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Schlangeninsel: unscheinbares Eiland von strategischer Bedeutung

Ein unscheinbarer und unwirtlicher Felsen im Schwarzen Meer geriet im Zuge der russischen Aggression gegen die Ukraine ins Rampenlicht der internationalen Öffentlichkeit.

Schlangeninsel: unscheinbares Eiland von strategischer Bedeutung
Schlangeninsel: unscheinbares Eiland von strategischer Bedeutung

, 14.03.2022, 17:30



RadioRomaniaInternational · Schlangeninsel: unscheinbares Eiland von strategischer Bedeutung



Am 25. Februar 2022 kreuzte ein russisches Kriegsschiff vor der sogenannten Schlangeninsel auf und forderte die ukrainischen Grenzsoldaten auf, sich zu ergeben. Nach einem kurzen Beschuss des Grenzpostens wurde die Insel von den russischen Streitkräften besetzt und die ukrainischen Wachtposten gefangen genommen.



Die Schlangeninsel liegt nur 20 Seemeilen oder rund 44 km von der Donaumündung entfernt vor der Schwarzmeerküste Rumäniens — der Felsen aus Kalkstein hat keine Sü‎ßwasserquellen, so dass die karge Vegetation nur aus Schilf und Disteln besteht. Der Name des Eilands rührt von den kleinen, ungiftigen Wasserschlangen her, die früher dort anzutreffen waren; mit einer Fläche von 17 Hektar misst die Insel 440 m auf der Nord-Süd-Achse und 662 m von Osten nach Westen. Die unwirtlichen Lebensbedingungen machen die Insel unbewohnt — bis auf Grenzsoldaten oder vorübergehenden wissenschaftlichen Missionen gibt es keine permanenten menschlichen Siedlungen auf dem kleinen Felsen.



Doch bereits in der Antike wurde die Insel von Fischern als saisonale Niederlassung genutzt — sie erhielt damals den mythische Namen Leuke (altgriechisch für Die Wei‎ße“) oder Achilleis (nach dem Achilles-Kult), und selbst Händler aus dem antiken Milet sollen einst hier angelandet sein. Im 16. Jh. gerät die Insel in den osmanischen Herrschaftsbereich und wird fortan Fidonisi — neugriechisch für Schlangeninsel — genannt. Nach den russisch-türkischen Kriegen gelangt mit dem Frieden von Adrianopel die Schlangeninsel 1829 in Besitz des Russischen Zarenreichs — 1842 errichten die Russen hier einen Leuchtturm. Nach einem weiteren russisch-türkischen Krieg erhält kraft des Berliner Friedensvertrags von 1878 das junge Königreich Rumänien das Donaudelta und die Dobrudscha samt der Schlangeninsel. Während des Zweiten Weltkriegs und nach der Annexion Bessarabiens und der Nordbukowina als Folge des Hitler-Stalin-Paktes von 1940 bleibt die Schlangeninsel im Besitz Rumäniens.



Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Pariser Friedensvertrag von 1947 änderte sich der Status der Insel zunächst nicht, doch die Sowjetunion annektierte das Eiland bald darauf. Durch zwei Protokolle vom 4. Februar bzw. 23. Mai 1948 geht die Schlangeninsel in sowjetischen Besitz über — beide Dokumente werden allerdings nie ratifiziert. Mehr noch: Am 25. November 1949 versetzt die Sowjetunion eigenmächtig auch die gemeinsame Grenze entlang der Donau zu ihren Gunsten — die neue Grenze zwischen Rumänien und der UdSSR verläuft nun entlang des Musura-Kanals, westlich der Mündung des nördlichsten Donauarms Kilija (rum. Chilia) ins Schwarze Meer.



Eduard Mezincescu war damals stellvertretender Au‎ßenminister der Volksrepublik Rumänien und unterzeichnete für sein Land die erzwungene Abtretung der Schlangeninsel an die Sowjetunion. In einem Interview mit dem Zentrum für mündlich überlieferte Geschichte des Rumänischen Rundfunks erinnerte er sich 1994 an die Umstände der Unterzeichnung des ominösen Protokolls:



