Zur Entwicklung der Bukarester Stadtarchitektur: Jugendstil leitete Moderne ein
Wir schreiben die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts: Bukarest tritt in die ersten Phasen seiner modernen Stadtentwicklung.
Steliu Lambru, 22.01.2018, 17:30
In der Modernisierung spielt aber nicht nur die rumänische Hauptstadt eine Rolle, sondern auch der Rest des Landes — eine Residenzstadt wächst nämlich niemals von alleine. Also ist Bukarest die Synthese der allgemeinen städtischen Entwicklung in Rumänien, mit Einflüssen aus der westlichen Architektur, die mit der Moderne gleichgesetzt wurden, aber auch mit Wurzeln in der traditionellen rumänischen Baukunst.
Bukarest hat in der Zwischenkriegszeit seine bedeutendste Verwandlung erfahren, während der Herrscherzeit Karls II., also zwischen 1930 und 1940. Sorin Vasilescu ist Professor an der Bukarester Universität für Architektur und Stadtplanung Ion Mincu“. Er berichtet, die Architektur der Zwischenkriegszeit sei in Bukarest stets in enger Verbindung mit dem Königshaus gewesen.
Wenn es um die rumänische Architektur der Zwischenkriegszeit geht, können wir eigentlich nur von der königlichen Architektur reden. Auch für Bukarest gibt es eine Phase Karls I., eine Phase, die der Herrscherzeit von Ferdinand I. zugeordnet werden kann, und die unglaubliche Phase Karls II., der dem damaligen Bürgermeister träumerisch sagte, er wollte von der Stadt aus das Meer sehen. Es war keine uninteressante Idee, er wollte eigentlich vom Königspalast bis auf den Hauptboulevard sehen können, die Aussicht war ihm damals von den Königlichen Stiftungen versperrt. Er wollte sie verschwinden sehen. Das Unterfangen, das zum heutigen Gesamtbild des Palast-Platzes geführt hat, wurde unter seiner Aufsicht abgeschlossen, dadurch wurde der Platz völlig verändert. Links und rechts von den Königlichen Stiftungen, der aktuellen Zentralen Universitätsbibliothek, standen zwei wichtige Gebäude. In einem hatte der Rumänische Jockey-Club den Sitz, und das Innenministerium, das ehemalige Zentralkomitee der Kommunistischen Partei, war hinter einem Gebäude verborgen, praktisch auf einem anderen Platz. Dieser Platz wurde erweitert und, wie bei jeder lobenswerten und umstrittenen Architektur-Aktion, entstand dort eines der Jugendstil-Wunder der Stadt, das Meisterwerk von Daniel Renard und Téophile Bradeau, das Athénée-Palace-Hotel.“
Den stärksten Einfluss auf die Bukarester Architektur hatte der Jugendstil. Vertreten sind ferner auch die sogenannte Staatsarchtitektur“, die faschistische Architektur aus Italien, und gegen Ende der 1920er und in den 1930ern der nordamerikanische Art-Noveau-Stil. In der rumänischen Architektur hat der Jugendstil aber die Moderne eingeleitet, weiß Sorin Vasilescu.
Der glänzende Jugendstil hier kann in mehrere Kategorien eingeteilt werden. Es gibt ein französischer Art Noveau von französischen Architekten, ein französischer Art Noveau von rumänischen Architekten, einen siebenbürgischen Jugendstil ungarischer Architekten der Ödön-Lechner-Schule, die ihrerseits in der Wiener Secession ihren Ursprung hatte. Für Rumänien gab es vielfache Inspirationsquellen. Für das Alte Königreich ist der Jugendstil der Übergang von einer Welt zur anderen, ein Schnitt der Nabelschnur zwischen der Moderne und dem Historismus. Der italienische Kunsthistoriker Giulio Carlo Argan hatte also nicht umsonst gesagt, dass die erste Form der Moderne der Jugendstil war. Unser Jugendstil, egal ob wir ihn als Ur-Art-Nouveau bezeichnen, wie etwa den neorumänischen Stil, oder ob wir vom Sezessionsstil sprechen, wenn es um Siebenbürgen, das Banat und die Bukowina geht — damit meinen wir immer ein und denselben Baustil. Es war der erste Moment, in dem wir den Anschluss geschafft hatten, in dem unsere Architektur nicht mehr minderwertig und abgekupfert war und die Baukunst im Westen nicht mehr überlegen war.“
Der Einfluss der Tradition war nicht weniger wichtig, als in der Bukarester Architektur ein moderner rumänischer Stil entstand. Das sei der neurumänische Stil gewesen, erklärt Sorin Vasilescu.
Unser junge Art Nouveau, der mit Ion Mincus Namen stark in Verbindung steht, ist ein Stil gewesen, der mit den ganzen Invarianzen und den spezifischen Stilelementen durch Grundformen in die Geschichte unserer Architektur eingegangen ist. Das bedeutet nicht, dass wir jemals die westliche Architektur geprägt hätten, aber mit dem Gespür eines Jagdhundes ist es unseren Architekten kategorisch gelungen, die Realität jener Zeit zu erfassen, den stilistischen Werdegang der Epoche, das, was in der Architektur geschah, und die Art und Weise, in der die traditionellen Elemente in eine unterschiedliche Sprache übersetzt werden konnten. Würde man die Tradition literweise messen, so würde man bei der Moderne ein Metermaß nehmen. Wir sehen uns also mit unterschiedlichen Maßeinheiten konfrontiert, die nicht vollständig ineinanderfließen können. Aber der Versuch unserer Architekten, eine Identität zu finden, ist ein Element, das bereits seit der Brâncoveanu-Zeit pulsiert. Die Werte des neuen rumänischen Stils verarbeiten und verändern die Skala nicht zufällig. Die Skala der großen, raffinierten Elemente der Brâncoveanu-Zeit bekleidet orientalische Werte in westlicher Planimetrie und Kompositionsgrundsätzen. Das ist die Quelle der ersten Form rumänischer Moderne. Man muss nur durch Bukarest spazieren und die neorumänischen Werke von Petre Antonescu sehen. Sie waren beeindruckend, stießen aber auch auf Kritik, weil sie die traditionelle Werteskala auf den Kopf stellten. Doch die Wenigsten waren darauf gekommen, dass die veränderte Skala im Baustil von Petre Antonescu auch auf die vor genau 100 Jahren verdoppelte Bevölkerungsskala Rumäniens zurückzuführen war. Ein Bürgermeisteramt für 8 Millionen Einwohner hatte eine Verwaltung von einer gewissen Größe, aber eines für 18 Millionen Einwohner, die rumänische Bevölkerung vor 100 Jahren nach der Vereinigung, ist von einer ganz anderen Größenordnung.“
Die Architektur in Bukarest erreichte in der Zwischenkriegszeit ein Höchstmaß an Integration westlicher Ideen und an Innovation. Trotz der eher unglücklichen Veränderungen nach 1945 trägt die rumänische Hauptstadt noch die Handschrift der Architekten aus der Zeit der Monarchie.