gedanken und Meinungen nicht teilt?‹“




Der radikalste Freidenker war der Arzt Constantin Thiron, der zwischen 1853-1924 lebte und Professor an der Universität in Iaşi (Jassy) war. Er war Militärarzt und nahm am Balkankrieg 1913 und am 1. Weltkrieg teil. Marius Rotar wei‎ß mehr über ihn:



Auf seiner Uhr war ›Tod allen Göttern und Freigeist!‹ eingraviert. Thiron hat sich diesen antiklerikalen Spruch angeeignet. 1913 weihte er sein säkulares Grab in Iaşi ein. Es ist das erste laizistische Grab in Rumänien und ist voller Symbole. Im selben Jahr wird im Eternitatea-Friedhof für Vasile Conta ein atheistisches Denkmal eingeweiht. Thiron hat sein Testament dreimal — 1905, 1913 und 1921 geschrieben. Wenn der Mensch jung ist, hat er die Tendenz, rebellenhaft zu handeln. Als Thiron sein erstes laizistisches Testament abfasst, war er schon 52 Jahre alt und damit längst über das ›prometheische‹ Alter hinaus. Dort findet man einige seiner wesentlichen Ideen. Ein weiteres Zitat aus einem Artikel, den er in der Zeitung ›Opinia‹ veröffentlichte, ist relevant: ›Nur die stumpfsinnigen Gläubigen christlicher und mosaischer Konfession haben Angst vor dem Tode aufgrund der Dummheiten, die in der Bibel stehen und vom Klerus verbreitet werden, um die Würde und den Mut des Menschen zu mindern, damit dieser ein unterwürfiger und zahlender Diener des Klerus diverser Religionen bleibt.‹“




Freidenkertum und Antiklerikalismus hatten nur wenig Widerhall in Rumänien. Sie waren vielmehr Versuche, Rumänien an die Ideen des Westens anzukoppeln.

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