1948 wies mich die damalige Au‎ßenministerin Ana Pauker an, den Sowjets entgegenzukommen, denn bei der Grenzziehung nach dem Krieg habe man vergessen, die Schlangeninsel der Sowjetunion zu überlassen, und nun würde der mächtige Nachbar das Eiland für sich beanspruchen, sagte sie. Zusammen mit dem Minister für öffentliche Bauarbeiten fuhr ich nach Tulcea, dann nach Sulina, und wir setzten anschlie‎ßend auf die Insel über, wo die Sowjets bereits anwesend und durch den Botschafter, den Vize-Au‎ßenminister und einigen Militärs vertreten waren. Ein gro‎ßer Tisch war im Freien aufgestellt worden, und das Protokoll stand zur Unterzeichnung bereit. Ich lie‎ß mir etwas einfallen, um die Sowjets zu verärgern. Ich sagte, ich möchte den Felsen erst inspizieren, bevor ich die Abtretung unterzeichne — schlie‎ßlich dürfe ein solcher Akt nur in Kenntnis aller Einzelheiten über die Bühne laufen. Und so mussten alle Anwesenden — sehr zum Verdruss der Sowjets — eine Inseltour zu Fu‎ß unternehmen. Mit diesem launischen Einfall habe ich die Unterzeichnung des Protokolls etwas verzögert.“




Doch die Kaprice des rumänischen Diplomaten nutzte nicht viel. Durch die Abtretung Bessarabiens an die Sowjetunion musste auch die neue Grenze nördlich des Donaudeltas zwischen beiden Staaten festgelegt werden. Der Admiral Constantin Necula war während des Zweiten Weltkriegs Sicherheitsbeauftragter für die rumänische Schifffahrt im Schwarzen Meer gewesen. Nach dem Krieg nahm er an einem ersten Treffen mit Vertretern der UdSSR teil, die ihre ursprünglichen Forderungen noch überboten und auch Teile des Donaudeltas der Sowjetunion anschlie‎ßen wollten. In einem Interview mit dem Zentrum für mündlich überlieferte Geschichte des Rumänischen Rundfunks erinnerte sich Necula 1999, wie die ersten Verhandlungen abliefen:



Nach dem 23. August 1944 begannen die ersten Gespräche über die neue Grenzziehung zwischen Rumänien und der Sowjetunion. Ich wurde nach Sulina beordert, um mich mit zwei sowjetischen Offizieren über den Verlauf der maritimen Grenze zu unterhalten. Von meinen Vorgesetzten hatte ich überhaupt keine Unterweisungen erhalten, wohl auch, weil wir keine Experten auf dem Gebiet hatten. Mir wurde nur gesagt, dass die Sowjets eine neue Grenze etablieren wollten, doch niemand wusste etwas Genaues über deren Verlauf. Man legte mir nur nahe, ich solle vorsichtige Gespräche mit den Sowjets führen und mich ja nicht in einen Konflikt verwickeln lassen. Als ich in Sulina ankam, hatten die zwei sowjetischen Offiziere den neuen Verlauf der Grenze bereits festgelegt. Sie hatten 1–1,5 km nördlich vom Hafen in Sulina eine Boje aufgestellt und sagten schlicht, dort würde die neue Grenze verlaufen, nämlich entlang des nördlichen Kilija-Arms der Donau, aber auch entlang des kleinen Ablegers, der nach Süden floss. Somit wollten sie ein ganzes Stück des Donaudeltas, das vom Kilija-Arm abgesteckt wurde, der Sowjetunion einverleiben. Danach bog die neue Grenze nach Osten ab. Und die Boje hatten sie so aufgestellt, dass die Senkrechte entlang der rumänischen Küste südlich der Schlangeninsel verlief, womit auch das Eiland in den Territorialgewässern der Sowjetunion bleiben sollte. Die Sowjets hatten schon eine Akte mit einer Landkarte und einem Protokoll vorbereitet und wollten mich unterzeichnen lassen, was ich ablehnte. Ich sagte nur, ich wäre nicht bevollmächtigt, der Aufstellung von Bojen oder Gebietsabtretungen durch meine Unterschrift zuzustimmen.“




Rumänien wurde damit — zumindest was die Schlangeninsel anbelangt — vor vollendete Tatsachen gestellt. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde die Schlangeninsel ein Teil der Ukraine. Ein jahrelanger Streit über die Abgrenzung des Kontinentalsockels im Schwarzen Meer und damit auch über die jeweils exklusive Wirtschaftszone in den Territorialgewässern brach daraufhin zwischen Rumänien und dem neuen unabhängigen ukrainischen Staat aus. Der Streit wurde schlie‎ßlich vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag geschlichtet. Mit dem Urteil vom 3. Februar 2009 wurden Rumänien 9700 km2 als exklusive Wirtschaftszone zugesprochen — das entspricht knapp 80% der umstrittenen Fläche im Schwarzen Meer, die Ukraine bekam 20% als souveränes Nutzungsareal. Die Schlangeninsel selbst blieb allerdings ein Teil der Ukraine. Seit dem 25. Februar 2022 ist das Eiland von russischen Streitkräften besetzt.

Timişoara, 35 years ago (photo: Costantin Duma)

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